Häuser auf Baugrund

In Belgrad sollen Roma aus den Wohnungen vertrieben werden, in denen sie seit Jahrzehnten leben. Sie lassen es sich nicht gefallen. von ira elbrus, belgrad

Bevor man sie dazu zwingt, gehen die Roma von Grmec freiwillig auf die Straße. Und dabei sind sie nicht ganz erfolglos. Nachdem zwei Wochen lang etwa 30 Familien gegen den Abriss ihrer Häuser in Zemun protestiert hatten, willigte nun der Magistrat des Belgrader Stadtteils in Verhandlungen ein.

Die DemonstrantInnen haben sich im Pionierpark, der das Stadtparlament in Belgrad umgibt, niedergelassen. Srdan Sain, der dem Vorstand des Nationalrats der Roma in Serbien und Montenegro angehört, macht deutlich, dass seine Organisation die Proteste bedingungslos unterstützt. »Wir fordern, dass uns die Stadt eine Urkunde gibt, die den Abriss dieser Objekte unterbindet«, sagt er.

Die betroffene Roma-Siedlung Grmec steht auf Grund, den die Belgrader Kommune Zemun an private Investoren verkauft hat, ohne die BewohnerInnen konsultiert zu haben. Die Betroffenen sind sichtlich aufgebracht. »Man muss sich vorstellen, wie das vor sich geht: Die Käufer sehen ein Grundstück auf der Landkarte, günstig gelegen. Sie erwerben es, ohne es je in Augenschein genommen zu haben«, empört sich ein Rom, der in Grmec wohnt. Dass der Grund bebaut und bewohnt ist, nähmen Verkäufer und Investoren dabei in Kauf.

Zwar beteuern die Roma, ihre Häuser in Grmec vor etwa drei Jahrzehnten rechtmäßig erworben zu haben, doch ihnen fehlen die notwendigen Dokumente. Im Grundbuch von Zemun gilt das Land als unbebaut – und somit ein Verkauf als rechtens.

Der Nationalrat befürchtet, dass der drohende Abriss von Grmec zum Präzedenzfall werden könnte. Denn viele Roma in Serbien sind gezwungen, ihre Unterkünfte auf öffentlichem Grund zu errichten. Das betrifft insbesondere die 40 000 bis 60 000 Roma, die seit 1999 aus dem Kosovo in die serbische Hauptstadt geflohen sind. Am Stadtrand von Belgrad existieren etwa 150 Elendssiedlungen und Camps, in denen überwiegend Roma leben (Jungle World, 25/02). Diejenigen, die seit dem Ende des Krieges nach Serbien gekommen sind, spüren staatliche Repression und alltäglichen Rassismus noch stärker als die Alteingesessenen, die in vergleichsweise etablierten Siedlungen wie Grmec wohnen. »Die serbische Regierung hat versprochen, sich um die vielen Roma-Flüchtlinge zu kümmern«, sagt Sain. In Grmec beweise sie nun, dass sie nicht einmal mit den alteingesessenen Roma umgehen könne.

Konzeptionslos stehen die serbischen Behörden auch den Roma gegenüber, die in zunehmender Zahl aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben werden. Etwa 60 000 Roma haben seit dem Zerfall Jugoslawiens Zuflucht in Deutschland gesucht. Vergangenen Herbst vereinbarten Berlin und Belgrad ein Rückführungsabkommen. Seither haben die Bundesländer mit der Abschiebung von Roma in die ehemalige Republik Jugoslawien begonnen. Zwar zahlt die Bundesregierung eine »Rückführhilfe« an Roma, die mit einer selbstständigen Ausreise ihrer Abschiebung zuvorkommen, doch reicht das Geld für den Neuaufbau einer Existenz bei weitem nicht aus.

Eine Rückkehr in den Kosovo kommt für die meisten Roma nicht in Frage. Ihre Häuser in der Provinz sind durch den Krieg zerstört, die Mehrheit der Bevölkerung ist ihnen feindlich gesinnt. So reihen sie sich in Belgrad in das Heer der Binnenflüchtlinge ein. Dort vermeiden es die meisten, sich polizeilich zu melden, denn Schikanen seitens der Behörden gehören zum Alltag vieler Roma. Außerdem können viele die Meldegebühr von fünf Euro nur schwer aufbringen. Eine fehlende Anmeldung bedeutet jedoch nicht nur, dass man sich in einer Wohnsituation befindet, die rechtlich ungewiss ist. Sie erschwert zudem etwa die Einschulung der Kinder. Und viele der Romakinder sprechen kein Serbisch, da sie im Kosovo oder in Deutschland aufgewachsen sind.

Srdan Sain befürchtet nun, dass auch die Roma, die schon seit Jahrzehnten in Serbien leben, ins Elend gedrängt werden. »Die Leute von Grmec sind nicht erst seit ein oder zwei Jahren dort«, sagt er. »Es handelt sich um eine Siedlung, die seit mehr als dreißig Jahren besteht.« Grmec sei kein Slum, betont er. Tatsächlich besteht die bedrohte Siedlung aus befestigten Häusern, die mehr als 300 Menschen beherbergen. Dass die Rechnungen für Strom, Gas und Wasser stets pünktlich beglichen wurden, können die BewohnerInnen belegen. Für Sain liegt daher die Unrechtmäßigkeit des behördlichen Ausverkaufs von Grmec auf der Hand: »Wäre die Regelung im Einklang mit dem Gesetz, liefe sie offensichtlich anders.«

»Juristisch gesehen ist die Sache einwandfrei«, sagt dagegen Vladan Janicijevic, der Bezirksbürgermeister von Zemun, der Belgrader Tageszeitung Danas. Er habe Verständnis für den Zorn der Roma, beteuert jedoch, nichts ausrichten zu können. Man wolle sich daher in Zemun um einen Ersatzort für die Roma von Grmec bemühen. Der Roma-Nationalrat will jedoch über Ausweichquartiere erst reden, wenn es ein konkretes Angebot gibt, um ein Abrutschen der Betroffenen in die Elendssiedlungen um jeden Preis zu verhindern. Akzeptabel seien daher einzig Quartiere, die den Häusern von Grmec gleichwertig sind. Dass Zemun solche bereitzustellen in der Lage ist, bezweifelt Sain: »Das ist unrealistisch.« Genau deswegen müsse der Abriss von vornherein gestoppt werden.

Dass auch etablierte Siedlungen bedroht sind, ist ein deutliches Zeichen für die Verschlechterung der Situation von Roma, die im Gebiet der Republiken Serbien und Montenegro leben.

Bis zum Beginn der Kriege, die dem Zerfall Jugoslawiens folgten, lebte die etwa eine Million jugoslawischer Roma dort besser als in vielen anderen europäischen Ländern. Eine liberale Minderheitenpolitik sicherte den jugoslawischen Roma eine eigene Zeitung sowie Radio- und Fernsehsendungen auf Romani. Kinder von Roma konnten in ihrer Sprache unterrichtet werden. Doch die wirtschaftliche Basis der Roma Jugoslawiens blieb stets schwach. In den achtziger Jahren verstärkte sich mit den aufkommenden Nationalismen auch der Antiziganismus. Unter Slobodan Milosevic wurden die Roma aus der Sozialistischen Partei Serbiens ausgeschlossen. Die Ethnisierung während der Kriege führte zu hunderttausendfacher Vertreibung von Roma.

»Die Behörden denken: Die Roma können nichts machen, das sind ungebildete Leute, und ungebildete Leute kann man leicht manipulieren«, so Sain. Dass diese Rechnung der Behörden nicht aufgeht, ist das erklärte Ziel des Roma-Nationalrates. »Wenn wir den Abriss jetzt nicht verhindern, sitzen binnen weniger Tage 200 bis 300 Roma auf der Straße. Falls nötig, werden sich die Leute als lebende Schutzschilde vor ihre Häuser stellen«, droht Sain. Sollte der Belgrader Magistrat sich stur stellen, wollen die Protestierenden auch Straßen- und Autobahnblockaden organisieren.

Doch zunächst mal könnten die DemonstrantInnen im Belgrader Pionierpark ja einen kleinen Erfolg feiern. Der Magistrat willigte nicht nur in weitere Verhandlungen ein, sondern setzte die Räumungen und Abrisse zunächst mal aus.

Einer aus Grmec erhebt die Stimme: »Es geht nicht nur um uns, es geht um alle Roma in Serbien«, sagt er. Die anderen im Pionierpark applaudieren.