Zerbrechliche Beziehungen

Beim Besuch Gerhard Schröders in Prag machten die tschechischen Gastgeber klar, dass sie nicht EU-Bürger zweiter Klasse werden wollen. von stanislav holubec, prag

Diesmal wurde der Staatsbesuch nicht wegen ungehöriger tschechischer Äußerungen abgesagt, am Freitag vergangener Woche war es so weit: Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hielt sich für einen Tag in Prag auf. In der tschechischen Presse sprach man von einem »zweiten Versuch«, denn der erste war im Mai vergangenen Jahres fehlgeschlagen. Damals hatte es der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman kurz vor dem Besuch gewagt, die Sudetendeutschen als »Hitlers fünfte Kolonne« zu bezeichnen. Kurzerhand sagte daraufhin die deutsche Regierung die Visite ab. Weil Zeman seit Juni 2002 nicht mehr tschechischer Ministerpräsident ist und sein Nachfolger Vladimir Spidla – beide Politiker gehören der sozialdemokratischen Partei an – ein besserer Diplomat ist, stand einem Besuch nun nichts im Wege.

Unstimmigkeiten zwischen den beiden Ländern gibt es im Moment vor allem über die Ausrichtung der Europäischen Union. Während Deutschland mehr Integration fordert und ein gemeinsames Vorgehen der EU, besonders in der Außenpolitik, durchsetzen will, verteidigt die tschechische Regierung die Position der kleineren europäischen Staaten. Diese wollen nicht so schnell und vor allem nicht zu viele nationale Kompetenzen an die EU übertragen und neben der europäischen Zusammenarbeit auch die Beziehungen zu den transatlantischen Partnern zu verbessern.

Spidla bekräftigte gegenüber Schröder die Forderung der Beitrittskandidaten nach einem EU-Kommissar im Konvent pro Mitgliedsland, was im Verfassungsentwurf bisher nicht vorgesehen ist. Schröder wollte davon allerdings nichts wissen. Er bezeichnete den jetzigen Entwurf, der die Beibehaltung von nur 15 Kommissaren im EU-Konvent trotz der Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten vorsieht, als »sehr gut«. Die tschechische Regierung befürchtet, dass dadurch große EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich begünstigt werden. Spidla sprach von »harten Verhandlungen«, die noch geführt werden müssten.

Viele Tschechen sind überdies darüber verärgert, dass sie nach dem Beitritt keine vollwertigen EU-Bürger sind. Zwar können sie ab kommenden Juni an den Wahlen zum EU-Parlament teilnehmen, aber die Grenzkontrollen zwischen der BRD und Tschechien bleiben mindestens bis 2006 bestehen. Die Einführung des Euro ist sogar erst für 2007 vorgesehen. Die Landwirte bekommen zudem keine vergleichbaren Finanzmittel wie ihre Kollegen im Westen zugesprochen, und ihren Arbeitsplatz dürfen Tschechen innerhalb der EU auch nicht frei wählen. So erhalten beispielsweise weiterhin nur Besitzer einer Greencard eine Arbeitserlaubnis in Deutschland.

Gegenüber dem Senatsvorsitzenden Peter Pithart erklärte Schröder immerhin, Deutschland werde 2006 erneut prüfen, ob die Übergangsregelung für tschechische Arbeitskräfte dann weiterhin nötig ist. Im Vergleich zur österreichischen Regierung, die scheinbar fest entschlossen ist, die Abschottung des Arbeitsmarktes noch länger aufrechtzuerhalten, hat Schröder mit seiner Aussage vielen tschechischen Arbeitnehmern neue Hoffnungen gemacht. Der tschechische Präsident Vaclav Klaus erklärte: »Ich glaube, dass Bundeskanzler Schröder und wir in vielen Dingen ähnliche Meinungen vertreten und dass wir uns bei der Zerbrechlichkeit der Beziehungen bei der Frage, wie man mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umgehen soll, voll bewusst sind.«

Die letzten Irritationen hatte es in der Debatte um den Irakkrieg gegeben, da sich die tschechische Regierung zum Missfallen der Bundesregierung eher proamerikanisch positionierte. In der tschechischen Presse dominierte die Meinung, dass wer für zwei Weltkriege verantwortlich ist, vor allem den Mund halten sollte, wenn es um Außenpolitik geht. Auch die Machenschaften der Sudetendeutschen Landmannschaft (SdL), die immer noch antitschechische, revanchistische Ressentiments bedient, werden weiterhin misstrauisch beobachtet. Im Zusammenhang mit dem tschechischen EU-Beitritt hat die SdL ihre Aktivitäten noch verstärkt. Vergangenen Oktober eröffnete sie in Prag ein Büro. Der Vorsitzende und CSU-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Bernd Posselt, sprach damals sogar von einer »sudetendeutschen Botschaft«. Auf wenig Verständnis stößt, dass die Aktivitäten der SdL teilweise von der bayerischen Landesregierung und der österreichischen schwarz-blauen Koalition gebilligt werden. Der Freistaat Bayern ist das einzige Bundesland, in dem der Landtag das deutsch-tschechische Abkommen von 1992 und die deutsch-tschechische Deklaration aus dem Jahr 1997 abgelehnt hat.

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft tritt auch für die Gründung eines »Zentrums gegen Vertreibung« in Berlin ein, das der Bund der Vertriebenen geplant hat, dessen Mitglied sie ist. Manche in der Sudetendeutschen Landsmannschaft gehen sogar so weit, zu fordern, das Zentrum müsse in Prag errichtet werden. Viele Menschen sowohl in Tschechien als auch in Polen befürchten, dass mit diesem Zentrum nur bezweckt werden solle, die deutsche Minderheit nach dem zweiten Weltkrieg als unschuldiges Opfer von räuberischen tschechischen und polnischen Horden darzustellen, was mit der historischen Wirklichkeit wenig zu tun hat.

Aus tschechischer Sicht sollte sich ein solches Zentrum gegen alle Vertreibungen und ethnischen Säuberungen wenden. Spidla sprach sich daher gegenüber Schröder für ein Zentrum zur »Erforschung der Ursachen und Folgen von Kriegen« aus. Und er schlug vor: »Wenn man so etwas macht, könnte man es in einem Land machen, das nicht vorbelastet ist – etwa in Schweden.«

Die einzige Demonstration während des Staatsbesuchs fand am Malostransk Platz statt, wo Sorben und ihre tschechischen Freunde gegen die Politik der deutschen Bundesregierung und der sächsischen Landesregierung gegenüber nationalen Minderheiten protestierten. Sie wandten sich besonders gegen die Schließung der sorbischen Schule in der Oberlausitz. Die Tschechische Republik gilt wegen den gemeinsamen historischen Wurzeln als wichtigste Unterstützerin der Sorben. Die tschechische und die sorbische Sprache sind sich sehr ähnlich und an der Karls-Universität in Prag existiert einer von nur zwei Lehrstühlen für Sorabistik weltweit. Viele Generationen sorbischer Intellektueller haben in Prag studiert. Der Vorsitzende der Tschechisch-Lausitzer Gesellschaft, Leos Satava, rief die Bundesregierung dazu auf, mehr Verantwortung beim Umgang mit nationalen Minderheiten zu zeigen. Nach dem Staatsbesuch waren sich der Bundeskanzler und der tschechische Präsident aber einig, dass im »bilateralen Verhältnis gelegentliche Missverständnisse« ausgeräumt seien und »unterschiedliche Ansichten zu verschiedenen Fragen« auch weiterhin bestünden.

Es existieren neben staatsmännischen Verlautbarungen auch andere Beispiele, die zeigen, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen heute besser sind als früher. So fand im September in Tschechien eine Umfrage mit einem für Deutsche sicherlich erstaunlichen Ergebnis statt. Auf die Frage »Welche Fremdsprache beherrschen Sie?« antworteten fast 40 Prozent der Bevölkerung, dass sie mehr oder weniger gut Deutsch sprechen. An zweiter Stelle lag Russisch, erst danach Englisch. Auch im Rahmen des grenzübergreifenden Schulunterrichts gibt es einige hoffnungsvolle Entwicklungen. Beispielsweise das Schkola-Projekt in Zittau/Hrádek nad Nisou. Das Wort »Schkola« ist eine Kombination aus den Wörtern »Schule« und »äkola«. Einen Tag pro Woche verbringen deutsche Schüler in der tschechischen Schule, in der nächsten Woche ist es umgekehrt. Das Interesse ist auf beiden Seiten so groß, dass nicht genug Schulplätze zur Verfügung stehen.