Vier eigene Wände

Wenn Asylbewerber in Berlin nicht gerade abgeschoben werden, wie unlängst der Kongolese Raphael Batoba, können sie neuerdings auch auf Wohnungssuche gehen. von claudia seidel

Sollte es tatsächlich auch unter dem roten-roten Senat in Berlin einmal eine gute Nachricht geben? Seit dem 1. September gelten in Berlin die »Ausführungsvorschriften über die Anmietung von Wohnraum« durch Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Erlassen wurden sie von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz.

»Bisher wurden in Berlin Asylbewerberinnen und Asylbewerber in relativ kostenaufwändigen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Ein Leben in Wohnungen ist jedoch nicht nur finanziell günstiger, die Betroffenen können so auch ein selbstständigeres Leben führen«, begründet die Berliner Sozialsenatorin, Heidi Knake-Werner (PDS), die Vorschrift.

Schon im Februar ging ein Rundschreiben durch die Berliner Bezirke. Seitdem können die Bezirksämter entscheiden, ob ein anerkannter oder auch geduldeter Asylbewerber vom Heim in eine eigene Wohnung ziehen darf. Doch was ein Senat und die Sozialsenatorin vorschlagen, müssen die einzelnen Bürgermeister der Bezirke noch längst nicht in die Tat umsetzen.

Das bestätigt auch die Pressesprecherin der Senatsverwaltung, Roswitha Steinbrenner: »Asylbewerber haben keinen Rechtsanspruch auf eine Wohnung. Da kann jeder Bezirk selbst entscheiden.« Da es um den Berliner Haushalt schlecht bestellt ist, ist die Vorschrift allemal ein Argument, Kosten zu sparen. Meistens lohne es sich nur, wenn mindestens zwei Personen in eine Wohnung zögen. Wenn aber die Unterbringung im Heim günstiger sei als eine Wohnung, dann habe der Asylbewerber kaum Chancen, umziehen zu dürfen, sagt Steinbrenner.

Immerhin ist Berlin das erste Bundesland in Deutschland, das Flüchtlingen erlaubt, aus den oft beengenden, krank machenden Asylbewerberheimen auszuziehen. In anderen Bundesländern dürfen zum Teil bisher nur so genannte Härtefälle, also etwa kranke Menschen, aus den Massenunterkünften ausziehen. »Auch in Berlin lebten vor der Vorschrift ungefähr 30 Prozent der Asylbewerber bereits in Wohnungen«, erklärt Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat.

Der Flüchtlingsrat und andere Berliner Initiativen, die sich für die Rechte der hier lebenden Asylbewerber stark machen, hatten schon lange die Unterbringung in Wohnungen gefordert. Mit der praktischen Auslegung der Vorschrift sind sie jedoch längst nicht zufrieden. »Die Bezirke müssen die Vorschrift nicht anerkennen«, kritisiert Georg Classen. Selbst wenn die Gemeinschaftsunterkunft weitaus teurer sei als eine Wohnung, habe das keine rechtliche Relevanz.

Anfang Juli dieses Jahres lehnten die CDU und die FDP in Spandau und Reinickendorf die Abschaffung der Chipkarten für AsylbewerberInnen ab. Damit verhinderten sie, dass die dort lebenden Flüchtlinge Lebensmittel mit Bargeld im Supermarkt ihrer Wahl kaufen können. Zur gleichen Blockade könnte es nun wieder kommen.

Die Leistungsstelle des jeweiligen Bezirks entscheidet, ob die Mietkosten übernommen werden. Die Mietobergrenze entspricht der eines Sozialhilfeempfängers. Damit darf eine Wohnung für Alleinstehende – die Betriebskosten nicht einberechnet – nicht mehr als 225 Euro kosten. Die Mietobergrenze für einen Vierpersonenhaushalt liegt bei 365 Euro.

Oft kommt erschwerend hinzu, dass die Vermieter eine Kaution verlangen, die die Asylbewerber nicht bezahlen können. »Die zuständige Leistungsstelle übernimmt die Kaution nur bei Härtefällen«, erklärt der Referatsleiter im Landesamt für Gesundheit und Soziales, Peter Bargstedt. Viele Betroffene ließen die Kaution deshalb von Freunden oder der Familie bezahlen.

»Es gibt auch Wohnungsbaugesellschaften, die extra eine Kaution erheben, damit keine Asylbewerber in ihre Wohnungen ziehen«, bestätigt Roswitha Steinbrenner. Und wegen der »klammen Lage des Berliner Haushalts« könnten die Leistungsstellen die Kautionen oft nicht übernehmen. Deswegen seien die Leute dazu angehalten, kautionsfreie Wohnungen zu suchen. Aber immerhin hätten seit Februar schon 1 000 Leute ein trautes Heim gefunden.

Und dann gibt es da noch die städtischen Wohnungsgesellschaften, die den Betroffenen nur selten eine Hilfe sein wollen. Nach einem Bericht der Berliner Initiative gegen das Chipkartensystem wollen viele Gesellschaften keine Wohnungen an Asylbewerber vermieten. Anfang dieses Jahres habe zum Beispiel Kalid G. für sich und seine Familie eine Vierzimmerwohnung gesucht. Die Mietkostenübernahme sei dem Mann von der Leistungsstelle zugesichert worden. Daraufhin bewarb er sich mit rund 75 Schreiben bei verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften. Bis Anfang Mai habe er 17 Rückantworten erhalten, unter denen es keinen einzigen positiven Bescheid gegeben habe, erzählt er. In vielen Bescheiden habe gestanden: »Nach Prüfung Ihrer Angaben bedauern wir, trotz der großen Vielfalt unseres Angebotes, in unserem Hausbesitz keinen Wohnraum für Sie zu Verfügung stellen zu können.« Der Wortlaut sei stets ähnlich gewesen.

Andere Wohnungsgesellschaften verweigerten die Vermittlung, weil Bewerber mit einem befristeten Aufenthalt nicht Mitglied der Genossenschaft werden könnten. »Viele Wohnungsbaugesellschaften nehmen keine befristet geduldeten AsylbewerberInnen auf, weil sie fürchten, dass diese die Wohnung nach kurzer Zeit wieder aufgeben müssen oder abgeschoben werden und dann plötzlich weg sind«, sagt Peter Bargstedt. Die Initiative gegen das Chipkartensystem kennt Fälle, in denen die Wohnungsgesellschaft »Rücksicht auf die Wünsche und Stimmung vieler deutscher Mieter« nahm und nicht an Ausländer vermietete. Schließlich solle ja der Haussegen nicht schief hängen. Und außerdem erspare sich der Betroffene auch Unruhe und Ärger.

Aber was machen eigentlich Asylbewerber, die trotz ihrer Bemühungen keine Wohnung finden? Sie suchen verzweifelt nach der Wohnungsvermittlungsstelle. Die ist ein Phantom. Auch der Flüchtlingsrat kannte die Adresse der vermeintlichen Stelle Ende August nicht und konnte Betroffenen nicht weiterhelfen. Eine Broschüre hierzu gibt es nicht. Doch Knake-Werner und Steinbrenner sagen, dass es eine Wohnungsvermittlungsstelle gäbe. Die soll AsylbewerberInnen helfen, wenn sie nicht weiter wüssten.

»Die Leitstelle wurde schon rege besucht und arbeitet erfolgreich«, behauptet Steinbrenner. Auf die Frage, wo diese Stelle nun genau zu finden sei, sagt sie nur, dass sie sich im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) befinde. Die netten Frauen von der Unterbringungsleitstelle können und wollen auch nicht weiterhelfen und verweisen auf den Referatsleiter, Peter Bargstedt.

Der bestätigt, dass es eine Wohnungsvermittlungsstelle im LaGeSo gibt. Nur habe die bisher noch niemanden vermittelt. Denn wer keine Wohnung finde, der müsse sich zunächst bei seinem Bezirksamt melden. Die Leistungsstelle dort könne dann Kontakt zur Wohnungsvermittlungsstelle aufnehmen. Das leuchtet ein.