Und um Ulm herum

In Senden bei Ulm fühlen sich Rechtsextreme pudelwohl. Kein Wunder, denn die Stadt zeigt sich gerne kooperativ. von robert andreasch

Senden zeigte sich mal wieder tolerant. Für ein Konzert mit den rechten Liedermachern Michael Müller aus Regensburg und Annett Moeck aus Schwedt stellte die Stadt zehn Kilometer südlich von Ulm anstandslos den städtischen Festplatz, die Stromversorgung und die sanitären Anlagen zu Verfügung. Der Staatsschützer Walter Renz von der Polizei Neu-Ulm hatte zuvor wieder einmal die völlige Unbedenklichkeit signalisiert. Er ist Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Sendener Gemeinderat und sorgte dort für die Zustimmung. Fünf Tage nach den Sprengstoff- und Waffenfunden bei den Rechtsextremisten vom Aktionsbüro Süddeutschland um Martin Wiese (Jungle World, 39 und 40/03), nutzte schließlich Michael Müller, der wie Wiese ein Funktionär des Aktionsbüros Süddeutschland ist, eine Bühne auf städtischem Grund für sein antisemitisches Liedgut.

Rechtsextreme Aktivitäten sind in Senden und Umgebung nichts Neues. So überfielen am 11. Oktober 1998 15 Naziskinheads aus Senden und zehn aus dem angrenzenden Krumbacher Raum ein Narrenfest in der Gemeinschaftshalle in Witzighausen. Ein Gast wurde dabei schwer verletzt. »Die in der Witzighausener Gemeinschaftshalle aufgetretenen Skinheads werden eher einer locker zusammengewürfelten Gruppe zugerechnet, die sich nur hin und wieder einmal trifft, um dann ihre überschüssige Kraft abzulassen«, verharmloste damals der Sendener Hauptkommissar Hammer den Vorfall. »Vielleicht handelt es sich nur um eine vorübergehende Modeerscheinung.« Die Hoffnung war vergebens.

Der Raum Illertal, Senden und Neu-Ulm im Grenzgebiet Bayerns und Baden-Württembergs gehörte bereits in den siebziger Jahren zu den bevorzugten Orten für den Aufbau rechtsextremer Strukturen, damals unter der Regie des Vöhringer Lehrers Helmut Dieterle, der »Gauführer« der Wiking-Jugend Schwaben und der baden-württembergische Verbindungsmann der rechtsterroristischen Wehrsportgruppe Hoffmann war. Die Region wurde dann Anfang der neunziger Jahre durch eine als Sportverein SV Germania Bellenberg nur schlecht getarnte Wehrsportgruppe bekannt, die für ihr Treiben in den Wäldern Zuschüsse des bayerischen Innenministeriums beantragte.

In den neunziger Jahren organisierten sich Neonazis der Region bei den so genannten Skinheads Schwaben, einer Nachfolgeorganisation des 1996 verbotenen Vereins Skinheads Allgäu 88 e. V.. Die von der Antifaschistischen Aktion Ulm/Neu-Ulm im September 2003 veröffentlichte »Chronologie neofaschistischer Aktivitäten im Raum Senden« (www.ulm.antifa.net) weist schon vor dem oben beschriebenen Angriff in Witzighausen eine Vielzahl von Brandanschlägen, rechtsextremen Propagandaaktionen, Übergriffen und Veranstaltungen nach.

Auch nach einer Massenschlägerei mit Sendener Naziskins beim Waldfest des Musikvereins Bubenhausen im Juli 2002 war sich die zuständige Polizeidirektion in Krumbach noch sicher: »Von einem politischen Hintergrund und nationalsozialistischen Organisationen wie in Großstädten gehen wir nicht aus.« Als nur zwei Wochen später, am Jahrestag des Selbstmordes des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, in Senden rechtsextreme Parolen gesprüht und Transparente an Autobahnbrücken aufgehängt wurden, hieß es in der Lokalpresse lapidar: »Die Polizei vermutet ›Trittbrettfahrer‹, keine waschechten Neonazis hinter der Tat.«

In den vergangenen Jahren gelang es dem 19jährigen Vorsitzenden des Kreisverbandes der NPD im Landkreis Neu-Ulm, Stefan Winkler, einen größeren Teil der Naziskins im Raum Senden, etwa aus den Gruppen Koma-Kolonne 88, Skinheads Illertal oder Division Germania, unter dem Dach der NPD zu organisieren. Dass so genannte Freie Kräfte aus Franken ihn im Januar dieses Jahres auf den Internetseiten des Hamburger Aktionsbüros Norddeutschland und der Nürnberger Fränkischen Aktionsfront als Informanten des Verfassungsschutzes bezeichneten, beeinträchtigte die rechtsextremen Aktivitäten keineswegs.

Im Gegenteil: Das Haus von Stefan Winkler, an dessen schwarz-weiß-rotem Fahnenschmuck sich monatelang niemand störte, wurde als privater Jugendtreff der NPD eine beliebte Anlaufstelle für Sendener Jugendliche. In dem Städtchen mit seinen 20 000 Einwohnern entstand so binnen weniger Monate ein aktiver rechtsextremer Kreis von 50 Jugendlichen.

Dabei half ein gesellschaftliches Klima, in dem solche Aktivitäten ignoriert oder sogar gefördert wurden. Niemand protestierte in Senden gegen drei rechtsextreme Aufmärsche unter den Parolen: »Todesstrafe für Kinderschänder! Schluss mit der Hetze gegen uns Nationale! Junge Nationaldemokraten gegen US-Imperialismus!«

Am 13. Juni dieses Jahres stellte die Stadt Senden dem Schweizer Holocaust-Leugner Bernhard Schaub bereitwillig den städtischen Bürgersaal zur Verfügung. Noch als die NPD in Neu-Ulm bereits einen Veranstaltungsbericht auf ihrer Homepage veröffentlichte, bestritt der Staatsschutz Neu-Ulm, dass Schaub jemals in Senden aufgetreten sei. Einmal pro Monat wird der Sendener NPD bereitwillig ein öffentlicher Raum zur Verfügung gestellt. Nur der frühere NPD-Bundesvorsitzende Günther Deckert musste im August in einer privaten Sandgrube am Ortsrand auftreten. Der von der Stadt gern angebotene Heining-Saal erwies sich für die 200 Teilnehmer als zu klein.

Doch inzwischen regt sich auch Widerstand gegen diese Art der Toleranz. Am 20. September riefen die Antifaschistische Aktion Ulm/Neu-Ulm und die Bürgerinitiative Nazifreie Stadt Senden zu einer antifaschistischen Demonstration in Senden. Das weckte nicht nur den Sendener Bürgermeister Kurt Baiker (CSU) auf, der beim Landratsamt in Neu-Ulm und beim bayerischen Innenministerium in einem öffentlichen »Hilferuf« um ein Verbot bat, sondern auch süddeutsche Nazis. Der Stuttgarter Andreas Voigt, der früher das Café Germania in Dresden betrieb, forderte seine Kameraden per Email zur »Solidarität mit Senden« auf: »Kampf den linksterroristischen Unterdrückern und Schandtätern!«