Ein Stadion für alle Fälle

Per Volksabstimmung entschieden sich die Züricher für ein EM-Stadion mit angeschlossenem Shoppingcenter. von bilal alkatout

In der Schweiz gehen die Uhren ganz genau, und entsprechend eilig hatten es die Züricher Politiker. Am 7. Juni 2008 stehen sich schließlich die ersten Mannschaften in der Endrunde der Fußball-Europameisterschaft in Bern gegenüber, am 29. Juni findet bereits das Endspiel in Wien statt.

Dazwischen bestreitet die Gruppe B jedoch auch drei Spiele in Zürich. In der Finanzmetropole beschränken sich die EM-Vorbereitungen nicht nur auf das Aufpumpen der Bälle und das Nachziehen der Linien, sondern es müssen – und das ist neu – zusätzlich zu den Umkleidekabinen der Spieler auch noch welche für die Besucherinnen und Besucher montiert werden.

Nämlich für die des integrierten Einkaufszentrums. Eile ist angesagt, es soll nämlich ein recht großes Shoppingcenter werden, das auf 10 000 bis 16 000 Besuchern täglich eingestellt ist. Das sind weit mehr, als durchschnittlich den Spielen des amtierenden Schweizer Meisters Grasshoppers Zürich zusehen wollen. Da kann der Bau schon einige Zeit dauern, zumal der moderne Stadionbesucher eben nicht mehr nur allwochenendlich in Fankutte und mit Winkelement per S-Bahn anreist, sondern auch noch 1 250 Parkplätze braucht, um seine diversen Einkäufe anschließend bequem nach Hause zu schaffen. Es sei denn, er übernachtet im ebenfalls integrierten Hotel, verweilt noch in einem der zahlreichen Restaurants oder arbeitet gar in den geplanten Büros.

Im Züricher Gemeinderat dominierten die Befürworter des geplanten Stadionvorhabens, dagegen ausgesprochen hatten sich vor allem Anwohnerinitiativen, Kleingewerbetreibende, die Grünen sowie einzelne Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei. Nun durfte jedoch auch in einem Volksentscheid »das Wahlvolk« (Immobilien Business) ran. Basisdemokratisch wurde zwischen den sicherlich nicht minder interessanten Tagesordnungspunkten »Wohnbauförderung und Pensionskasse, Verlustdeckungsgarantie für Restfinanzierungsdarlehen der Pensionskasse Stadt Zürich, Ergänzung des Gemeindebeschlusses vom 31. August 1924« und »Definitive Einführung der Blockzeiten an der Unterstufe der Volksschule ab Schuljahr 2005/2006, Bewilligung jährlich wiederkehrender Ausgaben von 3 650 000 Franken« über den Gestaltungsplan des vom Architekturbüro Meili & Peter entworfenen fünfeckigen Züricher Stadions abgestimmt. Außerdem ging es um den städtischen Zuschuss von knapp 50 Millionen Franken in Form von Erschließungskosten und dem Grundstückswert. Für das geplante Restvolumen von gut 370 Millionen Franken zeichnen private Investoren um die Bank Credit Suisse verantwortlich.

Die Kritiker des Vorhabens, allen voran die Initiative Fußball statt Shopping, hatten jedoch erhebliche Bedenken geltend gemacht. Durch das Einkaufszentrum würde gerade kein Mehrwert geschaffen, sondern der Konsum lediglich verlagert. Bereits bestehende Geschäfte würden dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Die horrenden Mietpreise im Shoppingcenter könnten sich auch nur die Großen der Branche leisten. Ebenso verhalte es sich mit den angeblich neu zu schaffenden Arbeitsplätzen, die sich nur kurzfristig im Rahmen des Baus realisieren ließen.

Während der Projektleiter von der Credit Suisse, Reinhard Giger, von einer »massiven Aufwertung« des Quartiers spricht, hat das Verkehrskonzept mit Nachhaltigkeit wenig zu tun. Der Lärmpegel wird zwar steigen, jedoch nicht wie gewünscht zur Anstoßzeit im Stadion, sondern vor allem während der Einkaufsstoßzeiten. Gerade einmal 10 000 Zuschauerinnen und Zuschauer haben in der vergangenen Saison im Durchschnitt die Heimspiele der Grasshoppers besucht, die des FC Zürich wollen meist nur 6 000 Fans anschauen. Und auch das 1:0 der GC im Stadtderby vor gut einem Monat lockte gerade 13 000 Supporter an. Wie die Stadionplaner den Schnitt auf 18 000 respektive 10 000 anheben wollen, wurde nicht verraten. Aber auch wenn plötzlich die Massen strömen würden, würden bei geplanten Zuschauerkapazitäten von rund 30 000 im neuen Stadion die Spiele vor und nach der EM regelmäßig vor halb leeren Rängen stattfinden.

Der Fußball steht aber sowieso nicht unbedingt im Vordergrund des Vorhabens. Die Anhänger aus den Kurven wie zum Beispiel der Grashopper-Fanclub »Blue Side« fürchten, dass mit dem neuen Stadion ein ganz andere, zahlungskräftigere Klientel ins Stadion gelockt werden solle. Höhere Eintrittspreise wären die Folge – wer schon einmal in Zürich war, kann sich vorstellen, was das heißt. Im vor nicht allzu langer Zeit fertig gestellten Basler St.-Jakob-Park kostet die billigste Karte mittlerweile 33 Franken. Der schweizerische Soziologe Markus Lamprecht spricht vom Fußball als einem »Mittelschichtsanlass«, bei dem man sich amüsiere, aber nicht identifiziere.

Eingriffe in die Fanstruktur kommen in der Schweiz zudem nicht gerade selten vor. In Basel sollte ein ganzer Fanblock für eine Choreografie für den Sponsor »Meister Proper« gewonnen werden: die »Muttenzer Kurve« im T-Shirt mit dem Saubermann. Das ist ungefähr so, als würde in der Münchner Südkurve für Milch oder auf dem Betzenberg für Toleranz gegenüber der gegnerischen Mannschaft geworben.

In gewohnter Manier werden geplante Gewinne privatisiert und Verluste verstaatlicht. Richard Wolff, Experte für Stadtentwicklung, zweifelt daran, dass das Projekt jemals rentabel betrieben werden könne. Die Verantworlichen sprechen von einem anvisierten Gewinn von 6,5 Prozent pro Jahr. Die auch in Zürich finanziell in Schwierigkeiten steckenden Fußballclubs könnten die höheren Mieten für den Neubau gar nicht bezahlen. Die Stadt, mit 29 Prozent an der Eigentümergesellschaft beteiligt, müsste irgendwann mit Steuergeldern die Verluste ausgleichen. Über 7,5 bis 18 Millionen Franken pro Jahr an Sozial- und Umweltkosten, die in Zürich zusätzlich zu den bereits erwähnten Kosten für die Erschließung sowie dem Wert des städtischen Grundstücks anfallen, wird selbstredend geschwiegen.

Die Kommune, so die Initiativgruppen, dürfe nicht unter dem Vorwand der Europameisterschaft zu einem Stadion genötigt werden, das bezüglich der Finanzen (65 Prozent), der Flächen (60 Prozent) und des verursachten Verkehrs (95 Prozent) hauptsächlich ein Einkaufszentrum ist. Der Stadtpräsident Elmar Ledergerber (»Alle Fußballfans, alle Optimisten, alle die positiv denken und Zürich gern haben, treten für das Stadion ein«) wolle lediglich sich selbst ein Denkmal setzen und sei deshalb von den privaten Investoren leicht manipulierbar. Alternativvorschläge für die EM sehen ein kurzfristiges Aufstocken der Zuschauerränge im vor nicht allzu langer Zeit teilsanierten Hardturm-Stadion auf 26 000 Plätze vor.

Die Züricherinnen und Züricher haben am vergangenen Sonntag das Projekt jedoch nicht des Feldes verwiesen, wie es der Kabarettist und Ex-Fußballer Urs Wehrli hoffte. Für ihn stellt das neue Stadion ein Eigentor dar, die Lebensqualität im Züricher Westteil würde durch das Großvorhaben »grob gefoult« und es müsste vielmehr »Freistoß geben für eine vernünftige Mantelnutzung des Stadions«.

Bei der Abstimmung am 7. September votierten jedoch 63,3 Prozent für den Gestaltungsplan, sowie 59,2 für die finanzielle Beteiligung der Stadt. Noch ist jedoch nicht alles entschieden. Die Projektgegner haben bereits angekündigt, den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Aber in der Schweiz werden sie sicherlich auch die Zeit, die das benötigt, einkalkuliert haben.