Nachrichten

Purer Fortschritt

Frankreich. Viele denken es, Nicole Fontaine sagt es laut. Die französische Industrieministerin plädierte vergangene Woche für den Neubau von Atomkraftwerken. Ihr Favorit: der EPR (European Pressurized Reactor), den die französische Atomfirma Framatome (heute Areva) und der Siemens-Konzern in den achtziger Jahren gemeinsam entwickelten. Der Reaktor der dritten Generation ist angeblich moderner und sicherer als die bestehenden Anlagen. Allerdings hat Fontaines Vorstoß auch die Atomkraftfans in der französischen Regierung überrascht. Premierminister Jean-Pierre Raffarin beeilte sich zu versichern, es sei noch »keine Entscheidung gefallen«. Doch die Ministerin will den Prototyp für den EPR schon 2010 in Betrieb nehmen, um ab 2015 mit dem serienmäßigen Bau von sieben bis acht Reaktoren zu beginnen. Die grüne Partei ist erwartungsgemäß gegen den Bau, die Sozialisten sind gespalten, während die KP energisch dafür ist. Die konservative UMP von Präsident Raffarin sieht in dem Bau nur »eine vorübergehende Etappe auf dem Weg zur vierten Reaktorgeneration« – die dann natürlich noch fortschrittlicher und sicherer werden soll.

Bedrohte HändlerInnen

Ukraine. Die Proteste waren absehbar: Ukrainerinnen und Ukrainern aus den Dörfern der Grenzregion zu Polen versammelten sich vergangene Woche am Fußgänger-Grenzübergang von Schehyni-Medyka, um gegen die polnische Visumspolitik zu protestieren. Vor allem ältere Frauen blockierten den Übergang und forderten, dass die neue Visumspflicht für Anwohnerinnen und Anwohner der Grenzregion aufgehoben wird. Denn seit dem 1. Oktober müssen Ukrainer für die Einreise nach Polen beim polnischen Konsulat ein Visum beantragen. Die Menschen der Grenzregion sehen dadurch ihre Existenzgrundlage bedroht. Für die Kleinhändlerinnen bedeutet die Neuregelung, nach L’viv zum polnischen Konsulat zu fahren, dort mehrere Stunden in der Schlange zu stehen, um den Antrag abzugeben, und dann an einem weiteren Tag das Visum abzuholen – eine Prozedur, die den flexiblen Kleinhandel über die Grenze vernichtet. Für Empörung sorgt auch, dass die Visumspflicht nur für Ukrainer gilt. Polnische Bürgerinnen und Bürger können nach wie vor ohne Visum in die Ukraine einreisen.

Brandsätze vor Olympia

Griechenland. Erst Ende September waren sieben Brandanschläge innerhalb weniger Minuten im Großraum Athen gezündet worden. »Nachmitternächtlichen Slalom« nannte der »Verein der Arbeitnehmer für den gesellschaftlichen Aufstand« seine Aktion. Ziel der Brandsätze, die teilweise hohe Sachschäden verursachten, waren Parteibüros von Pasok und Nea Dimokratia, die Privatwohnungen von Politikern der beiden Parteien, einer Journalistin und eines Hochschullehrers. In einem Schreiben an die Tageszeitung Eleftherotypia forderte die Gruppe eine »sofortige Freilassung der sieben Verhafteten des EU-Gipfels«. Des Weiteren erklärten die Autoren ihre Solidarität mit den Gefangenen des Revolutionären Volkskampfes (ELA) und den »nicht bereuenden Gefangenen des 17. November«. Mit Blick auf die Olympischen Spiele 2004 äußerten sich Regierungs- und Polizeikreise beunruhigt über das erneute Aufkommen politischer Gewalt, zeigten sich aber zuversichtlich, bis dahin alles im Griff zu haben.

Vergangene Woche wurde jedoch erneut ein Brandanschlag auf eine Postfiliale in Thessaloniki verübt. Anarchistische Gruppen besetzten zudem zwei Radiostationen der Stadt und verlasen live ihre Forderung nach sofortiger Freilassung der sieben Gefangenen des EU-Gipfels. Vier der Inhaftierten befinden sich derzeit im Hungerstreik.

Kleine Fische

Spanien. Mit einer großen Verhaftungswelle versucht die spanische Justiz, die Infrastruktur der Eta zu zerschlagen. Insgesamt 34 mutmaßliche Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation wurden am vergangenen Mittwoch bei Razzien in Frankreich und Spanien verhaftet. Viele der Festgenommenen seien erst vor kurzem der Eta beigetreten, hieß es im spanischen Innenministerium. Die meisten von ihnen seien zwischen 20 und 30 Jahre alt. Ihnen wird vorgeworfen, neue Mitglieder angeworben und Informationen über Politiker als mögliche Anschlagsopfer gesammelt zu haben. Innenminister Angel Acebes geht davon aus, dass durch die Polizeiaktion eine Neuorganisation der Eta verhindert wurde. »Dass die ETA in letzter Zeit keine Anschläge verübte, liegt daran, dass sie dazu nicht in der Lage war«, sagte der Minister. In Rom wurde unterdessen am gleichen Tag eine Bombe vor einem Büro der spanischen Fluggesellschaft Iberia gefunden und entschärft.

Über Zweifel erhaben

Niederlande. Auch der spanische Aktivist Juan Ramón Rodríguez Fernández wird wohl demnächst in einem Knast in Spanien landen. Fernández, der in den Niederlanden lebt, hatte dort anderthalb Jahre lang gegen eine Auslieferung geklagt. Ende September lehnte schließlich das höchste Gericht der Niederlande in Den Haag den Antrag seines Anwalts auf ein Auslieferungsverbot wegen zunehmender Folterungen von Eta-Verdächtigen in Spanien ab. Die Anschuldigungen gegen Fernandez basieren einer Unterstützergruppe zufolge auf einer Aussage, die unter Folter zustande gekommen und unmittelbar im Anschluss widerrufen worden sei.

Den Niederlanden waren die guten Beziehungen zu Spanien offenbar wichtiger als die Zweifel an der Einhaltung der Bürgerrechte in dem EU-Mitgliedstaat. Darum kümmert sich nun das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. Ein Mitarbeiter, Theo van Hoven, reiste vergangene Woche zu einer zweitägigen Untersuchung der Foltervorwürfe nach Spanien. Er habe bei seinen Gesprächen mit Regierungsbeamten und angeblichen Folteropfern sehr widersprüchliche Aussagen erhalten, sagte Boven. Eingeladen hatte ihn das spanische Außenministerium.