Zwei sind einer zu wenig

In Kürze beginnt der Prozess gegen drei Magdeburger, die einer terroristischen Vereinigung angehören sollen. So oder so wird der Paragraf 129a in der linken Szene der Stadt Spuren hinterlassen. von thorsten fuchshuber

Die Gründung wie auch die Abwicklung eines eingetragenen Vereins ist eine komplizierte Sache. Sie bedarf der schriftlichen Dokumentation eines jeden Vorgangs, der abschließend noch vom zuständigen Amtsgericht beglaubigt werden muss.

Ähnlich verhält es sich offenbar mit der Auflösung einer terroristischen Vereinigung.

Einer solchen sollen nach Ansicht der Bundesanwaltschaft Daniel W., Marco H. und Carsten S. zugehörig sein. Jedoch wurde bei einer Hausdurchsuchung eine Auflösungserklärung der als »terroristisch« eingestuften Gruppierung gefunden. Für das zuständige Oberlandesgericht Naumburg war das Grund genug, die Untersuchungshaft der drei Magdeburger unter strengen Auflagen außer Kraft zu setzen, da mit der Auflösung der Gruppe auch der Terrorverdacht entfalle.

Nun hat eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Freilassung von Daniel W. und Marco H., die seit einem knappen Jahr inhaftiert sind, sowie von Carsten S., der seit einem halben Jahr einsitzt, doch noch verhindert. Das Gericht, das nach einer Beschwerde der Bundesanwaltschaft tätig geworden war, bezweifelte Anfang Oktober die Seriosität der Auflösungserklärung.

Was, wie so oft, wenn die Bundesanwaltschaft eine terroristische Vereinigung zu konstruieren versucht, die Züge einer Posse trägt, ist für die Betroffenen wenig amüsant. Am 27. November 2002 wurden Daniel W. und Marco H. vom Bundeskriminalamt festgenommen. Sie werden beschuldigt, Mitglieder des nach Paragraf 129a des Strafgesetzbuches als terroristische Vereinigung eingestuften »kommando: freilassung aller politischen gefangenen« zu sein. Sie »und weitere Mitglieder« sollen unter »wechselnden Bezeichnungen« zwischen August 2001 und März 2002 in Magdeburg vier Brandanschläge verübt haben. Dabei wurden zwei Neuwagen in einer Niederlassung von Daimler-Chrysler sowie zwei Fahrzeuge der Telekom zerstört. Die Anschläge auf das Gebäude des Landeskriminalamts in Magdeburg sowie auf einen Bus des Bundesgrenzschutzes »gelangten über das Versuchsstadium nicht hinaus«, wie die Bundesanwaltschaft schreibt.

Daniel W. wurde wegen eines angeblich von ihm stammenden Fingerabdrucks festgenommen. Dieser soll sich auf dem Karton befunden haben, in dem der Brandsatz unter dem BGS-Fahrzeug deponiert war. Der Haftbefehl von Marco H., der zusätzlich der Rädelsführerschaft bezichtigt wird, wurde mit diversen bei einer Hausdurchsuchung aufgefundenen »Utensilien zur Herstellung von Sprengkörpern« legitimiert, als da wären: eine Batterie, eine Fahrradglühbirne und die Reste von Feuerwerkskörpern.

»Zuerst haben sie zwei Leute festgenommen, dann hatten sie sechs weitere im Visier. Da war uns schon klar, was das bedeutet, wenn wegen einer terroristischen Vereinigung ermittelt wird, aber nur zwei Leute in U-Haft sitzen«, erinnert sich Markus Fröhlich vom Magdeburger UnterstützerInnenkreis. Um das Konstrukt nach Paragraf 129a aufrechterhalten zu können, musste mindestens ein drittes Mitglied her.

Wohl aus diesem Grund erkor die Bundesanwaltschaft die offen arbeitende linke Gruppe »Autonomer Zusammenschluss« zum Ursprung der Militanten. Am 1. April 2003 wurden unter anderem die Wohnungen sechs weiterer Beschuldigter sowie das AJZ in Dessau durchsucht. »Der Paragraf 129a stellt den Ermittlungsbehörden ein ganz anderes Instrumentarium zur Verfügung als etwa der Vorwurf der Brandstiftung«, sagt Martin Poell, der Rechtsanwalt von Daniel W., und »er diente auch der Einschüchterung der örtlichen Szene in Magdeburg«.

Am 16. April dieses Jahres, einen Tag nachdem er auf einer Pressekonferenz der Magdeburger »Soligruppe« zum Verfahren öffentlich aufgetreten war, wurde schließlich Carsten S. festgenommen und beschuldigt, Mitglied der terroristischen Vereinigung zu sein. Damit war die erforderliche dritte Person gefunden.

Den psychischen Druck, den die Strafverfolger während der Ermittlungen ausübten, habe er »in der Form noch nicht erlebt«, sagt Rechtsanwalt Poell. »Da ist mit ganz üblen Methoden gearbeitet worden.« So wurde etwa Carsten S. Anfang Juli vom BKA zu einem »Ausflug« aus der Haftanstalt geholt und in ein Café gebracht, wo man sich »in Ruhe mit ihm unterhalten« wollte. Dort wurde ihm seine Situation vor Augen gehalten und erfolglos versucht, ihn zu Aussagen zu bewegen. Die Ermittler zielten auch darauf ab, die Magdeburger Szene einzuschüchtern.

Überdies hat die Bundesanwaltschaft mit Blick auf eine in der Berliner Szenezeitschrift Interim geführte Militanzdebatte offensichtlich beabsichtigt, eine in der ganzen Republik agierende Gruppe zu konstruieren. »Das ist aus den Akten klar zu erkennen«, meint Rechtsanwalt Poell, die Absicht sei jedoch »kläglich gescheitert«.

Der Magdeburger UnterstützerInnenkreis legt unterdessen großen Wert darauf, das Verfahren nicht nur juristisch zu begleiten. »Wir wollen die Gesetze, die es ermöglichen, gegen die Linke vorzugehen, auch politisch thematisieren«, sagt Markus Fröhlich. Ein zentraler Aspekt sei die Kampagne gegen den Paragrafen 129a.

In einer Erklärung der Soligruppe wird auch die Kriminalisierung offen arbeitender Gruppen wie des »Autonomen Zusammenschlusses« angesprochen: »Bereits in der Vergangenheit wurde in einigen wenigen Fällen versucht, gegen legale linke Gruppen mit der großen Repressionskeule, dem Paragrafen 129a, vorzugehen. Die Versuche scheiterten.« In dieser Kontinuität seien auch die Ermittlungen in Magdeburg zu sehen.

Doch von einem Scheitern der Staatsgewalt kann leider nicht die Rede sein. Zwar kam es in mehreren Verfahren, wie etwa gegen Passauer und Göttinger Antifa-AktivistInnen, nicht zu Verurteilungen nach dem Terrorismusparagrafen, doch die sozialen und ökonomischen Auswirkungen auf die Beschuldigten waren zum Teil enorm. Das ist auch Fröhlich vom UnterstützerInnenkreis bewusst: »Wir wollen deutlich machen, dass das ein politischer Paragraf ist, der nicht in ein normales Rechtssystem gehört. Er dient dazu, die Linke zu schwächen, und verfolgt nicht den Zweck, mit dem er legitimiert wird.«

Denn der Sinn des Paragrafen 129a liegt nicht darin, einen Rechtsbruch zu strafen, sondern die Rechtsordnung selbst und die Macht derer, die das Recht setzen, zu bekräftigen. Feindlich verhält sich der Souverän gegenüber jenen, die in radikaler Intention seine Rechtsordnung und damit auch ihn grundsätzlich in Frage stellen. Sie bekommen seine vernichtende Gewalt zu spüren.

»Rechtsetzung ist Machtsetzung und insofern ein Akt von unmittelbarer Manifestation der Gewalt«, schrieb Walter Benjamin. Das beinhaltet auch die Definition dessen, was als Terrorismus zu gelten hat. Eine Person der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu verdächtigen, macht es möglich, sie und ihr gesamtes Umfeld zu überwachen und auszuspionieren.

Am 21. Oktober beginnt in Halle der Prozess gegen Daniel W., Marco H. und Carsten S. Am 25. Oktober wird in Magdeburg eine bundesweite Demonstration für ihre Freilassung stattfinden. »Die Demo soll zum einen ein deutliches Signal für viele Linke in Magdeburg sein, die demotiviert sind, weil ja in letzter Zeit auch vieles kaputt gegangen ist«, sagt Markus Fröhlich mit Blick auf die Räumung zweier Hausprojekte und die durchlebte Repression. »Wir wollen damit aber auch außerhalb von Magdeburg wahrgenommen werden und zeigen: Das ist ein Angriff auf die Linke, und das kann sich überall wiederholen.«

Demoaufruf für den 25. Oktober und weitere Informationen: www.soligruppe.de