Die Perle am Spreewaldplatz

Heiß und Eis I

Wer beim Aufguss raus will, muss einen Herzinfarkt vortäuschen oder den Bademeister überwältigen, der breitbeinig die Tür blockiert. Ansonsten keine Chance, alle bleiben drin. Unerbittlich wird ein ganzer Eimer Zitronenmelissewasser auf den Ofen gegossen, und es wird so lange mit dem Handtuch gewedelt, bis die Tränen in die Augen schießen. Das soll abhärten und gut sein gegen Erkältung.

Man ist schließlich nicht zum Spaß hier, sondern befindet sich in einer Einrichtung mit volksgesundheitlichem Auftrag. Die Sauna im Spreewaldbad ist etwas für Liebhaber, für überzeugte SO-36-Bewohner und für Fans des keimig-funktionalen Kachelcharmes öffentlicher Badeanstalten aus der Ära des Wohlfahrtsstaates.

Nach Kriterien wie Preis-Leistungsverhältnis, Freundlichkeit und Service, Hygiene, Ambiente, Deko und Ruhefaktor sollte man das Heißluftbad am Görlitzer Park allerdings nicht beurteilen. An der Kasse gibt es fast immer einen Anranzer: »Wat? Se wollen rein? Könnense nich lesen? Mittwoch Männertaaach!« Der ermäßigte Eintritt liegt seit der Sparoffensive des Senats im Sommer 2001 bei sieben Euro für zwei Stunden plus Schwimmbadbenutzung, ansonsten sind es neun Euro. Frauentag ist donnerstags.

Heute ist jedoch Freitagabend, an der Kasse gibt es nur einen genervten Blick auf die Uhr, und schon kann das Drehkreuz am Einlass passiert werden. Ausziehen, Frotteemantel und Badelatschen an, und dann muss nur noch die stets unterheizte Schwimmhalle durchquert werden. Hier riecht es nach Chlor, Fußpilz und Frittierfett, denn das Bistro ist offen und praktischerweise recht nah an den Beckenrand gebaut. An Plastiktischen sitzend, genehmigen sich einige Badegäste schon mal die ersten Bierchen oder spielen Skat. Die Pommes sind erstklassig und kosten nur einen Euro.

Eine Tür trennt die Halle vom Saunabereich. Den dahinter liegenden Tresen schmücken ein Körbchen mit Plastikobst und ein Strauß bunter Kunstblumen. Im Hintergrund läuft »Tränen lügen nicht«. Die Angestellte löst sich nur unwillig von ihrem Bastei-Rätselheft, um Besucher einzulassen.

Schnickschnack wie Farben-, Klang-, Bio- oder Feuchtluftsauna gibt es hier nicht. Man hat die Wahl zwischen finnischer Sauna 85 Grad und finnischer Sauna 95 Grad. Wer sich unten hinsetzt, ist unten durch bei den Mitschwitzern und ein so genannter Untensitzer. Zum Abkühlen stehen zwei Tauchbecken mit dem stadtweit kältesten Wasser bereit. Die beiden Ruheräume haben das Flair von Blutspendezentren. Auch der betonierte und oben vergitterte Freiluftbereich lässt keine Gemütlichkeit aufkommen. Die Obensitzer, die Kreuzberger Sweatkings, gehen hier auch bei Eis und Schnee eine Viertelstunde im Kreis, schnaufen und rufen sich ihre neuen Schwitzrekorde oder die Bundesligaergebnisse zu. Man fühlt sich wie beim Hofgang im Knast.

Dazu passt, dass der Bademeister alle 45 Minuten im Kommandoton »Aufguss« schreit und alle reinrennen. Doch manchmal wird man für all das entschädigt. Dann macht der Chef einen Whiskyaufguss und gibt eine Runde Jägermeister aus.

alice wunderlich