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Nach unten abweichen

Tarifrecht. Auf einem Gewerkschaftstag nach einer großen Krise muss die Basis mit ein paar kämpferischen Worten an die Regierung besänftigt werden. Ansonsten aber gibt man sich offen und gesprächsbereit. Sporadisch wird bis auf weiteres an Zielen festgehalten, die, wenn es so weiter geht wie in den letzten Monaten, keine Chance haben, verwirklicht zu werden. So macht es die IG Metall mit der 35-Stunden-Woche nach dem Gewerkschaftstag in Hannover vergangene Woche.

Wohin die signalisierte »Gesprächsbereitschaft« führen kann, ist nicht schwer zu erraten: Während der Vorstand der IG Metall nun den Auftrag hat, bis Ende des Jahres 2005 ein zweistufiges Tarifmodell zu prüfen, das es erfolgreichen Betrieben ermöglichen würde, ihre Belegschaft zu belohnen (war das jemals ein Problem?), spricht auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall längst von »Öffnungsklauseln«. Bloß sollen die aus der Sicht der Unternehmer ausschließlich dazu gut sein, Abweichungen nach unten zu ermöglichen, und zwar nicht mehr nur in schweren Unternehmenskrisen. Untertarifliche Bezahlung könnte schon damit begründet werden, dass sie angeblich dazu diene, neue Aufträge an Land zu ziehen.

Hinter Gittern

Schwarzarbeit. Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Damit das ein für alle Mal klar gestellt wird, hat das Bundesfinanzministerium ein Gesetz vorgelegt, das Mitte 2004 in Kraft treten soll. Aus einer Ordnungswidrigkeit würde eine Straftat. Wer sich bei der Schwarzarbeit erwischen lässt, verbringt womöglich zehn Jahre hinter Gittern. Das gilt gerade für Empfänger von Geld aus den öffentlichen Kassen wie Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Dem neuen Gesetzesentwurf zufolge kann einem Schwarzarbeiter auch das Recht aberkannt werden, ein öffentliches Amt zu bekleiden oder sich in ein solches wählen zu lassen.

Um das in der Staatskasse fehlende Geld einzuholen, werde das Zollamt stärker in die Fahndung nach Steuerhinterziehern eingebunden und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Länderfinanzbehörden verbessert. 7 000 Fahnder an 113 Dienststellen sollen dem Bund jährliche Einnahmen von einer Milliarde Euro garantieren.

Das Ministerium machte keine Angaben dazu, wie die Verpflegung Hunderttausender Gefangener aus diversen Branchen finanziert werden soll.

Subversive Aktion

Brandanschläge. Rolf und seine Freunde mögen keine Arbeitsämter. Die geplanten Reformen des Arbeitsmarkts sowie der Renten- und Gesundheitspolitik bedeuten eine konkrete Armutsbedrohung für einen Großteil der Bevölkerung. »Eine Reservearmee brachliegender und per Arbeitszwang jederzeit verfügbarer hochflexibler Arbeitskräfte übt einen enormen Druck auf die regulär Arbeitenden und ihre Arbeitsverhältnisse in Richtung weiterer Flexibilisierung aus«, heißt es in einem Schreiben, das der Jungle World vorliegt. Darin bekennt sich das »Projekt Subversive Aktion« unter anderem zu den Brandanschlägen auf zwei Berliner Arbeitsämter in den Bezirken Wedding und Steglitz in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober.

Durch die Brandsätze auf den Dächern der Institutionen wurden keine Menschen gefährdet.

Doppelrolle vor Gericht

Prozess. Sollte Levent Ö. in naher Zukunft Identitätsprobleme bekommen, wäre das kein Wunder. Denn vor dem Berliner Landgericht tritt er in der kommenden Woche gleichzeitig als Angeklagter und Ankläger auf.

Im Mai 2000 feierte der 44jährige aus der Türkei stammende Berliner eine Party. Gegen Mitternacht endete das Fest mit dem Erscheinen der Polizei, die wegen Ruhestörung herbeigerufen worden war. Weil Levent Ö. gegen das Vorgehen der Beamten protestierte, wurde er abgeführt und auf dem Weg zum Dienstwagen brutal mit dem Kopf auf die Pflastersteine gestoßen (Jungle World, 52/02).

Ein Einsatzleiter der Polizei, der im vergangenen Dezember vom Amtsgericht Tiergarten wegen gefährlicher Körperverletzung zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, strengt nun das Berufungsverfahren an. Im gleichen Hauptverfahren will die Staatsanwaltschaft des Berliner Landgerichts die Berufung der Gegenanklage gegen Levent Ö. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Körperverletzung verhandeln. Vor zweieinhalb Jahren war er vom Amtsgericht Tiergarten in allen Punkten der Anklage freigesprochen worden. Der Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, Wolfgang Kaleck, spricht von einer »absurden Konstruktion«. Ö. müsse zugleich als Nebenkläger gegen die Polizeibeamten und als Angeklagter auftreten. Dies sei in einem einzigen Gerichtsverfahren unvereinbar und der Prozess sei zum Scheitern verurteilt.

Die Verhandlung findet im Landgericht Berlin, Turmstraße 91, Raum B 129, am 29. Oktober, 31. Oktober und 5. November um jeweils 9 Uhr statt. Infos: 030 - 69 56 83 39 (Reachout).

Che lebt, die Erde bebt

Junge Union. In Santa Clara auf Kuba bebt die Erde, die Erschütterung ist noch tausende Kilometer weit zu spüren. Ernesto Che Guevara dreht sich in seinem Grab um.

»Che wäre heute in der JU« und würde mit ihr gegen »verkrustete Strukturen« kämpfen, heißt es auf einer Postkarte der Jungen Union in Berlin-Reinickendorf. Darauf abgebildet ist eine Fotomontage des Revolutionärs, dessen Barett statt eines fünfzackigen Sterns die Buchstaben »JU« zieren. Dazu trägt er ein schwarzes T-Shirt, unvorteilhaft in die schwarze Jeans gestopft, mit der Aufschrift: »Engagiert Euch!«

Die zusammen mit würzigen Kartoffelchips verabreichten Postkarten sollen die Jugend der Hauptstadt in die JU treiben: »Eine revolutionäre Aktion«.