Nageln für die Heimatfront

Eine neue kulturwissenschaftliche Studie widmet sich der Darstellung von Freund und Feind in Deutschland während des Ersten Weltkriegs. von jan süselbeck

Kaum zu glauben, aber wahr. Es gab eine Zeit, in der tausende zahlende Deutsche in Volksfeststimmung zusammenströmten, um Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zu »nageln«. Das war im Ersten Weltkrieg, und es geschah am helllichten Tag. So sollte die »Heimatfront« bei Stimmung gehalten und Geld für patriotische Spendenaktionen gesammelt werden. Ein Plakat verkündete reißerisch: »Der eiserne Hindenburg von Berlin. Nagelung täglich. Auch in der kalten Jahreszeit. Bei schönem Wetter Militärkonzert.«

Ein schlechter Sado-Maso-Witz? Keineswegs. Eine Stiftung namens »Nationalgabe«, deren Ehrenpräsidentschaft Hindenburg höchstselbst übernahm, regelte den Verkehr. Als besondere Ehre durfte sich der Schirmherr ab September 1915 in Gestalt eines zwölf Meter hohen und (ungenagelt) sechsundzwanzig Tonnen schweren Holzkolosses, den man am Berliner Reichstag aufstellte, täglich selbst von den Volksmassen »nageln« lassen. Dies sollte Glück bringen, vor allem an der Front.

Solche skurrilen Rituale interessieren die Kulturwissenschaftlerin Britta Lange in ihrer knappen und informativen Monographie über deutsche Kriegsausstellungen während der Zeit des Ersten Weltkriegs.

Keineswegs reißerisch, sondern betont sachlich und nüchtern schildert Lange die bizarren Inszenierungen der deutschen Kriegspropaganda. Ihre Dokumentation ist faktenreich und auf intensive Quellenrecherchen gestützt. Die Autorin lässt die Abgründe rassistischer Feindstereotypisierungen, Gewaltverherrlichungen und inszenatorischer Sexualisierung des deutschen »Volkskörpers« vor den Augen des Lesers plastisch werden. Von weitschweifigen Kommentaren und langatmigen Interpretationen sieht sie ab.

Merkwürdig, dass sich Klaus Theweleits legendäre »Männerphantasien« nicht in Langes Literaturliste finden. Liest sich ihre Studie doch wie eine verblüffende Veranschaulichung der Theweleitschen These, wonach die lustvollen Tötungsexzesse der deutschen Krieger des 20. Jahrhunderts samt ihres propagandistischen Brimboriums mit der faschistischen Verkehrung kollektiver Sexualstrukturen zusammenhängen.

Ein beschreibender und durch historische Abbildungen unterstützter Rundgang durch die im Januar 1916 in Berlin eröffnete »Deutsche Kriegsausstellung« nimmt den Haupteil von Langes Buch ein. Eroberte und zerstörte feindliche Geschütze stellten damals große Attraktionen für die Daheimgebliebenen dar. Die ausgestellten Waffen sollten einerseits die Gefahr des modernen Krieges veranschaulichen und andererseits die angebliche technische Überlegenheit der deutschen Kampfkraft unterstreichen.

Lange zeigt, wie die neuartigen Waffen und Geschütze in den Beschreibungen der Ausstellungskataloge zusehends personifiziert wurden. Tötungsinstrumente wurden vermenschlicht. Kanonen trugen nun putzige Namen wie etwa »Dicke Berta«.

»Die Waffe schien an der Stelle des Menschen zu handeln, zu sprechen oder gar zu fühlen«, erläutert Lange und zitiert das Berliner Tagblatt vom 8. Januar 1916, in dem »die guten Maschinen« als »laut schreiend, stöhnend und fauchend« charakterisiert werden. Hier manifestiert sich auch eine auffällige Sexualisierung der Artilleriebeschreibungen, die Arno Schmidt einmal kurz und bündig mit der doppelbödigen Wendung »Arse = Tillery + Säcksuallität« bedachte.

Die Kampfhandlungen des Krieges, denen bisher nie dagewesene Massen von Menschen zum Opfer fielen, wurden allein in der sachlichen und verharmlosenden Sprache der Technik geschildert. Verwundete und Tote wurden hingegen in den Kriegsausstellungen weder gezeigt noch erwähnt.

Kriegsgegner tauchten in den Kriegsausstellungen nur als stereotypisierte Feindbilder in Gestalt von Wachsfigurengruppen auf, die die Uniformen der »feindlichen« Formationen trugen und in nachgestellten »alltäglichen« Frontsituationen gezeigt wurden. Auch hierin verbarg sich eine eigentümliche Untoten-Nekrophilie: »Die Wachsfiguren waren aus leblosem Material so gestaltet, dass sie möglichst lebensecht erschienen. Sie bedienten sowohl das Bedürfnis der Heimatfront nach einer lebendigen Anschauung der Kriegsgegner als auch das militärische Ziel ihres tatsächlichen Todes. So waren die ausgestellten Feinde weder lebend noch tot«, bemerkt Lange treffend.

Dieses bizarre Zombie-Weltbild trat 1916 im ideengeschichtlichen Gefolge des Phänomens der lukrativen Massenattraktionen von Wachsfigurenkabinetten sowie Kolonial- und Völkerkundeausstellungen auf, in denen schon früh »anthropologische Rassetypen« konstruiert werden sollten. Solche Inszenierungen waren seit den 1880er-Jahren überaus populär geworden, als das Deutsche Kaiserreich in die aktive Kolonialpolitik eingetreten war.

Im Ersten Weltkrieg schürte die deutsche Kriegspropaganda die kollektive rassistische Häme gegenüber den »minderwertigen Hilfsvölkern«: »Unter den Russen fällt der mongoloide Typ auf. Man wird Stunden darauf verwenden können, diese Proben des großen Menschen-Mischmasch, den unsere Feinde gegen uns ins Feld geführt haben, zu studieren«, zitiert Lange einen triumphierenden Zeitungskommentar zur Hamburger Kriegsausstellung von 1916.

Auch der für den Ersten Weltkrieg nach dem schnellen Erstarren der Fronten so charakteristische, mörderische Stellungskampf in den Schützengräben erreichte die Heimat bald, wie Lange im letzten Teil ihres Buches dokumentiert. Man zeigte Miniaturnachbildungen von Schützengräben und baute diese sogar im Maßstab eins zu eins nach, damit das Publikum darin umhergehen und »nachfühlen« konnte, wie der Alltag der Kämpfer aussah: »Sogar Schützengräben mit Drahthindernissen und Unterständen wurden dem Großstädter, dem ja nichts Menschliches fremd bleiben durfte, zur Schau gestellt […], und manche der biederen Besucher meinten, nunmehr das Leben der Frontsoldaten aus dem Grunde zu verstehen, und beneideten ihn wohl um seine reichliche Verpflegung, die die Kriegsausstellung in einer Abteilung vorgewiesen hatte«, heißt es in einem weiteren, von der Autorin zitierten historischen Kommentar.

Britta Langes Buch leistet in seiner informativen Kürze einen erstaunlich weitreichenden Beitrag zur Aufhellung der kulturhistorischen Hintergründe der Kriegsausstellungen, die einerseits als Propagandamedium eingesetzt wurden, um die »Heimatfront« auf die eliminatorische Kriegsideologie einzuschwören, und andererseits eine wichtige Einnahmequelle etwa für das Deutsche Rote Kreuz darstellten, das damit im Dunstkreis der mörderischen Staatsmacht eine alles andere als kriegsverhindernde, durchaus frivole Rolle spielte. Langes Band gibt wichtige neue Einlicke in kulturelle und gesellschaftliche Zusammenhänge der Geschichte des Ersten Weltkriegs sowie der deutschen Museums- und Ausstellungsgeschichte, die eben auch eine Geschichte der Mordpropaganda ist. Die Skurrilität des Horrorkabinetts, das hier nachgespielt wird, macht die Monographie paradoxerweise sogar zu einer vergnüglichen Lektüre, bei der dem Leser nur das Lachen gelegentlich im Halse stecken bleibt.

Britta Lange: Einen Krieg ausstellen. Verbrecher Verlag, Berlin 2003. 128 S., 13 Euro