Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3 553

Heute schossen ammoniakhaltige Strahlen aus dem Krebsnebel K9 auf unsere Stellung nieder. Ein übelkeitserregender heißer Schwall drang aus den Belüftungsschlitzen in unsere Hütte ein. War dies der Angriff, vor dem uns das Hauptquartier schon vor Wochen gewarnt hatte?

Als die Dämmerung einbricht, gehen wir auf Patrouille, um Spuren der Attacke zu verifizieren. Im Niemandsland fahren wir langsam an Häusern von Marines vorbei. Dann immer weiter westlich in die entlegenste Ebene von Wonder Valley, wo die lokalen Freaks sich niedergelassen haben und ihre rattenhaften Neo-Hippiesöhne und -töchter in alten Militärtrucks über Sanddünen brausen und dazu Sounds von »Death in Vegas« hören.

Hannah tritt aufs Gas. Wir fahren eine Stunde in östlicher Richtung bis zum einzigen Coffeeshop in der Geisterstadt Amboy, wo zuletzt Annie Leibowitz ein Fotoshooting mit John Cusack für Vanity Fair abgehalten hat. Keine besonderen Vorkommnisse. Außer einem Bullenwagen, der uns seit der Dämmerung verfolgte. Jedenfalls bildeten wir uns das ein.

Hannah ist seit der Strahlenattacke unsicher und ein bisschen verstört. Es ist so etwas wie eine Erinnerung, die wiederkehren wollte, es aber nicht ganz schaffte, und sie versuchte, ihr auf die Sprünge zu helfen, doch je mehr sie sich bemühte, desto mehr verlor sich die Erinnerung im Dunkel. Die verminderte Kalorienzufuhr der letzten Monate hat ihren Körper geläutert, Isolation und die ungewisse Mission haben bei ihr einen extremen Destruktionsdruck erzeugt. Action-Euphorie durchströmt Hannahs Körper. Vielleicht hat sich sogar ihre Molekularstruktur verändert.

Sie konzentriert sich jetzt auf den Bordradar, auf dem der Bullenwagen signalisiert wurde, der uns ins Visier genommen hatte. Es dauert dreißig Minuten, bis sich der Streifenwagen auf eine halbe Meile genähert hat. Es ist jetzt dunkel, der Streifenwagen fährt ohne Licht, um uns zu überraschen. Wir gehen in Position. Auf diesen Moment hat Hannah gewartet.

Während der Vorbereitungen zur Attacke führt sie einen inneren Kampf gegen einen fremden Hirnschirm. Von magnetischen Klauen gesteuert, wird ihr Blick militärisch: Zieleinstellung, Blickwinkel, toter Winkel, toter Punkt. Sie bringt in das grundsätzliche Chaos des Sehens eine dauerhafte Ordnung. Vor uns rollt jetzt dieser verdammte Bullenwagen durch die absolute Dunkelheit.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, schreit Hannah plötzlich. »Koordinationspunkt verlegen!« Der Bullenwagen rollt schneller als erwartet. Das Wort stürzt. Das Bild stürzt. Flipperkugeln schießen aus Hannahs Raketenrohr. Durchbruch in den roten Raum: Treffer! Der durchlöcherte Streifenwagen dreht sich auf den Rücken und rutscht einige Meter über den Asphalt. Bis ein roter Feuerball hochschießt. Sehr schön. Dreißig Sekunden Stille. Schweigen.

Dann steht plötzlich ein kleiner Chinesenjunge vor dem explodierten Wagen. Er schickt so eine Art Widerstandsbotschaft klickend durch unseren Flipperautomaten: Schlachtfelder waren schon immer prädestiniert für gute Unterhaltung, die sich wiederum zu Slogans und Warenzeichen der Medienkultur verwandeln.

Aus dem Streifenwagen knattern jetzt schöne tote Kurzwellenströmungen. Stimme Amerikas. So klingt das, wenn so ein Streifenwagen auf dem Rücken liegt, zwischen zerrissenen und amputierten Körperteilen. Hannah bemüht sich um ein Lächeln, das anhält. Ihre Wangenmuskeln zucken, die Mundwinkel zittern. Die Action-Euphorie ist jetzt echt erledigt.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman