Die Bart-Party

Kommunismus dient nicht als theoretische Grundlage für soziale Kämpfe, sondern bloß als revolutionärer Gestus in defensiven Zeiten. von ivo bozic
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Es ist durch unzählige Fotos belegt: Marx hat einen Bart. Und Engels auch. Oder ganz anders gesagt: Kommunismus ist ein alter Hut. Ein Cordhütchen. Gute Sache, logisch, aber eben alles andere als chic. Dachte man jedenfalls. Seitdem jedoch die Schlaghosen hervorgekramt werden, Siebziger-Jahre-Shows die Fernsehprogramme füllen und sich nun sogar Genesis wiedervereinigen wollen, da erlebt offenbar auch jenes »Gespenst«, das einmal in Europa umherging, sein Revival, zumindest verbal.

Sogar mit dem Unwort Klassenkampf darf man wieder klappern – und keiner scheint dafür die Existenz von Klassen oder Kämpfen nachweisen zu müssen. Mag der Begriff der Klasse eine zulässige Beschreibung der Gesellschaft im aufkommenden Industriezeitalter gewesen sein, so taugt er unter den veränderten Arbeitsweisen heute und nach den linken Analysen der vielförmigen Unterdrückungsverhältnisse einer Gesellschaft allenfalls dazu, den Sozialneid einiger Klassenclowns auf die Klassensprecher der Parallelklasse anzuheizen. Klassenkampfrhetorik führt im breiten Diskurs nur zur Personalisierung der Kapitalismuskritik, also zum Antikapitalismus der dummen Kerls, zu einem tumben »Wir da unten gegen die da oben«. Bestenfalls!

Hinter dem klassenmäßig halluzinierten »Wir« steckt noch eine gefährlichere Dynamik: Denn die »Klassen« in Deutschland gerieren sich vor allem als Nation. »Wir sind das Volk«, mehr Klassengefühl darf man vom deutschen Michel nicht erwarten. Sicher, mit Marx hat das nichts zu tun. Aber mit Marx haben eben auch die meisten jener Leute nichts zu tun, die man da in eine Klasse hineinagitieren möchte.

Allerdings sind die neulinken Ambitionen bezüglich einer maroden Zwanziger-Jahre-Rhetorik nachvollziehbar. Nach dem Ende der Blockkonfrontation Anfang der neunziger Jahre und damit nach dem zumindest vorläufigen Ende jeder weltrevolutionären Perspektive stand die Linke in Deutschland vor dem Nichts. Der Sozialismus hatte sich in Form des so genannten Realsozialismus im Osten deutlich desavouiert, und wenn von den Massen eine Gefahr für das bestehende System ausging, dann war es eine völkische. Die blaue Marx-Engels-Werkausgabe verschwand unterm Bett und die Linke begnügte sich in den Neunzigern gezwungenermaßen mit dem Widerstand gegen die rassistisch-nationale Pogromstimmung im Lande. Das war angemessen und notwendig, jedoch kein Ersatz für ein verloren gegangenes Weltbild.

Und so griff die radikale Linke in ihrer Verzweiflung zu »Empire« von Negri und Hardt. Noch vor Erscheinen der deutschen Ausgabe wurde dem Werk historisches Format angedichtet: Ein neues »Kapital«, eine neue linke Bibel! Der Gebrauchswert für die praktische politische Arbeit ist jedoch offenbar so gering, dass inzwischen kaum mehr jemand vom »Empire« spricht. Eine mit geballter Faust vorstellbare »Arbeiterklasse« ist eben griffiger als eine vage »Multitude«, die so manchem altgedienten Marxisten denn wohl doch zu sehr als postmodernes Gespenst erscheint.

Also runter auf die Knie, die Kisten mit den blauen Bänden unterm Bett hervorgezerrt, und schon ist alles wieder in Ordnung. Jetzt muss nur noch das Bangen um die eigene Identität und um das Weltbild als politische Analyse verklärt werden. Und da kommt die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung mit dem größten Sozialabbau in der Geschichte der BRD gerade recht. Widerstand muss her! Und selbstverständlich muss man jetzt wieder über Ökonomie reden, über Kapitalismus also, und nach wie vor gibt es kein besseres Werkzeug zur Analyse des Kapitalismus als den Marxismus.

Angesichts des Fehlens einer linken Sozialdemokratie und des Versagens der Gewerkschaften und der PDS als oppositionelle Kräfte bleibt der radikalen Linken kaum etwas anderes übrig, als deren Rolle einzunehmen: Hartz-Pläne stoppen, Rentenreform verhindern usw. Doch möchte man sich als Linksradikaler selbstverständlich nicht als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus wiederfinden, sich nicht die revolutionären Fingerchen mit schäbigem Reformismus schmutzig machen. Also muss der Gang zur Sozialdemo mit radikalen Parolen aufpoliert werden. Eine radikale Perspektive, eine systemübergreifende, antagonistische Kritik muss her. Nicht nur gegen Schröder, sondern gegen den Kapitalismus an sich – oder eben: Für den Kommunismus. Und in der Tat: Über den Sozialabbau zu reden, ohne dabei über Kommunismus zu reden, wäre sträflich, aber über Kommunismus zu reden statt über den Sozialabbau, das ist nichts als Verbalradikalismus. Identitätshuberei statt politischem Interventionswillen. Kommunismus nicht als theoretische Grundlage für soziale Kämpfe, sondern als revolutionärer Gestus in defensiven Zeiten.

Am kommenden Wochenende findet nun ein dreitägiger Kongress zum Kommunismus in Frankfurt/Main statt. Ein »Kulturkongress« wohlgemerkt, staatlich gesponsert und mit einer Referentenliste, länger als die Bärte von Marx und Engels zusammen. Dennoch fürchten Frankfurter Lokalpolitiker eine umstürzlerische Wirkung und beklagen die Teilnahme von Autonomen und Linksradikalen an dieser Tagung. Orthodoxe Kommunisten wiederum beklagen das Fehlen von kommunistischen Parteien und Kadern und unterstellen dem Kongress sogar antikommunistische Ambitionen, was natürlich ebenso absurd ist.

Es ist ein großer Fortschritt, dass dieser Kommunismuskongress weitgehend ohne Kommunisten stattfindet. Denn das größte Übel am Kommunismus waren zweifellos die Kommunisten. Was wäre schon von einer Versammlung von DKPlern und irgendwelchen siechen K-Gruppen zu erwarten? Wer ohne festes ideologisches Weltbild Politik macht, ist in deren Augen eh schon Antikommunist.

Aber auch wer im Zusammenhang mit Kommunismus über Demokratie reden will, hat seine Seele offenbar schon an den Teufel verkauft. So jedenfalls liest es sich bei Ernst Lohoff und Norbert Trenkle (Jungle World, 45/03). Um den Kommunismusbegriff unbesonnen benutzen zu können, erklären sie zunächst einmal, dass alle realsozialistischen Versuche der Vergangenheit mit Kommunismus gar nichts zu tun hätten, weshalb sich eine kritische Aufarbeitung wohl erübrigt. Derart vom Buckel der Geschichte befreit, identifizieren sie Demokratie mit Kapitalismus, um dann beides gleichermaßen zu denunzieren. Sicher ist die faktische Gleichsetzung von Demokratie und Kommunismus (wie im Dossier der Jungle World, 43/03) ebenso verkehrt, und Kritik an diesem bürgerrechtlerischen Politikansatz ist mehr als berechtigt.

Lohoff und Trenkle aber übersetzen wortklauberisch Demokratie als »Herrschaft des Volkes über sich selbst« und benennen – zu Recht – die darin enthaltene staatstragende, zivilgesellschaftliche Konnotation. Dass im allgemeinen Diskurs mit dem Begriff Demokratie jedoch vor allem Freiheitsrechte, speziell individuelle, und der Gedanke von Gleichheit und gleichen Rechten mitgedacht und mitgemeint sind, klammern die beiden Autoren aus. Über Kommunismus zu reden, ohne über Freiheit reden zu wollen, das sollte allerdings spätestens nach den Erfahrungen aus den Realsozialismen verboten sein.

Auf jeden Fall wird also in Frankfurt über Kommunismus und wohl auch über Demokratie geredet werden. Schaden kann es ja nicht. Oder doch? 1995 gab es in Berlin einen Autonomie-Kongress, der das Ende der klassischen Autonomen markierte. Der Antifa-Kongress 2001 in Göttingen bildete den Endpunkt der Antifa-Bewegung. Jetzt also ein Kommunismuskongress. Es besteht Anlass zur Sorge.