Fremd und nicht von hier

In Jamel in Mecklenburg-Vorpommern leben keine Ausländer. Deshalb verjagen die dortigen Neonazis auch deutsche Ortsfremde. von andreas speit

Nur eine kleine Abzweigung von der Landstraße zwischen Grevesmühlen und Wismar führt in das Dorf Jamel. Am Ortsschild sind noch Spuren eines schnell weggewischten Hakenkreuzes zu sehen. Fast alle Häuser des Ortes mit seinen 20 Einwohnern liegen an der einzigen Dorfstraße. Nur ein Haus steht vereinzelt da. »Vorsicht bissiger Hund« und »Unbefugtes Betreten verboten« steht an den meisten Grundstücken des Dorfes geschrieben.

Am Ende der Straße steht ein marodes altes Gutshaus. Ein Schäferhund schlägt gleich laut an, so dass ein Nachbar argwöhnisch aus dem Haus tritt. Fremde Besucher sind in dem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern offenbar unerwünscht. Und neue Nachbarn scheinen noch weniger willkommen zu sein. Am 3. Oktober dieses Jahres zündeten Unbekannte ein Haus am Forstweg 10 mit Brandbeschleunigungsmitteln an und erklärten das Grundstück mit einem Schild zum »militärischen Sicherheitsbereich«.

»Die neuen Besitzer aus Hamburg waren nicht da«, erzählt Fritz Kalf (SPD), der Bürgermeister der nahe gelegenen Gemeinde Gägelow. Die Familie hatte trotz der gemalten Begrüßung »Verpißt euch!« mit der Instandsetzung angefangen und 70 000 Euro investiert. Dann aber wurde am Tag der Deutschen Einheit die gesamte Inneneinrichtung abgefackelt. »Sie müssen wohl aufgeben«, meint der 72jährige Kalf resigniert.

Zum wiederholten Male muss sich Bürgermeister Kalf mit der Situation in dem Dorf auseinandersetzen. Nicht alle Einwohner seien bekennende Neonazis, glaubt er, aber bis auf eine Person stünden sie den rechten Aktivitäten wohlwollend gegenüber.

Begonnen hat alles am Ostersonntag 1992. Anlässlich des Geburtstags Adolf Hitlers feierten über 120 Neonazis in dem Gutshaus, das damals die Familie Krüger bewohnte. »Heute räuchern wir euch aus«, hatten sie der einzigen andersdenkenden Familie Goscinsky angedroht. Der Sohn der Familie Krüger, Sven, hatte schon Goscinskys Hühner auf den Gartenzaun gespießt.

Der Bürgermeister glaubte der Drohung. Mit zwei Bekannten und einer Schrotflinte schützte er die Familie, als die Neonazis deren Haus angriffen. Vier Polizisten, die eintrafen, baten eiligst um Verstärkung und verschanzten sich auch im Haus. Als zusätzliche Polizeibeamte eintrafen, hatten die Neonazis Fenster, Türen und ein Auto zerstört und flüchteten. Bis heute sind die Täter nicht ermittelt. Dafür musste Kalf sich wegen unerlaubten Waffenbesitzes verantworten.

Im Herbst 1995 zogen die Goscinskys wegen der anhaltenden Drohungen nach Lübeck. Auch die Krügers verließen das Dorf, allerdings nur, weil die Baubehörde die Baufälligkeit des Gutshauses feststellte.

Als 1996 Dorffremde eines der leer stehenden Gebäude in Jamel kaufen wollten, ging das Haus in Flammen auf. Die Gemeinde erwarb die Ruine und verkaufte sie später an ein junges Paar. »Auch sie gaben den Kampf bald auf«, erzählt Kalf. Vor einem Jahr konnten jedoch die Krügers, dank einer Schenkung, wieder nach Jamel in ein Haus neben dem Gutshaus ziehen. Immer wieder soll die Familie, die Frau, der Mann und ihr Sohn, Besuch von »rechten Freunden« bekommen.

»Seit über zehn Jahren führt Sven Krüger die regionale Nazigruppe an«, sagt Eckhard Heins von der Initiative »Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt (Lobbi)«. In Wismar überfiel Sven Krüger 1992 einen vietnamesischen Händler und beteiligte sich wenige Monate später an einem Angriff auf eine Asylbewerberunterkunft. Nach einer Zeit in Haft überfiel er 1996 mit weiteren 30 Neonazis eine Kindergruppe auf dem Campingplatz im nahe gelegenen Leisten. Wieder wurde er inhaftiert, dieses Mal für zwei Jahre. Im Jahr 2001 flog er dann auf Staatskosten im Rahmen einer sozialpädagogischen Maßnahme nach Namibia zum Wandern. »Die Kaffer sind wirklich so scheiße, wie ich dachte«, soll Sven Krüger danach gesagt haben.

Offenbar üben die Neonazis um Sven Krüger schon länger auch den Umgang mit der Waffe. Im März dieses Jahres hörten Jäger Gewehrschüsse im Everstorfer Forst. Warnschilder mit der Aufschrift »Vorsicht Schusswaffengebrauch – Der Kommandant« offenbarten dem örtlichen Jagdkollektiv, dass es keine Wilderer waren, die sich hier auf die Pirsch begeben hatten. Ein Jäger erstattete schließlich Anzeige.

Doch wegen einer Wehrsportübung überstürzt die Polizei in dieser Region nichts. Erst drei Monate später durchsuchten Polizeibeamte den Forst und das Dorf. Sie sammelten unzählige Patronenhülsen im Wald auf, fanden einen Schützengraben und entdeckten das Warnschild. Im Ort selbst stießen die Beamten auf einen Kleinlaster und einen Jeep in Armeefarben, der mit Symbolen der Wehrmacht versehen war. Auf der Ladefläche des Lasters lagen Luftdruckwaffen und Schreckschusspistolen. Die Familie Krüger war an dem Tag der Durchsuchung nicht da. In der Gemeinde dächten sowieso einige, dass der Krüger »unter besonderem Schutz« stehe, sagt Kalf.

Über die nun laufenden Ermittlungen wollen die Behörden nichts Genaueres sagen. »Wir führen zu Jamel zwei Verfahren wegen Brandstiftung, vier Verfahren wegen Diebstahl, ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen der Bildung einer bewaffneten Gruppe durch«, erläutert Ulrich Tauchel, der Leiter der Polizeidirektion Schwerin. Die Ermittlungen des Staatsschutzes seien aber noch nicht abgeschlossen.

Nachdem der Bürgermeister sich vor kurzem an die lokale Presse wandte, scheinen die Behörden schneller zu handeln. Mittlerweile hat eine Ortsbegehung der Polizeiführung und des Bürgermeisters stattgefunden. »Der Ort ist abgelegen, was unsere Arbeit nicht leichter macht«, betont Tauchel und bittet um »Mitarbeit«. In Zukunft werde die örtliche Polizei verstärkt auf Streife fahren.

Kalf aber bleibt skeptisch. »Seit über zehn Jahren höre ich immer wieder: Wir machen was, wir unternehmen was. Ich glaube es nicht mehr.« Die Brandanschläge in Jamel seien der erste Fall von wirklicher Fremdenfeindlichkeit, merkt Eckhard Heins von Lobbi an. Denn die Gewalt richtet sich tatsächlich gegen alle Fremden.