Böse werden

75 Millionen Euro sollen die drei Berliner Universitäten sparen. Seit der Senat auch noch die Einführung von Studiengebühren diskutiert, werden die Studenten aktiv. von sonja fahrenhorst

Auf dem Rednerpodium steht Babel. Er ist Student an der Fakultät für Physik der Technischen Universität in Berlin. Mit dem Mikrofon in der Hand richtet er sich an die etwa 600 KommilitonInnen, die zur öffentlichen Vollversammlung vor dem Roten Rathaus gekommen sind. »Am 19. November tagt der Wissenschaftsausschuss im Abgeordnetenhaus. Um acht Uhr morgens leider«, ruft er in die Menge. »Das Thema sind die Kürzungsmaßnahmen. Nutzen wir unser demokratisches Recht, dort teilzunehmen! Gehen wir hin, und zeigen wir, dass wir protestieren!« Er erntet lauten Beifall.

Ein anderer Student, der sich Protestplakate um den Hals gehängt hat, findet die Aufforderung zu unentschlossen: »Leute! Steht um sechs auf, um fünf auf, um drei auf, wenn es notwendig sein sollte! Damit ihr weiter studieren könnt! Ansonsten müsst ihr in Zukunft immer um zwei aufstehen, damit ihr das Geld zum Studieren verdienen könnt!«

Wenn die Pläne des Berliner Senats verwirklicht werden, sieht es für die Studierenden der drei Berliner Universitäten tatsächlich bald schlecht aus. Bereits im Wintersemester 2004/2005 wird mit Zuschüssen aus den Taschen der Studierenden für den Landesetat gerechnet.

Der Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) plant die Einführung so genannter Studienkonten. Nach diesem Modell soll eine bestimmte Anzahl von Semesterwochenstunden gebührenfrei sein. Wenn das Zeitkontingent überschritten wird, muss bezahlt werden. »Langzeitstudenten« sollen mit maximal 500 Euro pro Semester zur Kasse gebeten werden. Von einem gebührenpflichtigen Studium ist dieses Modell nicht weit entfernt.

Der Umfang der im Hochschulbereich veranschlagten Kürzungen wurde bereits im Sommer dieses Jahres festgelegt. Flierl zufolge steht die Summe von 75 Millionen Euro nicht mehr zur Debatte. Für die Sanierung des Haushalts müsse eben gespart werden, auch an den Unis.

Dabei werden den Universitäten seit den neunziger Jahren permanent die Mittel gekürzt. In den nächsten beiden Jahren sollen 54 Millionen Euro aus dem Universitätsetat zur Haushaltskonsolidierung beitragen und bis zum Jahr 2009 die 75 Millionen Euro eingespart sein. »Hinzu kommt die Kostenübernahme für die Unis durch das Land«, sagt Thomas Sieron vom Referat für Studium und Lehre an der Humboldt-Universität. »Die effektiven Einsparungen liegen also für die Universitäten deutlich über 100 Millionen Euro.«

Obwohl die Zustände an den Universitäten schon jetzt kaum tragbar sind, muss also jede noch über 30 Millionen Euro einsparen. Die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Technischen Universität sank von 1200 im Jahr 1992 auf 600 im Jahr 2003, während die Zahl der Studierenden von 40 000 auf 32 000 zurückging. Das Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaft der Freien Universität (FU) hat nach Angaben des Professors Peter Grottian seit 1993 64 Prozent des wissenschaftlichen Personals verloren, die Lehrveranstaltungen sind überfüllt und ein effizientes Lernen kaum mehr möglich.

Auch die Humboldt-Universität (HU) ist seit Jahren personell unterbesetzt, die Lehrveranstaltungen sind überfüllt. Hier sollen weitere 28 Prozent der Professorenstellen gestrichen werden und 380 wissenschaftliche MitarbeiterInnen weniger an den Instituten arbeiten. Deshalb wird beispielsweise am Institut für Romanistik kaum noch Lehrpersonal zur Verfügung stehen, während die agrarwissenschaftliche Fakultät wohl schließen muss. Insgesamt sollen 3 000 Studienplätze abgebaut werden. An den anderen beiden Unis werden die Einsparungen ähnlich ruinöse Zustände hervorrufen.

Die zaghaften Proteste der Studierenden im Sommersemester schliefen schon nach einigen Tagen mangels Beteiligung ein. Nachdem die Universitäten in nahezu allen Fächern einen Numerus Clausus eingeführt haben, um die Anzahl der Immatrikulationen zu verringern, sind die Studis jedoch aufgewacht. Schließlich bekamen viele von ihnen wegen des erhöhten Verwaltungsaufwands ihren Studentenausweis und das Semesterticket erst Wochen nach Beginn des Wintersemesters zugeschickt. Die Diskussion um Gebührenmodelle tat ein Übriges, um den Studierenden klarzumachen, wohin der aktuelle Sparkurs auf Bundes- und Landesebene im Bildungsbereich führt.

Die öffentliche Versammlung vor dem Roten Rathaus am 13. November war nur eine der studentischen Protestaktionen der vergangenen Wochen. Am 5. November beschloss die studentische Vollversammlung der Technischen Universität, an der mehr als 1 000 Studierende teilnahmen, einen unbefristeten Streik. Der Verkehr auf dem Ernst-Reuter-Platz wurde zwischenzeitlich lahm gelegt, Fakultäten wurden besetzt, um den Lehrbetrieb zu stoppen und die KommilitonInnen zu mobilisieren. Mit Vorlesungen in U- und S-Bahnen sollte der Öffentlichkeit die Situation an den Hochschulen vor Augen geführt werden. Vor der Fakultät für Architektur wurden unter dem Motto »Berlin wird Weltstadt – ein Slum entsteht« aus alten Holzplanken, Wellblechplatten und Pappschachteln kleine Hütten gebaut. Über 300 Studierende blockierten mehrere Straßenzüge am Alexanderplatz, die »AG Weltrevolution« sowie das »Rudi-Dutschke-Plenum« hielten Sitzungen ab.

Die Studierenden fordern auch mehr Mitspracherechte in allen Gremien der Universitäten. Schließlich befürworten die Präsidenten der Universitäten, Kurt Kutzler (TU) und Jürgen Mlynek (HU), die geplanten Kürzungen. Angaben des studentischen Referats der Universität zufolge schlug Mlynek gar vor, man könne doch auch eine höhere Summe einsparen als die vom Senat geforderte.

An der Humboldt-Universität will man sich dem Streik anschließen. Die Vollversammlung am 12. November beschloss die Bildung von Arbeitsgruppen und Streikteams zur Vorbereitung von Aktionen. Ob tatsächlich, ab wann und wie lange gestreikt wird, soll auf der nächsten Vollversammlung beschlossen werden.

Vor allem an der Freien Universität versuchen derzeit noch einige Professoren, ihre Studis dazu zu überreden, lieber zu protestieren als Mathe zu machen. Peter Grottian trat am 11. November zusammen mit seinen Kollegen Wolf-Dieter Narr und Fritz Vilmar für zwei Wochen in einen symbolischen Lehrstreik am Otto-Suhr-Institut.

Außer überfüllten Hörsälen prangern sie die Umstellung des Studiums auf Bachelor- und Masterstudiengänge mit Leistungspunktesystemen an. Die »Bonus-Malus-Bestrafung« und die Verkürzung der Studienzeiten seien Muster, die an die Agenda 2010 angelehnt und eine »kopflose Übernahme ökonomischer Effizienzpostulate« seien, heißt es in ihrer Streikerklärung.

Vor dem Roten Rathaus war Grottian natürlich auch dabei, um gegen die katastrophale Bildungspolitik des »rot-blassroten« Senats zu protestieren. »Nichts habe ich gegen gute Demonstrationen«, verkündete er auf der öffentlichen Vollversammlung. »Die am 1. November war gut. Aber wir brauchen auch konflikthafte Formen, die wirklich wehtun. Die meisten studentischen Proteste der letzten Jahre waren einfach zu lieb.«