Der Schöne
und der Streik

Bei einem eintägigen Generalstreik in der Dominikanischen Republik gegen die Wirtschaftspolitik der sozialdemokratischen Regierung wurden acht Menschen erschossen. von paco alvarez, santo domingo

Bartolo Alberto Pérez, Francisco Alberto Martínez und Nelson Arias Henríquez kannten sich nicht. Und doch ist ihnen eins gemeinsam: Am Dienstag vergangener Woche starben sie in einem der Armenviertel der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo. Sie wurden während des 24 Stunden andauernden Generalstreiks erschossen.

Der 21 Jahre alte Kochbananenverkäufer Bartolo Pérez war das erste Opfer des Streiktages. Ihn traf eine Polizeikugel in den Hals.

Francisco Alberto Martínez traf die tödliche Kugel um 15 Uhr im bevölkerungsreichen Stadtviertel Vietnam der drei Millionen Metropole. Martínez reparierte Autoreifen. Die Kugel stammte aus dem Revolver eines Kunden, eines Ordnungshüters aus der nahe gelegenen Polizeistation. Der 25jährige Mann hatte sich, so berichtete seine Mutter der dominikanischen Tageszeitung El Caribe, Tage zuvor geweigert, dem Polizisten mit dem Nachnamen Valdez kostenlos einen Reifen zu reparieren.

Nelson Arías starb in Capotillo, einst ein kämpferisches Viertel, das mehr und mehr von Jugendbanden dominiert wird, deren tägliches Brot Gewalt und Drogen sind. Sein Studium hatte er zum Entsetzen seiner Mutter Ángela vor drei Jahren hingeschmissen, um sich als »gemeiner Polizist« seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Polizeisprecher, Oberst Ramón Francisco Rodríquez Sánchez, erklärte der Presse, der Polizeibeamte sei während eines Schusswechsels zwischen der Polizei und Demonstranten tödlich getroffen worden. Augenzeugen hingegen sahen, dass Arías von seinen eigenen Kollegen erschossen wurde.

Außerdem starben Humberto Antonio Rosario Reyes, 19 Jahre, Daniel Pérez Vásquez, 24 Jahre, Ramón Romeo Pérez Ramírez, 19 Jahre, und der 30jährige Arbeiter José Antonio Torres. Einen Tag zuvor war in Santiago bereits ein Mann erschossen worden, weil er seinen Wagen bei einer Polizeikontrolle nicht schnell genug stoppte. Und die Gewaltwelle riss auch am Mittwoch nicht ab. Ein zuvor festgenommener Jugendlicher wurde erschossen im Krankenhaus abgeliefert.

Amnesty international hat die dominikanische Regierung aufgefordert, die tödlichen Schüsse zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

24 Stunden ging in der Dominikanischen Republik fast nichts mehr. Größere Supermärkte und Einkaufszentren blieben aus Mangel an Angestellten und Käufern geschlossen. Selbst die kleinen Lebensmittelgeschäfte an den Ecken hielten ihre Eisengitter geschlossen. Die Streikenden forderten die Reduzierung der Lebensmittel- und Medikamentenpreise, Lohnerhöhungen um 100 Prozent, Schluss mit den Stromsperren. Und sie verlangten die Reduzierung der Benzinpreise, die sich in den letzten Monaten teils verdoppelt haben.

Obwohl die Regierung bereits seit Tagen im Rundfunk verkündet hatte, sie respektiere das Streikrecht, herrschte in dem Land der Ausnahmezustand. Es gab Kontrollen an allen größeren Ausfallstraßen, bei denen von Polizei- und Militäreinheiten Waffen gesucht wurden. Bekannte Streikführer konnten keinen Schritt mehr ohne Polizeiobservation unternehmen. Über 100 regionale und überregionale Mitglieder der »Nationalen Koordination für Einheit und Kampf« fanden sich im Gefängnis wieder. In der Nacht vor dem Streikbeginn überfielen in Santo Domingo Polizisten das Lokal der zentralen Streikleitung.

Der Sprecher des Koordinationsausschusses, Fidel Santana, bezeichnete den Streik als »Riesenerfolg«. Er räumte der Regierung des sozialdemokratischen Staatspräsidenten Hipólito Mejía eine Frist von 30 Tagen ein, um die zentralen Forderungen der Streikenden zu erfüllen. Juan Hubieres, Chef einer der großen Busfahrervereinigungen, bezeichnete den Streik als eine »Volksabstimmung gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung«.

In der Tat. Die Menschen in den Elendshütten auf dem Land und in den Armutsvierteln haben die Faxen dicke. Der Preis für Bohnen hat sich in den letzten Monaten verdoppelt, ebenso wie für Reis, Hühnchen, Benzin und Gas. Die Strompreise sind in astronomische Höhen katapultiert, viele können und wollen sie nicht mehr bezahlen. Die Privatisierung des Energiesektors und fehlende finanzielle Mittel zum Rohstoffeinkauf haben zur Folge, dass nicht nur in den »barrios pobres«, wo »Stromklau« nicht unüblich ist, oft für 20 Stunden kein Licht da ist. Der dominikanische Peso hat binnen sechs Monaten die Hälfte seines Wertes verloren.

Ein Großteil der Beschäftigten bringt es monatlich gerade mal auf 3 000 Peso, das sind nach dem derzeitigen Umrechnungskurs etwa 85 Euro. Konnte Mejías Vorgänger Leonel Fernández von der neoliberalen Befreiungspartei, dem Partido de Liberación Dominicana (PLD), noch mit einer der höchsten Wirtschaftswachstumsraten (acht Prozent) in Lateinamerika glänzen, bewegt sich dieser Wert unter dem Sozialdemokraten Mejía rasant nach unten.

Die Krise, die das Land seit nunmehr acht Monaten erschüttert, hängt mit einer der wohl größten Bankpleiten in der Geschichte Lateinamerikas und mit Nepotismus zusammen. Mitte Mai stellte die dominikanische Bankenaufsicht die zweitgrößte Bank des Landes unter Kuratel. In der Kasse der Banco Intercontinental (Baninter) fehlten 55 Milliarden dominikanische Peso, nach damaligem Umrechnungskurs rund 2,4 Milliarden Euro. Gegen die Inhaber einer weiteren Bank, die die Türen schloss, wird ebenfalls ermittelt. Sie sollen rund eine Milliarde Euro auf die Seite geschafft haben.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes übernahm die Regierung die Schulden einer geschlossenen Bank; sie entsprechen etwa 80 Prozent des dominikanischen Staatshaushaltes. Und sie sicherte damit zumindest die Sparguthaben der kleinen Leute. Die Finanzlücke will man mit inzwischen zugesagtem und teilweise ausgezahltem Geld des Internationalen Währungsfonds schließen – mit den entsprechenden Wirtschaftsanpassungen, die der IWF verlangt. Zum fünften Mal in zwanzig Jahren schließt die Republik mit dem Währungsfonds einen Kontrakt. Als die ebenfalls sozialdemokratische Regierung unter Jorge Blanco 1982 drastische Maßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft durchsetzte, brannten im Land schon einmal die Barrikaden. Dutzende Tote mussten die Demonstranten beklagen.

Wohl nicht von ungefähr kommt die generöse Geste des Staatschefs, der mit dem Vater des derzeitigen Baninter-Präsidenten Ramón Báez Figueroa befreundet ist. Schließlich hat die politische Kaste des Landes jahrelang von der »politischen Landschaftspflege« der Baninter und ihres Chefs gelebt. Präsident Mejía erhielt von Ramoncito, dem »kleinen Ramón«, einen gepanzerten Luxusjeep, ebenso wie schon sein Amtsvorgänger Leonel Fernández. Die Präsidenten flogen in Chartermaschinen und Hubschraubern zu ihren In- und Auslandsbesuchen, die Rechnungen beglich Baninter. Mitglieder des obersten Gerichtshofs standen auf der Liste der monatlichen Zuwendungen von Baninter ebenso wie Kleriker und wohltätige Kirchengruppen. 70 hochrangigen Offizieren der Armee wurden ihre Telefon- und Handykosten erstattet, zusätzlich bekamen sie einen monatlichen Festbetrag.

Den »Schönen von Gurabo«, wie Präsident Mejía nach seinem Geburtsort genannt wird, fechten weder die wirtschaftliche Krise des Landes noch die Unzufriedenheit mit seiner Politik an. Mejía, der vor drei Jahren mit fast absoluter Mehrheit gewählte Staats- und Regierungschef, will sich im kommenden Jahr sehr zum Missfallen großer Teile seiner Partei erneut um das Präsidentenamt bewerben. Er lässt im Land seinen Kampagnenslogan plakatieren: »Vier Jahre mehr – Es gibt noch viel zu tun.« Für viele klingt das inzwischen wie eine Drohung.