Ein Herz für die Kripo

Ermittlungen nach Göteborg
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Liebe Berlinerinnen, liebe Berliner, die Kriminalpolizei bittet um Ihre Mithilfe: Es werden dringend Beschuldigte gesucht. Erforderliche Merkmale: 20 bis 30 Jahre alt, deutsche Staatsbürgerschaft, Wohnsitz in Berlin. Das genügt schon. Um alles andere kümmert sich die zuständige Abteilung 5.3 des Staatsschutzes. Denn sie fahndet mit Nachdruck nach Personen, die sich im Juni 2001 an den Ausschreitungen im schwedischen Göteborg beteiligt haben könnten. Bei Protesten gegen den EU-Gipfel kam es damals zu Krawallen.

Die Beschuldigten müssen übrigens nicht einmal etwas mit der globalisierungskritischen Bewegung zu tun haben. Gerne können sie auch über ein Alibi für den entsprechenden Zeitraum verfügen. Die Kriminalpolizei freut sich trotzdem über jeden Namen.

Falls Sie sich nicht sicher sind, wer angesprochen ist, hier ein Beispiel: Der junge Berliner Sebastian H. (Name geändert) ist weder vorbestraft, noch hat er etwas mit der Antiglobalisierungsbewegung zu tun. Als die Krawalle in Göteborg stattfanden, war der damalige Gymnasiast brav in der Schule, um den Termin für seine mündliche Abiturprüfung zu erfahren. Egal, denn Alter, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz entsprechen den oben angeführten Kriterien.

Also wurde Sebastian H. Anfang November ganz unkonventionell geweckt. »Aufwachen! Polizei!«, hieß es morgens um halb sieben. Mit gezogener Waffe stand ein Beamter der Kripo neben seinem Bett. Die Wohnungstür hatte die von einer halben Hundertschaft der Bereitschaftspolizei unterstützt Kripo-Einheit zuvor aufgetreten. Bei dem Großeinsatz sollten Kleidungsstücke gefunden werden, die Sebastian H. in Göteborg getragen haben könnte, wäre er jemals dort gewesen: ein helles Basecap, eine helle Jacke, Handschuhe, karierte Schuhe und eine dunkle Hose. Die fleißigen Kriminalbeamten hatten Erfolg; eine dunkle Jeans wurde beschlagnahmt. Mehr relevante Kleidungsstücke fanden die Beamten nicht. Dafür nahmen sie Sebastian H. seinen Computer weg, wie auch persönliche Aufzeichnungen, Videos, Musik-CDs und sein Handy.

»Als einzigen Beweis hat die Polizei Videoaufnahmen von der schwedischen Polizei, wo sie mich zweifelsfrei erkennen wollen«, sagt Sebastian H. Dabei habe er »noch nie an solchen Protesten teilgenommen«. Und er kann es sogar beweisen: Zeugen bestätigen, er sei am fraglichen Tag, dem 15. Juni 2001, in der Schule gewesen. Dazu gibt es ein Schreiben seiner damaligen Schule. Außerdem hat Sebastian H. am vermeintlichen Tag der Tat Geld von seinem Konto abgehoben – in Berlin.

Doch Fakten sind nicht so wichtig. Wichtig ist, dass die eigens zur Verfolgung von Globalisierungskritikern gegründete Abteilung 5.3. der Kripo endlich ein paar Beschuldigte aufweisen kann. So lief es auch im Fall der 28jährigen Sabine M. (Name geändert). Ebenfalls beschuldigt, in Göteborg randaliert zu haben, wurde sie Mitte vergangener Woche von einem Berliner Gericht freigesprochen. Sogar die Staatsanwaltschaft sah in den »Indizien« der Kripo keinerlei Beweise gegen Sabine M.

Die Kriminalpolizei bittet daher um Ihre Mithilfe: Wer beschuldigt werden möchte, melde sich bitte bei der Abteilung 5.3. unter folgender Telefonnummer: 030 - 466 43 76 53.

ali cante