Heißer Winter in Seoul

Heißer Winter in Seoul Der südkoreanische Gewerkschaftsdachverband KCTU mobilisiert gegen Unternehmerwillkür und die Regierung. Der Staat schlägt hart zurück. von christian karl, seoul

Was lange gärte, entlud sich rasch: Für den vorletzten Sonntag hatte der südkoreanische Gewerkschaftsdachverband KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) in der Hauptstadt Seoul zur Protestdemonstration aufgerufen, und mindestens 100 000 Arbeiter beteiligten sich. Tausende von ihnen – unterstützt von progressiven Studentenorganisationen – lieferten sich heftige Straßenschlachten mit den Anti-Aufruhr-Einheiten der Polizei. Der Protest richtete sich insbesondere gegen die Welle der Repression, die auf die Aktivitäten der Gewerkschaft zielt.

Ende des vorigen Jahres, während der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfes, hatte der heutige Präsident Roh Moo-hyun eine »arbeiterfreundliche« Politik für den Fall seiner Wahl versprochen. Er erklärte, dass er sich zum Anwalt der Arbeiterinteressen machen und die Werktätigen gegen die Willkür der Unternehmer verteidigen werde. Doch genau das Gegenteil scheint derzeit der Fall zu sein.

Wie bereits zu Zeiten des letzten Präsidenten Kim Dae-jung sind vor allem Aktivisten der KCTU verschärften Repressalien der Unternehmer ausgesetzt. Da bislang sämtliche Versuche der KCTU scheiterten, die Regierung dazu zu bewegen, ihr Wahlversprechen zu erfüllen und Gesetze auf den Weg zu bringen, die Arbeiter und Angestellte effektiv vor Unternehmerwillkür schützen können, haben sich in diesem Jahr sechs Gewerkschaftsführer aus Protest das Leben genommen.

Exemplarisch für diese Art des Protestes ist der Fall von Lee Hae-nam, dem Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft bei Sewon Tech (SMU). Am 22. Oktober versuchte er, sich selbst zu verbrennen. Vorausgegangen waren harte Angriffe der Unternehmer auf die SMU-Aktivisten. Seit sich im Oktober 2001 die Gewerkschaftsgruppe der Firma Sewon Tech in Daegu gebildet hatte, war sie ständigen Repressalien ausgesetzt. Der Firmeneigner Kim Moon-ki heuerte Schlägertrupps an, welche die Aktivisten verfolgten und zum Teil mittels Eisenstangen lebensgefährlich verletzten, er hetzte die Polizei auf sie und versuchte es mit gerichtlichen Mitteln – doch ohne Erfolg. SMU kämpfte unverdrossen für gewerkschaftliche Freiheiten, verbesserte Arbeitsbedingungen und gesetzliche Mindestlöhne.

Im August des vergangenen Jahres heuerte die Firmenleitung wiederum Kriminelle an, die dieses Mal dermaßen hart zuschlugen, dass am Ende mehrere Schwerverletzte zurück blieben. Einer von ihnen erlag im letzten August seinen Verletzungen. Die Gewerkschaft forderte daraufhin von der Firmenleitung, dass sie die volle Verantwortung für diese Tat übernehmen und die Familie des Opfers entschädigen solle. Die Unternehmerseite lehnte dies ab, woraufhin die gewerkschaftlich organisierten Angestellten und Arbeiter – rund 70 von 150 Beschäftigten – in einen unbefristeten Streik traten und das Gelände vor der Firmenzentrale in Daegu besetzten.

Als die Firmenleitung mehrmals Anti-Aufruhr-Einheiten anforderte, die ihrerseits unter Gewaltanwendung das Gelände räumten, die Besetzer und selbst deren Familienangehörige verhafteten, mussten die führenden Köpfe der SMU in den Untergrund gehen, da auch ihre Verhaftung drohte. Auf dem Höhepunkt dieser Eskalation versuchte Lee Hae-nam, durch seinen Selbsttötungsversuch die Öffentlichkeit auf den Kampf der Sewon-Tech-Belegschaft aufmerksam zu machen. Seitdem liegt Lee mit lebensgefährlichen Verbrennungen auf der Intensivstation und kämpft mit dem Tod. Zustände wie bei Sewon Tech haben in jüngster Zeit immer mehr Proteste hervorgerufen.

Anstatt aber auf die Forderungen der in der KCTU vereinigten Gewerkschaften einzugehen, reagiert der Staat mit Gewalt. Den Anfang dieser Entwicklung machte eine Demonstration der Migrantengewerkschaft ETU-MB (Equality Trade Union – Migrants’ Branch), die am 12. Oktober von der Polizei attackiert wurde. Zwei Wochen später schlugen die Anti-Aufruhr-Einheiten eine Großdemonstration von Migranten und koreanischen Arbeitern blutig nieder. In der folgenden Woche wiederholten sich solche Szenen noch zweimal.

Daraufhin rief die KCTU für den vorletzten Sonntag zum Massenprotest gegen die Regierungspolitik auf. Dem Aufruf schlossen sich alle relevanten linken politischen Organisationen, Menschenrechts- und Studentengruppen an. Mehr als 100 000 Menschen prangerten die Politik der Regierung an und forderten die Möglichkeit der freien gewerkschaftlichen Betätigung und Gesetze, die der Unternehmerwillkür ein Ende bereiten. Park Sang-yoon, Sekretär der KCTU (Regionalbüro Seoul), erklärte der Jungle World: »Die ganze Zeit reden die Herrschenden von partizipativer Demokratie, die Realität erinnert aber eher an die Zeiten der Diktatur.«

Im Anschluss an die Auftaktkundgebung formierte sich ein machtvoller Demonstrationszug, der nur ein Manko hatte: Er war illegal. Offensichtlich wollte die KCTU an diesem Tag die Regierung zum Machtkampf herausfordern. Bereits nach kurzer Zeit lieferten sich 30 000 Mann der Anti-Aufruhr-Einheiten und tausende mit Eisenstangen und Molotowcocktails bewaffnete Arbeiter und Studenten stundenlange Straßenschlachten. »Eigentlich ist das ganze Vorhaben der reine Wahnsinn, wir müssen uns heute aber durchsetzen«, sagte Choi Yong-chan, leitendes Mitglied der linken Jugendorganisation Daham-kke (Alle Gemeinsam) zur Jungle World. Und tatsächlich konnten die Gewerkschaften und ihre Unterstützer, trotz der vielen Verletzten und Verhafteten, die Demonstration bis zum geplanten Ende fortsetzen.

Diese Schmach konnte die Regierung nicht auf sich sitzen lassen und kündigte am Tag darauf an, alle Führungskräfte der KCTU verhaften zu lassen, worauf diese für Mittwoch zum Generalstreik aufrief.

Wie geplant legten 150 000 Mitglieder der KCTU am Mittwoch vergangener Woche die Arbeit nieder und organisierten im ganzen Lande Demonstrationen. Am selben Tag gab die KCTU-Führung bekannt, dass von nun an wöchentlich am Mittwoch gestreikt werde, bis die Forderungen der Gewerkschaften nach wirksamen Gesetzen gegen Unternehmerwillkür erfüllt seien.

Auch wenn die Regierung in nächster Zeit nachgeben sollte, kündigt sich bereits ein weiterer Konflikt an. Eine der wichtigsten Forderungen an die Regierung, vorgetragen auf jeder von der KCTU organisierten Demonstration, ist die Rücknahme der Entscheidung, weitere südkoreanische Truppen in den Irak zu entsenden. Bereits im April kam es deswegen zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Anti-Aufruhr-Einheiten auf der einen und Gewerkschaftern sowie Studenten auf der anderen Seite. Obwohl diese Straßenschlachten sich über Tage hinzogen, verabschiedete die Nationalversammlung, das südkoreanische Parlament, das Truppenentsendegesetz, welches es der Regierung gestattete, 600 unbewaffnete Soldaten aus Sanitäts- und Pioniereinheiten in den Irak zu schicken. Joh Ji-yeong, Aktivistin der linken Minju nodong-dang (Demokratische Arbeiterpartei), meint dazu etwas pathetisch gegenüber der Jungle World: »Schon diese Niederlage war schlimm für uns, aber wenn sie jetzt Kampftruppen schicken wollen, gibt es für uns wohl keine andere Wahl, als bis zum siegreichen Ende zu kämpfen.«

Und so sieht es wohl ganz danach aus, als ob Südkorea den zweiten heißen Winter in Folge erleben wird. Im letzten gab es fast täglich Massenproteste gegen die Truppenpräsenz der USA im Lande und gegen den damals noch in Planung befindlichen Krieg gegen den Irak.