Inschallah al-Qaida

Anschläge in Istanbul von aycan demirel

In Stücke gerissen wurden keine Juden, sondern »Stabilität und Frieden«, das Opfer ist nicht die jüdische Gemeinde, sondern der türkische Staat. So lässt sich die erste Reaktion des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die Terroranschläge in Istanbul zusammenfassen. Kein Wort über Antisemitismus, kein Wort darüber, dass die Anschläge jüdischen Menschen und Einrichtungen galten. Inzwischen hat Erdogan die jüdische Gemeinde besucht. Es war sein erster Besuch dort, und er stimmte das gleiche Lied an: internationaler Terrorismus, ausländische Kräfte und so weiter.

Es ist gar nicht lange her, dass Erdogan und die politische Bewegung, der er entstammt, dem Verdacht ausgesetzt waren, sie seien die fünfte Kolonne Saudi-Arabiens. Mit den Staatsgeschäften haben sich Erdogan und seine Leute auch den paranoiden Staatsjargon angeeignet: Hinter allem Übel stecken die Griechen, die Saudis, die USA, Europa. Immer die anderen. »Für die Türkei wäre es am besten, wenn hinter diesem Unglück al-Qaida stünde. Inschallah war es al-Qaida«, kommentiert der konservative Journalist Cengiz Candar und spricht eine Hoffnung aus, die von der linkskemalistischen Presse bis zur islamischen Regierungspartei AKP reicht.

Deren Regierungsbilanz muss aus Sicht der Islamisten dürftig ausfallen. Sie konnte den Irakkrieg zwar verzögern, hat sich aber nicht so richtig dagegengestellt. Ankara hätte sogar Truppen in den Irak geschickt, wenn die Iraker nicht Einspruch erhoben hätten. Die geplante Aufwertung der islamischen Schulen scheiterte am Widerstand der kemalistischen Elite in Armee, Justiz und Universitäten, selbst in der wichtigen Kopftuchfrage konnte man nichts bewegen.

Nach dem Regierungsantritt der AKP wertete die islamistische Bewegung ab. Die schon traditionellen Kundgebungen im Anschluss an die Freitagsgebete wurden ausgesetzt, sogar die Proteste gegen den Irakkrieg fielen schwach aus. Nun aber scheint die Schonzeit für die ehemaligen Weggefährten aus der AKP vorbei. Anders als die islamistischen Attentate in den frühen neunziger Jahre stehen diese Anschläge nicht nur im innertürkischen Kontext, sondern sind Teil des weltweiten Jihad gegen Juden und Amerikaner.

Unabhängig davon, ob die IBDA-C, die sich zu den Anschlägen bekannt hat, tatsächlich dafür verantwortlich ist, handelt es sich hierbei um eine bemerkenswerte Truppe – weniger im Hinblick auf ihre Schlagkraft und Mitgliederzahl, sondern auf ihre Ideologie. Nicht nur das Namenskürzel ist an die linke Ur-Stadtguerillagruppe THKP-C angelehnt, die Gruppe sieht sich selbst in der Tradition des THKP-C-Gründers Mahir Çayan, des »Che Guevera der Türkei«. Die IBDA-C-Kader mögen im Knast sitzen, ihr Programm – Allah und Antiimp – findet weltweit Gehör, »weltweite Intifada« lautet die Parole, das Töten von Juden, ob in Tel Aviv oder Istanbul, ist die Praxis.

In der jüdischen Gemeinde in Istanbul wurde indes schon vor den Anschlägen diskutiert, ob man die Türkei verlassen solle. Drohungen gegen türkische Juden sowie zwei mysteriöse Morde im Oktober dieses Jahres hatten dazu beigetragen.