Der Zar kann gehen

In Bulgarien ist die Regierung schon nach zwei Jahren äußerst unpopulär. von jutta sommerbauer, veliko tarnovo

Simeon, geh heim«, skandierten die Demonstranten, die sich zu einer Protestkundgebung am vergangenen Donnerstag in Sofia versammelt hatten. Während im Parlament das Budget für das kommende Jahr verabschiedet wurde, bildeten die von Gewerkschaften zumeist aus der Provinz herbeigekarrten Teilnehmer eine Menschenkette um das Gebäude. Die Oppositionellen, die sich in den vergangenen Wochen schon häufig lautstark in dem ansonsten geruhsamen Regierungsviertel der Hauptstadt bemerkbar machten, sammelten sogar Kleingeld für eine einfache Rückfahrkarte.

Die Tage des Zaren sind gezählt. Denn ginge es nach der Mehrheit der Bulgaren, sollte Simeon Sakskoburggotski, Ministerpräsident und Vorsitzender der Nationalen Bewegung Simeon II. (NDSV), schleunigst wieder dorthin verschwinden, wo er hergekommen ist: nach Spanien.

Der Ministerpräsident, legitimer Nachfolger des letzten regierenden Zaren von Bulgarien, triumphierte nach seiner Rückkehr aus dem Exil vor zwei Jahren mit seiner neu gegründeten Partei bei den Parlamentswahlen. Seitdem regiert er das Land gemeinsam mit der kleinen Fraktion »Bewegung für Rechte und Freiheiten« (DPS). Innerhalb von 800 Tagen wolle er die Lebensbedingungen entscheidend verbessern und die Korruption bekämpfen, hatte Sakskoburggotski bei seinem Amtsantritt versprochen.

Diese Frist ist vor kurzem abgelaufen, doch noch immer merkt die überwiegende Mehrheit der Bulgaren nur wenig von der viel zitierten »wirtschaftlichen Stabilisierung«. Nach Angaben des Bulgarischen Wirtschaftsblattes vom Oktober steht den monatlichen Lebenshaltungskosten von etwa 310 Leva (etwa 150 Euro) ein Durchschnittslohn von 290 Leva gegenüber. Der Mindestlohn beträgt gar nur 110 Leva, was der offiziellen Armutsgrenze entspricht.

Im Winter machen vor allem die astronomischen Heizkosten der Bevölkerung zu schaffen. Um nicht gänzlich im Kalten zu sitzen, sind in den letzten Jahren viele Haushalte auf Selbstversorgung umgestiegen und haben sich Holzöfen angeschafft. Menschen, die mit Äxten und Karren auf Holzsuche gehen, gehören zumindest auf dem Land zum alltäglichen Bild.

Auch von einem Rückgang der Korruption ist unter der amtierenden Regierung nicht viel zu spüren. So werfen Kritiker Innenminister Georgi Petkanov (NDSV) »Handlungsunfähigkeit« vor, seitdem in Sofia die Zahl der Schießereien und Bombenattentate mafiöser Gruppen sprunghaft angestiegen ist. Schließlich gilt seine Regierung spätestens seit April dieses Jahres bei der so genannten Verbrechensbekämpfung nicht mehr als besonders glaubwürdig. Damals tauchten Fotos in den Medien auf, die den Finanzminister sowie einen NDSV-Abgeordneten auf der Yacht eines bekannten biznesmen und Zigarettenschmugglers zeigten.

Wenig Begeisterung im In- und Ausland rief auch ein anderes Vorhaben Sakskoburggotskis hervor. Er wollte General Brigo Asparuchov, einen langjährigen Mitarbeiter der bulgarischen Staatssicherheit, zu seinem persönlichen Berater machen. Trotz zahlreicher Proteste – vor allem Vertreter der Nato missbilligten die plumpe Rehabilitierungsaktion ausdrücklich – beharrte der Ministerpräsident kategorisch auf seiner hoheitlichen »Ernennung«. Am Ende dürfte der intensive Druck der künftigen Verbündeten doch überzeugender gewesen sein. Der General entsagte dem Posten, da er »Bulgarien keine Hindernisse« für den erhofften Nato-Beitritt im kommenden Jahr bereiten wolle.

Von den zahlreichen Vorwürfen zeigt sich der Zar jedoch wenig beeindruckt. Er habe nie versprochen, erklärte Simeon jüngst in einem Interview mit der Financial Times, »mit einem Zauberstab alles in Ordnung zu bringen«. Auf Verständnis für seine bereits bekannte Interpretation früherer Versprechen als »Versprecher« kann Simeon bei der Bevölkerung freilich nicht mehr hoffen.

So brachte es seine Partei bei den Kommunalwahlen Ende Oktober auf sieben Prozent und lag nur an vierter Stelle hinter ihrem Koalitionspartner DPS und der rechtskonservativen »Vereinigung der Demokratischen Kräfte« (SDS). Als Gewinnerin ging die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) mit 30 Prozent der Stimmen hervor. In den insgesamt 27 Verwaltungszentren konnte die NDSV lediglich zwei Bürgermeistersitze erobern.

Achmed Dogan, der Vorsitzende der DPS, sprach sich nach den Wahlen umgehend für eine »Erneuerung« des Kabinetts aus. Auch einige Abgeordnete der NDSV, die dem parteiinternen Oppositionsbündnis »Neue Zeit« angehören, forderten eine Umbesetzung von Ministerämtern. Großspurig stellten sie die Gründung einer eigenen Partei in Aussicht, wenn ihrem Drängen nicht nachgegeben werde. Die politischen Glücksritter der NDSV sind bezeichnend für den Zustand der Regierungspartei, deren Auseinanderfallen früher oder später zu erwarten ist.

Die führenden Politiker der Opposition dachten in der vergangenen Woche erstmals über ein Misstrauensvotum nach. Tatäschlich könnten sie gemeinsam mit den NDSV-Abtrünnigen die Regierung stürzen. Doch wegen der starren Parteifronten ist ein gemeinsames Vorgehen mehr als fraglich.

Zudem kann sich die Opposition angesichts der schlechten Wahlbeteiligung ausrechnen, dass ein Vorziehen der Parlamentswahlen, die in etwa zwei Jahren anstehen, sie nicht gerade beliebter machen würde. »Eine Destabilisierung des Landes nur wegen der Befriedigung der eigenen Machtambitionen ist unverantwortlich«, meinte deshalb der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Rumen Ovtscharov. Die SDS-Vorsitzende Nadezhda Michailova lieferte umgehend das eigentliche Motiv für die noble Zurückhaltung nach: Im Moment müssten sich die »politischen Kräfte und Institutionen auf die Aufnahme Bulgariens in die Nato und die EU konzentrieren«.

Denn Neuwahlen könnten die Verhandlungen mit der EU und den angestrebten Beitrittt in drei Jahren verzögern. Jede Regierung müsste dann mit dem Zorn der Bevölkerung rechnen, da der Beitritt populär ist und viele sich davon eine deutliche Verbesserung ihrer sozialen Situation versprechen.

Doch auch ohne Neuwahlen wird der Weg in die Union schwierig genug. Bis Mitte des nächsten Jahres wünscht sich die Regierung einen Abschluss der Vorverhandlungen. Ein Wunsch, der allerdings im aktuellen Jahresbericht der Kommission, der Anfang November in Sofia präsentiert wurde, keine definitive Erfüllung findet. Zwar wird die makroökonomische und politische Stabilität des Landes lobend erwähnt; gleichzeitig müssten jedoch weitere Reformen in Verwaltung und Justizwesen folgen. Korruption, Privatisierung, Menschenhandel und die Situation der Roma stellen nach wie vor die zentralen Kritikpunkte dar.

Im gleichzeitig veröffentlichten »Strategiepapier über die Fortschritte Bulgariens, Rumäniens und der Türkei auf dem Weg zum Beitritt« wurde sogar eine weitere Hürde festgelegt: Demnach müssen Bulgarien und Rumänien einen gemeinsamen Beitrittsvertrag bis spätestens Ende 2005 unterzeichnen, um den angestrebten Termin einhalten zu können.

Dieses Hinhalten durch die Kommission macht beim »Musterschüler« mehr als schlechte Laune. »Brüssel steckt uns mit Rumänien in eine Schublade«, titelten die Zeitungen. Dass Bulgarien nun ausgerechnet mit dem ungeliebten Nachbarn, der noch dazu im diesjährigen EU-Report eine schlechtere Bewertung erhalten hat, in einen Topf geworfen wird, lässt in der öffentlichen Diskussion umgehend die schlimmsten nationalen Alpträume wach werden. Das unschuldige Bulgarien werde erneut zum Spielball der Großmächte.