Gefährliche Berufe

In Griechenland machen streikende Ärzte, Lehrer und Polizisten der Regierung schwer zu schaffen. von ralf dreis, thessaloniki

Es sei ein »Aufstand und eine Besetzung im Herzen des Staates durch uniformierte Bewaffnete« gewesen, erklärte Georgos Floridis nach den Zusammenstößen zwischen streikenden Polizeibeamten und Sondereinsatzkommandos vor dem Wirtschaftsministerium in Athen. Befände sich Griechenland nicht kurz vor »der nationalen Herausforderung der Olympischen Spiele 2004«, müsste sofort mit der kompletten Umgestaltung des Sicherheitsapparats begonnen werden, fügte der Minister für Öffentliche Ordnung hinzu.

Die gewerkschaftlich organisierten Polizeibeamten hatten gemeinsam mit den Beschäftigten der Feuerwehr und der Küstenwache höhere Löhne gefordert sowie die Aufnahme ihrer Berufssparte in die Kategorie der »gefährlichen und gesundheitsschädlichen Berufe« verlangt. Nach einer Demonstration im Zentrum von Athen Anfang Oktober waren sie zum Wirtschaftsministerium gezogen, um die Eingänge zu blockieren – was ihre diensthabenden Kollegen mit Schlagstock- und Tränengaseinsatz zu verhindern wussten.

Die harsche Verurteilung der Streikenden durch Floridis erklärt sich durch die Tatsache, dass die sozialdemokratische Pasok-Regierung mit allen Mitteln die angekündigten Streiks im öffentlichen Dienst verhindern wollte. Polizisten, die sich gegenseitig bekämpfen, statt wie gewünscht Arbeitskämpfe zu unterbinden, kommen da natürlich mehr als ungelegen.

Auf Polizeigewerkschafter ist jedoch auch in Griechenland Verlass. Nachdem die erste Aufregung über die bezogenen Prügel verflogen war, wurde Ende Oktober mit der üblichen Rollenverteilung der Streik der Müllabfuhr niedergeschlagen. Die Amtsgerichte hatten den Arbeitskampf zuvor auf Antrag der Regierung für »illegal und missbräuchlich« erklärt. Streikende, die sich diesem Urteil nicht beugen wollten, blockierten zwar die zentralen Mülldeponien, wurden jedoch von einem großen Polizeiaufgebot mit Tränengas und Schlagstöcken abgedrängt.

Die Großstädte Athen und Thessaloniki waren nach fast vierzehntägigem Streik beinah im Müll erstickt. Besonders in der griechischen Hauptstadt, wo sich über 45 000 Tonnen Müll angesammelt hatte, bestand wegen der heißen Temperaturen in einzelnen Stadteilen Seuchengefahr. Schon eine Woche zuvor war der Streik der Lebensmittelveterinäre für illegal erklärt worden, nachdem es in ländlichen Gegenden zu Versorgungsengpässen gekommen war.

Die Praxis, Arbeitskämpfe durch die Gerichte zu illegalisieren und die Streikführer mit Geldstrafen und Haftstrafen zu bedrohen, wird von den Gewerkschaften mit Sorge beobachtet.

Begonnen hatten die Streiks im öffentlichen Dienst Ende September, nachdem die Regierung den vorläufigen Haushaltsentwurf veröffentlicht hatte. Darin war eine durchschnittliche Erhöhung der Gehälter um 5,4 Prozent vorgesehen. Wirtschafts- und Finanzminister Nikos Christodoulakis hatte nach der Vorlage des Entwurfs kategorisch erklärt, damit sei das Ende der Fahnenstange erreicht. Weitere Verhandlungen, so Christodoulakis, hätten keinen Sinn.

In der Folge versuchte Regierungssprecher Christos Protopappas die Angestellten gegeneinander auszuspielen. »Einzelne privilegierte Berufsgruppen« versuchten, überzogene Forderungen durchzusetzen. »Wir haben jedoch unsere Möglichkeiten voll ausgeschöpft. Weitere Leistungen richten sich gegen die Interessen der Arbeitnehmer«, erklärte er.

Die Arbeitnehmer schätzten die Lage wegen der seit der Euro-Einführung teilweise drastischen Preiserhöhungen jedoch anders ein und legten in fast allen Bereichen des öffentlichen Dienstes die Arbeit nieder. Anfang November brachte die Pasok dann einen leicht verbesserten Entwurf im Parlament ein. Er sieht durchschnittliche Erhöhungen von knapp sechs Prozent vor, was zwar deutlich über der Inflationsrate liegt, aber bei weitem nicht den Forderungen der Gewerkschaften entspricht.

So streben die chronisch unterbezahlten Lehrer Gehaltserhöhungen von 25 Prozent an, während die Regierung ihnen nur zehn Prozent zugestehen möchte. Demnach betrüge der monatliche Basislohn für Grundschullehrer, der durch eine Reihe möglicher Zulagen noch aufgestockt werden könnte, demnächst 590 Euro.

Während an den Schulen wegen des unzureichenden Angebots weiterhin mobilisiert wird, haben die Hochschulprofessoren den Arbeitskampf vorläufig unterbrochen. Die Studierenden hatten sie zuvor heftig kritisiert, da ihre Aktionsform – zeitweilige Abwesenheit vom Unterricht – den Lehrenden zwar die Lohnfortzahlung garantierte, die Studierenden nach 48 Tagen Abwesenheit jedoch Gefahr laufen, das Jahr wiederholen zu müssen. Kritisiert wurde auch, dass die Erhöhung des Bildungsetats zwar im Forderungskatalog enthalten ist, tatsächlich aber in den Verhandlungen kaum eine Rolle spielt.

Wie groß die Unzufriedenheit mittlerweile ist, zeigt auch die große Streikbeteiligung. Neben den Beschäftigten in den Schulen, Krankenhäusern und Finanzämtern schlossen sich auch das Sicherheitspersonal der Flughäfen und die Stadt- und Gemeindeangestellten den Arbeitsniederlegungen Anfang November an.

Mit dem gemeinsamen Streik aller Berufsgruppen am 4. November hatte die Dachgewerkschaft der öffentlichen Angestellten (Adedy) versucht, sowohl die verschiedenen Branchen zu koordinieren und ihre Forderungen zu vereinheitlichen, als auch die Kontrolle über die Mobilisierungen zu behalten. Eine mögliche Radikalisierung der Streiks will die mit der Pasok eng verbundene Dachgewerkschaft fünf Monate vor den Parlamentswahlen verhindern. Doch auch ihre eigenen Vorstellungen gehen weit über die der Regierung hinaus.

Statt der im Haushaltsentwurf vorgesehenen differenzierten Gehaltsgruppen mit zahlreichen Sonderzulagen strebt der Dachverband einen einheitlichen Basislohn von 1 050 Euro an, in dem ein Teil der Zulagen bereits enthalten ist. Im Verlauf des Berufslebens soll sich das Grundgehalt dann je nach Branche verdoppeln oder verdreifachen.

Bisher gibt es kein Entgegenkommen der Regierung in Athen. So gehen die Streiks weiter: Am vergangenen Donnerstag legten erneut alle Angestellten im öffentlichen Dienst die Arbeit für 24 Stunden nieder. In den Krankenhäusern wurde für 48 Stunden lediglich die Grundversorgung aufrechterhalten. Das Krankenhauspersonal und die Ärztevereinigung fordern eine Verdopplung ihrer Gehälter und die Festanstellung aller, die auf der Basis von Zeitverträgen arbeiten. Und der Dachverband Adedy hat für Dezember neue eintägige Streiks im öffentlichen Dienst angekündigt.

Derweil bleiben die wirtschaftlichen Folgen der Streikwelle vorerst im Dunkeln: Auch die Beschäftigten des nationalen Statistikamtes waren sieben Wochen im Ausstand.