Mutter aller Helden

Englands neuer Rugbystar und seine Familie

Der erste Gewinn des Rugby-Worldcup durch die englische Nationalmannschaft am vergangenen Samstag kam ziemlich unerwartet. Jedenfalls für die Mutter des neuen Sporthelden Jonny Wilkinson.

20 Sekunden vor Ende der Verlängerung im Finale gegen den amtierenden Weltmeister Australien schaffte der Kicker seinen ersten erfolgreichen Dropkick. Mit 20:17 gewannen die Engländer als erstes Team aus der nördlichen Hemisphäre den Weltmeistertitel, und Jonny Wilkinson, der bereits zuvor als Star seiner Sportart galt, ist nun der umjubelte Held.

Das dürfte ihm nicht unbedingt gefallen, denn für den Mann ist Rugby nicht alles im Leben. Es gehe für ihn dabei schließlich nicht um Spaß. »Ich bin sehr selbstkritisch, und wenn ich nicht das leiste, was ich von mir erwarte, dann habe ich auch keine Freude am Spiel.« Viel lieber geht Wilkinson ins Kino oder hört Musik. Er sei »eben einer wie du und ich«, resümierte die BBC. »Außer dass er Englands größter Rugby-Spieler ist.«

Ja, natürlich sei es überwältigend, den Worldcup gewonnen zu haben, sagt Jonny Wilkinson. »Aber wir haben schließlich auch sehr hart für dieses große Ziel gearbeitet.« Dass in Großbritannien mehr als zehn Millionen Menschen vor dem Fernseher saßen, beeindruckt ihn nur wenig.

Diese laxe Einstellung liegt durchaus in Wilkinsons Familie, wie englische Journalisten nach dem Abpfiff erfahren mussten. Aus den geplanten tollen Storys über Mama und Papa Wilkinson, die voller Stolz über die Leistungen ihres Jonny für Fotos posieren und lustige Anekdoten aus seinem Leben erzählen, wurde nämlich nichts.

Die Eltern des Ausnahmekickers machten nämlich einfach die Haustür nicht auf, als das Fernsehen klingelte.

Seine Mutter Philippa erfuhr im Northumberland Supermarket, dass sie nun einen Weltmeister zum Sohn hat. Während sie mit ihrem Einkaufswagen zwischen Fleischtheke und Kühltruhen unterwegs war, wurde sie, so erzählte sie später Freunden, von einer Gemüseverkäuferin angesprochen, die ihr herzlich gratulierte. Mrs. Wilkinson zeigte sich überrascht und gefasst. Als sie nach Hause kam, stand zwar bereits die gesamte Nachbarschaft im Vorgarten und prostete ihr mit Champagner zu, aber auch das beeindruckte sie nicht so richtig. Und dass zahlreiche Reporter ebenfalls vor dem Corbridger Eigenheim versammelt waren, erst recht nicht. Nein, das Spiel habe sie nicht angesehen, erklärte sie. »Pünktlich zum Anpfiff habe ich den Müll rausgebracht, und dann bin ich wie gewöhnlich einkaufen gegangen.« Glückwünsche zum erfolgreichen Sohn wolle sie übrigens eigentlich lieber nicht annehmen: »Es ist ja nun wirklich nicht so, als habe nur mein Junge gewonnen«, erklärte sie resolut. »Die ganze Mannschaft ist Weltmeister geworden.« Mehr habe sie dazu nicht zu sagen. »Fragen Sie meinen Mann, der ist allerdings erst am Montag zu sprechen.«

Vielleicht ändert Mutter Wilkinson ihre Meinung aber noch und ist dann wirklich stolz auf ihren Sohn. Britische Buchmacher sind schließlich fest davon überzeugt, dass aus ihrem Jonny bald ein Sir wird. Die Quoten stehen 4 zu 1.

elke wittich