Abgeschoben aus der Unterwelt

in die presse

Eigentlich wollte sie ja die deutsche Washington Post werden, am vorigen Samstag las sie sich aber eher wie die Lokalausgabe der National-Zeitung. In einem Kommentar stellte die Berliner Zeitung klar, dass sie nicht nur den Sozialabbau des rot-roten Senats in Berlin gutheißt, sondern auch dessen brutale Abschiebepolitik.

Der Innensenator Erhart Körting (SPD) hatte in der vorigen Woche einen mehrfach straffällig gewordenen 20jährigen Türken ausfliegen lassen. Als der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) im Jahr 1998 den damals 14jährigen Straftäter Mehmet hatte abschieben lassen, war die Kritik noch groß. Körting aber kann sich heute der Zustimmung des sozialdemokratischen Milieus und der Hauptstadtpresse sicher sein.

»Der 20jährige ist nicht der einzige Kriminelle, den Berlin gerne loswerden würde«, kommentierte nun Sabine Deckwerth. »In der Stadt gibt es rund ein halbes Dutzend Großfamilien, die durch Gewalt und organisierten Drogenhandel auffallen.« An anderer Stelle wurde auch gleich ein Name genannt, damit der Leser weiß, wen er verurteilen muss: »Besonders bekannt ist die Familie (...), die vorgibt, aus dem Libanon zu stammen.«

Und dann öffneten sich die Pforten der Finsternis, und ein Blick auf die Hölle wurde frei: »Die Clans leben in einer eigenen Welt mit eigenen Gesetzen. Sie liefern sich blutige Machtkämpfe um die Vorherrschaft in der Unterwelt.« Glücklicherweise wenden wir in der Hauptstadt unsere Gesetze an: »Die Abschiebung des 20jährigen ist also ein Schritt in die richtige Richtung. Kriminelle dürfen sich hier nicht mehr sicher fühlen.«

Den letzten Satz hätte man gerne im Zusammenhang mit dem Berliner Bankenskandal gelesen. Aber wenn Manager und Politiker die Hauptstadt um viele Milliarden Euro bringen, entwickelt eine Autorin der Berliner Zeitung einfach nicht den Furor, der sich bei ihr wie von selbst einstellt, wenn ein jugendlicher Straftäter türkischer Herkunft zum zweiten Mal für dieselbe Sache bestraft wird.

paul urban