Das Einrennen offener Türen

Massenproteste zwangen den georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse zum Rücktritt. Doch die drei Oppositionsführer sind seine ehemaligen Verbündeten. von daniel becker

Es gibt sie noch, die Revolution – zumindest in Georgien. Ihre Führung ist jung. Nina Burdschadnadse, Micheil Saakaschwili und Surab Schwania, die die Massenbewegung für den Sturz des Präsidenten Eduard Schewardnadse organisierten, sind jünger als 40 Jahre. Viele Georgier hoffen, dass die Übernahme der Regierung durch eine neue Generation die korrupte alte Elite entmachtet. In seiner Fernsehansprache am Mittwoch der vergangenen Woche erklärte Saakaschwili aber auch, dass eine unmittelbare Revolutionsdividende nicht zu erwarten sei: »Wir sind ein Land ohne Geld, das elementare Bedürfnisse nicht erfüllen, das Gehälter und Pensionen nicht zahlen kann.«

Vier Tage zuvor war Schewardnadse, der gerade ein durch Wahlbetrug zustande gekommenes Parlament konstituieren wollte, die Macht entglitten. Die Polizei vor dem Parlamentsgebäude hatte den Weg für die Protestbewegung freigegeben, und dass Schewardnadse nach der Flucht vor den Demonstranten den Ausnahmezustand ausgerufen hatte, beeindruckte niemanden mehr.

Die neue Regierung will die Machtverhältnisse nun verfassungsgemäß regeln. Die manipulierten Wahlen von November wurden gerichtlich für ungültig erklärt. Nino Burdschanadse, die Präsidentin des letzten gewählten Parlaments, hat im entscheidenden Moment präsidiale Vollmachten für sich reklamiert. Sie ist nunmehr als Interimspräsidentin für die Durchführung von Neuwahlen am 6. Januar verantwortlich. Neu gewählt wird neben dem Parlament jetzt auch der Präsident, dessen Amt unter Schewardnadse mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet wurde.

Ein Sieg Micheil Saakaschwilis, der als eine Art Volkstribun gefeiert wird, gilt als sicher. Die bis zu den Wahlen zerstrittene Oppositionsführung hat sich nun erstmals auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Seine Kandidatur wird nicht nur von Burdschanadse unterstützt, sondern auch von Surab Schwania, einem weiteren Gegner Schewardnadses, der die zweitgrößte Oppositionspartei anführt.

Wie viel Wandel aber wird der von Saakaschwili als »samtene Revolution« bezeichnete Umsturz bringen? Die drei Hauptfiguren der Oppositionsbewegung wurden von Schewardnadse selbst in die Politik eingeführt. Saakaschwili, der in den USA ausgebildet wurde und dort als Anwalt arbeitete, wurde im Oktober 2000 Justizminister und vor allem dadurch bekannt, dass er offen gegen die Korruption vorging und selbst seine Kabinettskollegen nicht von Beschuldigungen ausnahm. Im Jahr 2001 trat er zurück und begann eine Oppositionsbewegung aufzubauen. Schwania war lange Zeit ein enger Mitarbeiter Schewardnadses und schlug sich erst auf die Seite der Opposition, als der Sicherheitsdienst versuchte, den Fernsehsender Rustawi 2 mundtot zu machen. Und auch die Parlamentspräsidentin Burdschanadse hat eine lange Karriere in Schewardnadses Regierungsapparat hinter sich.

Dem ehemaligen sowjetischen Außenminister ist es nicht gelungen, den Verfall der Wirtschaft in Georgien, das einst eine der reichsten Sowjetrepubliken war, aufzuhalten. Das Bruttoinlandsprodukt fiel auf 40 Prozent des Niveaus von 1989. Nach der Unabhängigkeit brachen bewaffnete Kämpfe aus, in Süd-Ossetien, Abchasien und Adscharien bildeten sich separatistische Bewegungen. Schewardnadse gelang es zwar, den Bürgerkrieg zu beenden. Die separatistischen Regionen sind jedoch faktisch autonom, und bis heute versucht Russland, durch die Unterstützung der Sezessionsbestrebungen Einfluss auf die georgische Politik zu nehmen.

Der dreiste Wahlbetrug gab dann den Ausschlag für das Entstehen einer oppositionellen Massenbewegung zur Verteidigung der Verfassung gegen die Manipulationen des Präsidenten. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region hat Georgien unabhängige und kritische Medien, die das Ausmaß des Betrugs und die durch Befragungen vor den Wahllokalen ermittelten inoffiziellen Wahlergebnisse schnell publik machten.

Dass auch die Polizei und die Armee Schewardnadse am Ende nicht mehr verteidigen mochten, dürfte nicht auf eine zentrale Entscheidung zurückzuführen sein. Eine funktionsfähige Führung des Sicherheitsapparats gibt es nicht mehr. Die zahlreichen legalen und halblegalen Gruppen bewaffneter Uniformierter ordnen sich nur teilweise der Zentralregierung unter. Demonstranten berichten auch vom Unwillen vieler Soldaten und Polizisten, auf ihre Nachbarn und Bekannten zu schießen, und von individuellen Desertationen. Neben der Frustration über die korrupte herrschende Klasse und die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit teilten die Demonstranten und Soldaten in Tiflis auch die Angst vor einem Rückfall in den Bürgerkrieg.

Die Regierungen der USA, Russlands und Europas mussten ebenfalls befürchten, dass sich Georgien endgültig in die Liste der gescheiterten Staaten einreiht. Sie kritisierten den Wahlbetrug und distanzierten sich von Schewardnadse. Er stellt seinen Rücktritt nun als einen letzten Dienst am georgischen Volk dar, das er »nie verraten« habe und dem er Blutvergießen ersparen wollte.

Auch die neue Regierung wird auf ausländische Unterstützung angewiesen sein und zwischen Russland und den USA lavieren müssen. Die Westbindung erscheint ökonomisch attraktiver, und der derzeit einzige konkrete Anlass für Hoffnung ist eine vom Ölkonzern BP gebaute Pipeline in die Türkei. In den USA gilt das Projekt als Möglichkeit, die Abhängigkeit von Öllieferungen aus der Golfregion zu verringern, in Europa ist es vor allem russisches Gas, für das man gerne eine alternative Bezugsquelle hätte.

Saakaschwili und Burdschanadse gelten mehr noch als schon Schewardnadse als Anhänger einer Westorientierung mit dem Ziel einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Nato. Das georgische Militär wird von der Nato ausgebildet, und es waren aus dem Westen finanzierte NGO, die Schewardnadses Wahlbetrug dokumentierten. Ein verlässlicher und in Georgien beliebter Nachrichten-Onlinedienst wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung finanziert. Und auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sind in Georgien präsent.

Die russischen Interessen aber kann Georgien nicht ignorieren. Russland hat kein Interesse am Bau von Pipelines, die seine Position als Energielieferant schwächen. Georgien ist vollständig abhängig von russischen Gaslieferungen und wurde von Moskau in der Vergangenheit des Öfteren durch Lieferstopps im Winter daran erinnert, dass die Zahlungsunfähigkeit nur bei politischem Wohlverhalten geduldet wird.

Die Zustände in Georgien sind von der erhofften funktionierenden Marktwirtschaft noch weit entfernt. Das begünstigt die russische Einflussnahme. So rechnete der US-Energiekonzern AES mit einem gewaltigen Investitionsbedarf, als er das staatliche Stromunternehmen Telasi übernahm. Als eine der hauptsächlichen Herausforderungen sah es AES an, die Georgier daran zu gewöhnen, dass Strom nur bei Bezahlung geliefert wird. Viele Privathaushalte verfügen jedoch nicht über die erforderlichen Mittel. Damit hatte man zwar gerechnet und sich zunächst das bescheidene Ziel gesetzt, zumindest zehn Prozent der Schulden einzutreiben. Nicht gerechnet hatte AES allerdings damit, dass man nicht in der Lage sein würde, säumigen Industriekunden und Staatsbetrieben den Saft abzudrehen. Denn auch die ehemaligen Staatsdiener in der Verteilerzentrale sind bestechlich.

Das Firmenmotto von AES, »Fairness, Integrität, soziale Verantwortung und Fun«, ließ sich jedenfalls nicht in die Geschäftspraxis in Georgien übertragen. Mit der Enron-Krise im Heimatland des Mutterkonzerns kam dann das endgültige Aus. Heute gehört AES-Telasi dem russischen Staatskonzern UES.