Der Elch ist los

Ikea eröffnete seine dritte Berliner Filiale und zeigte das freundliche Gesicht des Kapitalismus. von regina stötzel

Im Bus halten zwei türkische Frauen dem Fahrer den Ikea-Katalog vor die Nase. »Zwei Stationen«, sagt er nur. An der Haltestelle formiert sich eine größere Gruppe von Menschen, die das gleiche Ziel haben. »Wer zuerst kommt, kriegt die besten Plätze«, sagt eine Frau lachend und schreitet forsch voran. Doch die sind längst vergeben, die Lose vergriffen. Schnäppchen, Gewinnspiele, billiges Frühstück und ein paar Events ließen die Massen schon in aller Frühe zum Sachsendamm in Tempelhof eilen.

Ein Mann vom Ordnungsdienst weist seit sechs Uhr Autos ein. »Da war schon alles voll.« Bereits um drei Uhr soll der Parkplatz belegt gewesen sein, Stunden bevor die Party für Frühaufsteher begann. Ob auch künftige Ikea-BesucherInnen einen Parkplatz zugewiesen bekommen, weiß er nicht. Sein Einsatz endet »nach den Feiertagen«. Nach Weihnachten also? »Nein, nach der Eröffnung.«

Der Tag der Eröffnung der dritten Filiale des schwedischen Unternehmens in Berlin ist ohne Zweifel ein großer Tag. Ikea ist jetzt ganz nahe. Schluss mit den lang geplanten und wieder verworfenen Ausflügen nach Spandau oder Waltersdorf, ab sofort ist jeder Tag ein potenzieller Ikea-Tag!

Die Stimmung auf dem Vorplatz ist ausgelassen. Hier scheint der lang ersehnte Aufschwung spürbar zu sein. Immerhin investierte der Konzern 90 Millionen Euro ins marode Berlin, schuf 380 Arbeits- und zehn Ausbildungsplätze. Und heute wird nicht gespart, alle Menschen, die hierher gekommen sind, wollen wenigstens Schnäppchen jagen.

»Bitte keine Fotos, ich war gestern erst im Gefängnis«, witzelt ein besonders origineller Verkäufer. Er hat alle Hände voll zu tun. Die Korbsessel »Hästveda« für 15 statt 49 Euro sind nämlich der Renner und werden direkt vom Lkw aus verkauft. Daneben gibt es Weingläser im Dutzend billiger und eine Versteigerung von Einzelstücken. Viele Hände recken sich nach oben, besonders wenn kleine Präsente durch die Luft fliegen.

Auch eine Gruppe streikender Studierender der Freien Universität (FU) ist gekommen. Sie verteilt Flugblätter, auf denen steht, dass die Bildungspolitik in Schweden einen höheren Stellenwert hat. »Deswegen beantragen wir Bildungsasyl in Schweden.« Tatsächlich ist der schwedische Botschafter anwesend. Doch die Aktion hätte vermutlich genauso ohne ihn stattgefunden. Denn Schweden steht für den Sozialstaat, und Ikea für Schweden.

Herbert Steins, der Einrichtungshauschef in Tempelhof, strahlt: »Ein geordnetes Chaos war das.« Er ist froh, dass alles so gut über die Bühne ging, trotz und wegen des Massenandrangs, und weil es keinen Ärger mit den Studierenden gab. Er schüttelt einem von ihnen die Hand und bedankt sich herzlich. »Gemeinsam« habe man den Morgen gestaltet. »Wir arbeiten schließlich mit den Studenten«, erklärt Steins, »die jobben bei uns, im Lager und an der Kasse. Wir können immer welche gebrauchen.«

Herr Steins ist ein netter Mann. Man kann sich vorstellen, ihn »Herbert« zu nennen, wenn man bei Ikea jobbt. Nach skandinavischer Art duzen sich alle. »Das ist gut fürs Arbeitsklima«, sagt Steins. »Der Respekt voreinander bleibt aber erhalten.« Und die Hierarchie? »Die auch, aber wir haben hier eine flache. Es gibt nur wenige Chefs.«

Im Eingangsbereich spielt eine muntere Blaskapelle, ansonsten sieht es eigentlich aus wie immer bei Ikea. Bis auf ein paar Ausnahmen. Zwei Studentinnen schlafen in einem Doppelbett den Bildungsschlaf. Wenige Meter weiter ist noch ein Bett belegt. Auch dort haben es sich zwei Frauen gemütlich gemacht, die weniger studentisch aussehen, die Reste ihres Frühstücks neben sich. Haben sie sich mit den Studierenden solidarisiert? »Wir werden gegen unseren Willen hier festgehalten«, erklärt die eine geheimnisvoll.

Pippi Langstrumpf hüpft vorbei und belustigt kleine Kinder, gefolgt von Karlsson vom Dach. Dann erscheint eine zweite Pippi mit ihren Freunden Tommi und Annika, in weniger ausgefeilten Kostümen. Bei einer kurzen Performance vor Wohnzimmerschränken, die nicht gerade für großes Aufsehen sorgt, geht es um die Bildungsmisere. Ein Flugblatt erklärt die Bedeutung des Fachbereichs Skandinavistik für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Berlin.

Auch wenn die Ikea-Kundschaft sich kaum für die Proteste interessiert, ist es schlau von den Studierenden, dorthin zu gehen, wo die Presse versammelt ist. Und die Geschäftsführung von Ikea ist so schlau, sie mit Plüsch-Elchen für sich zu gewinnen. Das macht einen guten Eindruck und zeigt einmal mehr, dass der Kapitalismus auch ein freundliches Gesicht haben kann.

Darauf versteht sich der Konzern. Auch an diesem Tag wird für gute Zwecke gespendet, je 5 000 Euro für eine Kindertagesstätte und eine Sonderschule, die gleiche Summe für die Aktion »Bäume in Berlin«. Die Krebsforschung und der Wiederaufbau im Kosovo wurden in der Vergangenheit großzügig unterstützt, für jedes zur Eröffnung verspeiste Stück Mohn-Schmand-Kuchen gehen 50 Cent an Unicef.

Die Geschichte Ikeas ist eine rührende Erfolgsgeschichte. Der Gründer des Unternehmens, Ingvar Kamprad vom Hof Elmtaryd im kleinen Dorf Agunnaryd – aus den Anfangsbuchstaben seines Namens und seiner Adresse entstand der Firmenname –, fasst schon als Jüngling den Entschluss, Geschäftsmann zu werden. Was mit dem Handverkauf von Streichholzschachteln beginnt, wird zu einem Imperium mit 165 Einrichtungshäusern in 22 Ländern. Inzwischen baut der Betrieb auch hübsche kleine Holzhäuschen, passend zu seinen Möbeln.

Kamprad, heute 77 Jahre alt, gehört zu den beliebtesten Schweden, den reichsten Männern Europas und den prominentesten Bahnfahrern zweiter Klasse. Der Fabrikant der alten Schule gilt als der Henry Ford der Möbelindustrie. Er setzte auf erschwingliche Massenprodukte; Beratung, Transport und Montage wurden wegrationalisiert. Im Zeitalter der Globalisierung werden Ikea-Fertigprodukte überall in der Welt hergestellt, wo die Löhne niedrig sind. Und den KäuferInnen wachsen »Billy« oder »Ivar«, obwohl massenhaft produziert, sogar ans Herz, haben sie erst eine Weile mit dem Aufbau der Prachtstücke zugebracht.

Hübsche Farben, Kinderfreundlichkeit und Prämien für die Angestellten unterstützen den guten Ruf des Konzerns, der stets flott reagierte, sobald ein Skandal drohte. Als eine schwedische Zeitung vor knapp zehn Jahren enthüllte, dass Kamprad bis in die fünfziger Jahre nachweislich Sympathien für Rechtsextremisten hegte, entschuldigte er sich schriftlich bei seinen Angestellten. Anders etwas als Nike wurde Ikea schnell verziehen, als dem Vorwurf, in seinen Weltmarktfabriken Kinder zu beschäftigen, umgehend die Einführung eines »Verhaltenskodex zur Vorbeugung von Kinderarbeit« und Spenden für Unicef folgten.

Der Erfolg des Unternehmens, das trotz oder gerade wegen der Krise boomt, liegt aber auch daran, dass es mit der Zeit geht. Die klassische Kleinfamilie ist nur ein kleiner Teil seiner Zielgruppe. Ikea baut seine Möbel auch für Singles, LebensabschnittsgefährtInnen, Alleinerziehende und Wohngemeinschaften. Studierende verdanken Ikea eine kommerzielle, aber erschwingliche Alternative zum Muff möblierter »Studentenbuden«.

Zurück im Bus unterhalten sich drei ältere Frauen. Ihre Ausbeute ist mager. Eine hat ein Set mit 25 Kerzen und eine einzelne dicke für 5,50 Euro ersteigert. Die beiden anderen wiegen bedenklich die Köpfe. »Das ist aber nicht billig«, sagt die, die zwar schon um halb sechs Uhr vor Ort war, aber nur mal schauen wollte. Zum Einkaufen war es ihr zu voll: »Ein einziges Chaos.«