Die glorreichen Sieben

Nach mehrwöchigem Hungerstreik und internationalen Protesten haben die griechischen Behörden die sieben Gefangenen des EU-Gipfels im Juni freigelassen. von ralf dreis, thessaloniki

Der Jubel in der besetzten Theologischen Fakultät der Universität von Thessaloniki ist riesig. Die sieben Gefangenen, die während des EU-Gipfels im Juni festgenommen wurden, sind nach der Entscheidung des zuständigen Amtsgerichts in Thessaloniki mit Meldeauflagen aus der Haft zu entlassen, teilen die Anwälte per Telefon mit. Spontan blockieren die 200 Besetzer am Mittwoch vergangener Woche die Hauptverkehrsader vor der Universität. Eine rauschende Party beginnt.

Die Entlassung ist ein großer Triumph der Solidaritätsbewegung über die Staatsraison. Bis zuletzt hatten die eingesetzten Polizeibeamten mit Folter und Schikanen versucht, den Hungerstreik von fünf der Inhaftierten zu brechen. Noch vier Stunden vor der Entscheidung des Gerichts hatte die Staatsanwaltschaft versucht, eine Zwangsernährung der Hungerstreikenden durchzusetzen, was aber von den behandelnden Ärzten verweigert wurde. Unterstützung erhielten sie dabei von führenden Politikern der sozialdemokratischen Pasok-Regierung.

Regierungssprecher Christos Protopappas betonte am Anfang vergangener Woche im Anschluss an den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Untersuchungshaft bis zum Prozess aufrechtzuerhalten: »In Anbetracht der Ausmaße des Falles kann keine Rede von Verzögerung sein.« Die Vorwürfe, dass Polizeibeamte die Kommunikation der Hungerstreikenden mit ihren Anwälten unterbrochen und sich der Folter schuldig gemacht hätten, entbehre jeglicher Grundlage. Ärzte, Anwälte und Unterstützergruppen hatten in den Wochen zuvor immer wieder die Einschränkung grundlegender demokratischer Rechte, die Behinderung der ärztlichen Arbeit, Folter sowie die angeführten Haftgründe bemängelt, die ihrer Ansicht nach lediglich auf polizeilichen Konstrukten beruhten.

Wegen des sich rapide verschlechternden Gesundheitszustands der Hungerstreikenden schlossen sich in der letzten Woche zahlreiche Organisationen und Prominente der bis dahin fast ausschließlich von anarchistischen Gruppen getragenen Solidaritätsbewegung an. In sechs Städten wurden Universitätsgebäude besetzt und in Aktionszentren umgewandelt.

Ständige Demonstrationen, die Besetzungen von Rathäusern, Radiostationen und Universitäten und mehr als fünfzig Anschläge auf Banken und staatliche Gebäude seit Anfang Oktober hatten den Hungerstreik zuvor zum öffentlichen Thema gemacht. Selbst die griechischen Massenmedien kamen nun nicht mehr um die tägliche Berichterstattung herum.

Galt im Sommer noch eine Art Kollektivschuld für alle, die sich am so genannten Black Block beteiligt hatten, wurden nun die Begleitumstände der Festnahmen interessant. Plötzlich dokumentierten die Medien die brutale Verhaftung des Engländers Simon Chapman, der gut sichtbar einen lila-blauen Rucksack trug. Kurze Zeit später stellte eine als Demonstrantin verkleidete, vermummte, mit Gasmaske ausgerüstete Beamtin einen schwarzen Rucksack voller Molotowcocktails vor ihm ab.

Auch die Festnahme des seit 1989 in Griechenland lebenden, von Abschiebung bedrohten Syrers Suleiman »Kastro« Dakduk wurde wieder aufgerollt. Zeugenaussagen belegten, dass Kastro bis zu dem Moment, in dem die Polizei die Demonstration mit Tränengas auflöste, Flugblätter verteilt hatte. In der allgemeinen Panik flüchtete er zu einer Gruppe von Vermummten, die sich als Beamte zu erkennen gaben und ihn festnahmen.

Kastro, der in Syrien geboren wurde, engagierte sich schon als Jugendlicher in oppositionellen Gruppen, verweigerte den Militärdienst und floh schließlich 1989 nach Griechenland. Als Gründungsmitglied des »Vereins Syrischer Regimegegner« und der »Antirassistischen Vereinigung Rethimnon« und als aktiver Gewerkschafter setzte er sich auf Kreta erfolgreich gegen Abschiebungen zur Wehr. Zweimal wurde er verhaftet und sollte abgeschoben werden, was verhindert werden konnte. Als Aktivist der antirassistischen Bewegung trat er in der Folge in ganz Griechenland als Redner auf.

Gegen die Schikanen bei der Festnahme, die Verweigerung von Dolmetschern und medizinischer Betreuung konnte zwar zunächst wenig unternommen werden, doch im Laufe des Hungerstreiks änderte sich die Situation. Anfang November erregte die Einlieferung des Spaniers Carlos Martinez in ein Krankenhaus die öffentliches Aufsehen. Mit Handschellen gefesselt, wurde er im Krankenhaus von Polizeibeamten geschlagen und schikaniert. Der behandelnde Arzt beklagte am folgenden Tag die »Besetzung des Krankenhauses durch 60 bis 70 vermummte und mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten«.

Nachdem in der Nacht zuvor alle fünf Hungerstreikenden ins Krankenhaus verlegt worden waren, erklärte die Ärztevereinigung Thessaloniki am 10. November, dass »die Gefangenen sich nach 40 bis 50 Tagen Hungerstreik an einem Punkt befinden, wo offensichtlich ihre körperliche Unversehrtheit gefährdet ist. Wir wissen nicht, ob eine neue Ära begonnen hat, in der Gefangene in Ketten zum Arzt geschleppt werden, um unter den wachsamen Augen von Polizisten mit Maschinenpistolen untersucht zu werden. Sollte dies wirklich so sein, so sind wir nicht bereit, uns an diesem Verbrechen zu beteiligen, das der Medizin, der Moral und der Berufsethik widerspricht.«

In der folgenden Nacht wurden die fünf Gefangenen aus dem Krankenhaus in Thessaloniki in den 500 Kilometer entfernten Knast Korydallos nach Athen entführt, wobei die Hungerstreikenden mit Handschellen an die Sitze gefesselt wurden.

Nach Demonstrationen vor griechischen Botschaften in Spanien, England, Frankreich und Deutschland internationalisierte sich die Bewegung ab Mitte November. Amnesty international erkannte die Inhaftierten als politische Gefangene an und forderte ihre Haftentlassung; 28 linke Abgeordnete des Europaparlaments – unter ihnen drei der deutschen PDS – schlossen sich auf Initiative der griechischen Linksallianz dieser Forderung an.

Zuletzt schickte amnesty international vergangene Woche eine Erklärung an den griechischen Innenminister Kostas Skandalidis, in der eine »tiefschürfende, unabhängige und unparteiische Untersuchung« aller Vorwürfe gefordert wird. Die griechischen Behörden sollten sicherstellen, »dass die Opfer eine ausreichende Entschädigung erhalten und die Schuldigen solcher Menschenrechtsverletzungen der Justiz zugeführt werden, falls sich die Anschuldigungen bestätigen«.

Ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen ist damit der Versuch des griechischen Staates gescheitert, die exemplarische Bestrafung radikaler Opposition ungeachtet der eigenen Gesetzgebung zu etablieren. Was in Schweden in Folge des EU-Gipfels von Göteborg ohne größere Proteste manifestiert wurde, konnte in Griechenland durch den Widerstand der anarchistischen Bewegung und mit Hilfe der Öffentlichkeit vorerst abgewehrt werden.