Land der Monster

Germanisten in der NSDAP

Wenn erst in einem »Germanistenlexikon«, dann aber im Spiegel und in der FAZ steht, dass auch die Germanisten nur Germanen seien und dem Führer folgen wollten, müssen die andern schreiben, das hätten sie längst gewusst, das sei nicht so schlimm. Besonders deutsch, geradezu hochdeutsch zeigt sich einmal mehr die Süddeutsche Zeitung: »Das dritte Reich ist kein fernes Land der Monster gewesen, Wissenschaft wurde in ihm großzügig gefördert, Begabte hatten glänzende Karrierechancen. Es gelang die Integration der verschiedensten Absichten, Interessen und Charaktere zur ›Volksgemeinschaft‹. Und viele Deutsche, die damals dem Führer zujubelten oder Mitglieder der NSDAP wurden, waren später treue Demokraten und loyale Staatsbürger der Bundesrepublik.«

Kennst du das Land, wo die dicken Kartoffeln blühn? Dahin, dahin möcht ich mit dir, o mein Führer, ziehn. Denn da wird Wissenschaft großzügig gefördert, da haben Begabte glänzende Karrierechancen, da gelingt die Integration der verschiedensten Absichten, Interessen und Charaktere – solange die Wissenschaft rassentheoretisch fundiert, die Begabung einwandfrei arisch und die Absichten, Interessen und Charaktere süddeutsch, niederdeutsch, jedenfalls aber deutsch sind. Gustav Seibt ergänzt, es sei »modern, modisch, zeitgemäß« gewesen, ein »Nazi zu sein«. So wie es sein Kollege Thomas Steinfeld heute zeitgemäß findet, einen rassisch inspirierten Harry Potter gegen das auserwählte Volk ins Feld zu schicken.

»Aber was hatte man erwartet? Wer wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften der Jahre zwischen 1933 und 1945 konsultiert, konnte seit jeher wissen, dass die deutschen Geisteswissenschaften nach der Austreibung der kritischen Elemente am Beginn der Diktatur«, eine Austreibung, die den Elementen manchmal elementar vorgekommen sein muss, »in ihrer überwältigenden Mehrheit von nationalistischen und völkischen Kategorien beherrscht waren.« Auch wissen kann man, dass der spätere Vorsitzende des Germanistenverbandes, Benno von Wiese, nicht nur auf der Klaviatur dieser Kategorien zu spielen verstand, sondern auch seit 1933 Mitglied der NSDAP war, denn er hat es in seinen Memoiren selbst geschrieben. Selbstverständlich trat er nur in die Partei ein, um Schlimmeres zu verhüten. So könnte aber heute Seibt erklären, er müsse nur deshalb die Süddeutsche voll schreiben, um Schlimmeres (i.e. Steinfeld) zu verhüten.

Einen Unterschied möchte, ohne nachschlagen zu wollen, Seibt zwischen den »Betroffenen des neuen Nachschlagewerks« schon machen. Ihm gefällt, wie »ruhig und nobel« Peter Wapnewski die »Informationen« als unwichtig abtut, während Walter Jens und andere, die sie leugnen, doch nur der »Logik des obszönen Einzelfaktums Vorschub« leisteten. Im Ozean der obszönen Fakten soll sich das einzelne verlieren. Wenn aber Seibt schließt, nötig sei »die Lektüre von ganzen Texten, von Lebenswerken im Zusammenhang ihrer historischen Umwelt und im Verlauf der Zeit« – man stelle sich vor: Lektüre ganzer Texte, ja der Lebenswerke von Wapnewski und Jens! –, erweist er sich als würdiger Enkel einer Generation, der es nicht zu viel war, im tiefsten Winter geschlossen nach Russland zu trampeln.

stefan ripplinger