Dom zieht um

Debatte um den Schlossplatz

Über den »Höhepunkt des Verfalls«, wie das wuchtige Gebäude am Schlossplatz genannt wird, spricht heute niemand mehr. Dabei läge eine Debatte über den Abriss des Berliner Doms viel näher als die leidige Frage, wann der Palast der Republik endlich im Staub versinkt.

Der Dom wurde an die Stelle eines sehr viel bescheideneren Vorgängerbaus gesetzt, bei dem auch Karl Friedrich Schinkel seine Handschrift hinterlassen hatte. Im Jahr 1893 riss man den alten Dom ab, der neue war 1905 fertig.

Deutschland hatte den Krieg gegen Frankreich gewonnen und sich geeint. Mit den Reparationsgeldern wurden protzige Neubauten errichtet. Historisierend und eklektizistisch, mit viel Schnörkel und Schmuck, entsprachen sie dem Repräsentationsbedürfnis Kaiser Wilhelms II. Der Wilhelminismus war geboren. Dass er wenig mit Feingefühl für das Stadtgefüge zu tun hatte, ist bis heute sichtbar. Der 116 Meter hohe Dom erschlägt die Museumsinsel nicht nur durch seine Größe. Die pathetische Brachialarchitektur wirkte neben der klassizistischen Ausgewogenheit von Schinkels Altem Museum oder Stülers Nationalgalerie schon für die Zeitgenossen des Kaisers deplatziert. »Lärmend protziger Schwall« wurde das Gebäude genannt, oder auch »Seelengasometer«.

Sogar das Stadtschloss wurde in seiner Formsprache und Dimension vom Dom ignoriert. Zerstört waren nach dem Krieg beide, Schloss und Dom. Wer mag ergründen, warum das eine Gebäude dran glauben musste, das andere nicht? Als »Zwingburg des preußischen Feudalstaates« wurde das Schloss abgerissen, vor allem also aus ideologischen Gründen. Aber die »Hauptkirche des preußischen Protestantismus« war genauso eine Machtdemonstration wie das Schloss. Zudem symbolisiert der Dom die Verquickung zwischen weltlicher und geistlicher Macht.

Im Palast der Republik spiegelt sich das wilhelminische Gottesgebäude. Wenn von einem hässlichen Schandfleck am Schlossplatz die Rede ist, dann ist das Gebäude aus den siebziger Jahren gemeint. Doch es ist nicht leicht, gut auszusehen, wenn nur noch das nackte Gerippe übrig ist. Der Palast soll abgerissen werden, vornehmlich aus ideologischen Gründen. Mal wieder. Dabei missachtet der Palast den städtebaulichen Bezug zur Museumsinsel weniger als der Dom. Im Zuge einer »kritischen Rekonstruktion« des historischen Zentrums müsste der Dom verschwinden, um das klassizistische Gleichgewicht am Lustgarten wieder herzustellen.

Am besten wäre es, ihn Stein für Stein abzutragen. Mit dem Versetzen von Gebäuden hat Berlin seine Erfahrung. Ob Ephraimpalais, Kaisersaal oder Babelsberger Gerichtslaube – der Standort dieser Gebäude war ursprünglich anderswo. Ein geeigneter Standort für den Dom wäre Marzahn. Dort stimmte die Größenordnung, und die oft verschmähte Trabantenstadt hätte endlich eine Touristenattraktion.

giuseppe pitronaci