Benz mit Flecken

Mercedes-Benz soll mit der Ermordung von Betriebsräten unter der argentinischen Militärdiktatur zu tun haben. Eine von Daimler-Chrysler einberufene Kommission kommt zu anderen Ergebnissen. von thorsten fuchshuber

Daimler-Chrysler steht für Offenheit und ist im Bunde mit der Menschlichkeit. So lautete die Botschaft einer Pressekonferenz des Automobilkonzerns in Stuttgart in der vorigen Woche. Dort sollte der Vorwurf entkräftet werden, die Leitung der argentinischen Niederlassung des Konzerns, insbesondere der damalige Produktionsleiter Juan Tasselkraut, sei in den Jahren der Militärdiktatur in Argentinien von 1976 bis 1983 an der Verschleppung und der Ermordung von mindestens 15 Betriebsräten beteiligt gewesen.

Vor einem Jahr hatte das Unternehmen eine »unabhängige Kommission« einberufen, um die damaligen Vorgänge zu untersuchen (Jungle World, 47/02). Nun wurden in Stuttgart die Ergebnisse der Kommission vorgestellt, die von dem Völkerrechtler Christian Tomuschat geleitet worden war. Die versammelten Konzernvertreter konnten sich freuen. »Hinweise«, dass Mercedes-Benz, wie das Unternehmen sich damals noch nannte, in den Jahren 1976 und 1977 »aktiv an der Verschleppung von Personen beteiligt war, lassen sich nicht halten«, gab Tomuschat bekannt.

Es habe zwar eine »gewisse Zusammenarbeit« mit der Militärdiktatur gegeben, weshalb das »Bild nicht frei von Flecken« sei. Dennoch kam der Professor der Humboldt-Universität Berlin, dem es nicht darum ging, den Konzern »weiß zu waschen«, zu dem Schluss, er habe »nichts finden können, was ein schlechtes Bild auf Daimler-Chrysler wirft«.

Dieses Resümee bringt die Betroffenen in Rage. »Der Bericht ist eine parteiliche Auftragsarbeit«, sagt Ramón Segovia, der Sprecher der damals entführten Mercedes-Arbeiter. Auch der Berliner Rechtsanwalt und Sprecher der »Koalition gegen die Straflosigkeit«, Wolfgang Kaleck, ist empört: »Der Bericht ist oberflächlicher recherchiert und voreingenommener, als ich befürchtet hatte.« Für Kaleck, der bereits 1999 Strafanzeige gegen Juan Tasselkraut und das Unternehmen stellte, war die Studie der zweite Rückschlag in einer Woche. Wenige Tage zuvor hatte die zuständige Staatsanwaltschaft in Nürnberg bekannt gegeben, dass das Ermittlungsverfahren gegen Tasselkraut eingestellt worden sei.

Auch die »Kritischen Aktionäre« von Daimler-Chrysler sind von der Untersuchung nicht überzeugt. Ihr Sprecher Holger Rothbauer kritisiert zudem, dass selbst der Gesamtbetriebsrat des Unternehmens »die Sache« nun für erledigt hält. Dies sei enttäuschend, da »es immerhin um Kollegen von damals geht«.

Tatsächlich sind die Ergebnisse der Studie zweifelhaft. Tomuschat zieht die Aussage des Hauptbelastungszeugen, Héctor Ratto, an entscheidenden Punkten in Zweifel. Ratto, der 16 Monate lang inhaftiert war und gefoltert wurde, beschuldigt Tasselkraut, an seiner Verschleppung mitgewirkt zu haben. Am Tag seiner Verhaftung habe Tasselkraut ihn in dessen Büro geholt, um zu verhindern, dass es beim Abtransport zu Tumulten unter den Arbeitern komme. Gleichzeitig habe Tasselkraut damit eine Flucht Rattos verhindern wollen. Der Kommissionsleiter Tomuschat hingegen sagt, Tasselkraut habe »vielmehr Herrn Ratto schützen« wollen, da er darauf bestanden habe, dass dieser nur von uniformierten Beamten und »im Beisein von anderen Personen abgeführt« werde. Das habe Ratto das Leben gerettet.

Dieser aber beharrt darauf, er habe, als er am 12. August 1977 auf seine Festnahme gewartet habe, beobachtet, wie Tasselkraut per Telefon die Adresse des Arbeitervertreters Diego Núñez an die Militärs weitergab. Noch in derselben Nacht wurde Núñez verhaftet und ins Folterzentrum Campo de Mayo gebracht. Er tauchte nie wieder auf.

In dieser Frage glaubt Tomuschat, Widersprüche in Rattos Aussagen zu erkennen. Dieser habe den Vorfall im Prozess gegen mehrere Junta-Kommandanten im Jahr 1985 anders dargestellt als in den Vernehmungen im deutschen Konsulat in den Jahren 2001 und 2002, die bereits seine »gestörte Erinnerung« dokumentierten.

Tomuschat versucht, mit Rattos Aussage aus dem Jahr 1985 Tasselkraut zu entlasten, obwohl der Gegenstand der damaligen Verhandlung nicht Tasselkraut, sondern die Junta war. Der Rechtsanwalt Kaleck weist darauf hin, dass es sich bei der Aussage nicht um ein Wortprotokoll handele, Ratto habe es auch nicht unterschrieben.

Dass Tasselkraut wusste, wie es um die politischen Verhältnisse in Argentinien bestellt war, gab er in einem Interview zu Protokoll, das Kaleck vorliegt. »War der Firma damals bekannt, dass die Militärs als Subversive abgeführte Arbeiter folterten und ermordeten?« fragte die Journalistin Gaby Weber Tasselkraut, und er antwortete: »Ja, wer sich einigermaßen auskannte in Argentinien, der wusste klar, dass gegen jedes Menschenrecht in Argentinien Leute beseitigt wurden.«

Als Zeuge vor der Berufungskammer in La Plata soll Tasselkraut überdies ausgesagt haben, dass sich die zwischenzeitlich auf 30 Prozent gesunkene Produktivität des Unternehmens in Argentinien nach der Beseitigung der Betriebsräte wieder normalisiert habe. »Wunder gibt es nicht, Euer Ehren«, fügte Tasselkraut hinzu. Trotzdem kommt die Kommission zu dem Schluss: »Mercedes-Benz Argentinien gehörte nicht zu den Unternehmen, die aus der Militärdiktatur in besonderer Weise Nutzen zogen.«

Gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Nürnberg will Kaleck nun Beschwerde einlegen. Zwei noch laufende Verfahren in Argentinien, das so genannte Wahrheitstribunal und der Strafprozess gegen die Firma und ihre damalige Leitung in Buenos Aires, machen der »Koalition gegen die Straflosigkeit« Hoffnung.

Des Weiteren werden Überlebende des Regimes Anfang 2004 eine zivile Entschädigungsklage gegen Daimler-Chrysler in den USA einreichen. Kaleck glaubt, dass der Konzern irgendwann doch noch Opfer seiner eigenen Borniertheit wird: »Wir wissen, dass die das alles auf die leichte Schulter nehmen, aber irgendwann mal werden sie merken, dass das die falsche Strategie war.«

Einen kleinen Erfolg konnte die »Koalition« Anfang Dezember verbuchen. Da gab die Nürnberger Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie Haftbefehl gegen den ehemaligen argentinischen Staatspräsidenten Jorge Videla sowie zwei seiner wichtigsten Mitstreiter erlassen habe. Sie wurden für die »Ermordung von Bundesbürgern«, nämlich der Soziologin Elisabeth Käsemann und des Studenten Manfred Zieschank, verantwortlich gemacht. Dieser wurde 1976 in Argentinien entführt, gefoltert und über dem offenen Meer aus einem Militärflugzeug geworfen. Elisabeth Käsemann, die sich in den Elendsvierteln von Buenos Aires sozial engagierte, wurde 1977 durch Schüsse in das Genick und den Rücken ermordet.