Ruhe vor den Spielen

Terroristenprozess in Griechenland

»Die Demokratie verübt keine Racheakte. Die unabhängige griechische Justiz hat mit dem Gefühl der Verantwortung und unbeeinflusst ihre Entscheidung getroffen!« Der Kommentar des griechischen Justizministers Filipos Petsalnikos zum Urteil im Prozess gegen die Stadtguerillagruppe 17. November hört sich gut an. Es kam zu vier Freisprüchen, gegen die die Staatsanwaltschaft in Berufung gehen will, und 15 Verurteilungen im aufwändigsten Prozess der jüngeren griechischen Geschichte.

Befriedigung bei Politikern und Angehörigen der Opfer ist zu spüren und Aufatmen in der internationalen Presse, dass die »Mörder« nun für immer in ihren Isolationszellen verschwinden. Und tatsächlich, im Vergleich mit den deutschen RAF-Prozessen erscheint das Urteil ausgewogen. Bei näherer Betrachtung freilich hat diese Einschätzung keinen Bestand. Die erkämpften Freisprüche sind vor allem der offensichtlich konstruierten Anklage und den bekannten kämpferischen Lebensläufen der Aktivisten geschuldet. Andere Angeklagte hatten jedoch nie die Chance auf einen fairen Prozess.

Das nach dem neuen so genannten Antiterrorgesetz extra für diesen Prozess zusammengestellte dreiköpfige Gericht hat alle politischen Vorgaben erfüllt: den Beweis für das Funktionieren des griechischen Staatsapparats sowie die Zerschlagung des nationalen Terrorismus noch vor den Olympischen Sommerspielen 2004. Dass dies auf Kosten verbriefter Bürgerrechte geschah, stört nur wenige.

Dem von der Staatsanwaltschaft zum Kopf der Organisation erklärten Alexandros Giotopoulos, der selbst jegliche Beteiligung bestreitet, wurden alle 963 seit 1975 verübten Straftaten angelastet. Das Gericht ging von einem streng hierarchischen Aufbau der Organisation aus, obwohl alle bekennenden Mitglieder der Gruppe von »kollektiven Entscheidungen« und einem »Vetorecht« jedes Einzelnen sprachen. Die Verurteilung von Giotopoulos einzig auf Grund von Aussagen zweier Kronzeugen widerspricht zwar der griechischen Gesetzgebung, die eine Verurteilung, die nur auf Aussagen von anderen Angeklagten basiert, verbietet, ist aber nötig, um zumindest einen der angeblichen Gründungskader zu verurteilen.

Auch der Umstand, dass Sabbas Xiros alle seiner früheren Aussagen widerrief und sie auf Folter und die Verabreichung von Psychopharmaka zurückführte, interessierte das Gericht nicht. Ihm war im Sommer 2001 ein Sprengsatz in der Hand explodiert. Schwer verletzt befand er sich über einen Monat, isoliert von der Außenwelt, im Gewahrsam von griechischen und englischen Verhörspezialisten. Seine Krankenakte wird unter Verschluss gehalten.

Ob diese Fakten ausreichen, um Griechenland zur »US-Kolonie« zu erklären, wie es Giotopoulos nach der Urteilsverkündung tat, darf bei dem in Griechenland herrschenden Antiamerikanismus getrost bezweifelt werden. Die »Auslieferung der Verurteilten« an die USA schloss Justizminister Petzalnikos zumindest »nach geltender Rechtslage« aus.

Ruhe bis zu den Olympischen Spielen bedeutet das freilich nicht. Abgesehen davon, dass der patriotische 17. November nie Angriffe auf die »nationale Herausforderung Olympia 2004« durchgeführt hätte, wird es auch nach dem Urteil öfter krachen. So verübte bereits eine neue Hobbyguerilla Anfang Dezember Brandanschläge auf zwei Büros der regierenden Pasok-Partei, einen Supermarkt und eine Postfiliale in Thessaloniki. Die »Zelle Revolutionäre Gewalt« erklärte ihre Solidarität mit den Verurteilten und betonte, dass auch »die Sondergerichte des Staates und der Demokratie den andauernden gesellschaftlichen Krieg nicht beenden« werden.

ralf dreis, thessaloniki