Totes Meer

Die italienische Abschottungspolitik hat die Meerenge zwischen Afrika und Sizilien in einen gewaltigen Friedhof verwandelt. von julian poluda

Namenlose Kreuze bedecken den kleinen Friedhof von Lampedusa. Er kann die Vielzahl an Toten nicht mehr aufnehmen, und man will das hier auch nicht. Auch an lebenden Besuchern hat die italienische Mittelmeerinsel kein Interesse, jedenfalls nicht an solchen ohne Urlaubsbuchung. Der Bürgermeister der Insel drohte bereits damit, die Leichen der angeschwemmten Toten ins Meer zu werfen, sollten sie nicht bald aufs Festland überführt werden.

Die Bilanz der italienischen Politik zur Abschottung von Flüchtlingen ist erschreckend. Allein im Juni kam es nach Angaben der sizilianischen Flüchtlingsorganisation ASGI zu über 300 Todesfällen in der Meerenge zwischen Sizilien, Libyen und Tunesien. Wurde über die Toten der Schiffsunglücke im Oktober auch hierzulande noch berichtet, so sind die Toten vor Lampedusa mittlerweile keine Meldung mehr wert.

Die Meerenge zwischen Afrika und Sizilien hat sich in einen gewaltigen Friedhof verwandelt. Seit Jahren berichten die Fischer von Lampedusa von Körperteilen, die sie in ihren Netzen finden.

Es sind die Opfer der vom italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi proklamierten Politik des »Meeresblocks«. Aber trotz der von der italienischen Regierung bei jeder Gelegenheit in triumphalem Ton vorgetragenen Erfolgsmeldungen im »Krieg« gegen Migranten kam es in den letzten Monaten zu einem weiteren Anstieg erfolgreicher Grenzüberschreitungen nach Italien. Allein auf der Insel Lampedusa sind nach Presseberichten im Oktober über 1 000 Personen eingetroffen.

Kommt man auf Lampedusa an, sieht man von der Gangway aus das stacheldrahtumzäunte Betonareal, in dem zeitweilig bis 1 000 Menschen untergebracht werden, obwohl es nur für 150 Menschen angelegt ist. Videokameras und patrouillierende Polizei bestärken den Eindruck eines Notstandsgefängnisses. Umgebaute Container und Zelte sind Wohnmöglichkeit und einziger Schutz vor Kälte und Hitze zugleich.

Es handelt sich um das »provisorische Transitzentrum«, das Teil der italienischen Abschiebepolitik ist. Innenminister Giuseppe Pisanu verkündet stolz, dass aufgrund bilateraler Abkommen inzwischen für jeden Neuankömmling vier Migranten in die entsprechenden Herkunftsländer abgeschoben werden. Die Kompetenzen von Polizei und Militär wurden in den letzten Monaten systematisch ausgeweitet. Der militärischen Vorgehensweise während der Albanienkrise 1997 folgend, haben bereits seit 2001 zahlreiche Verordnungen zur Flüchtlingsabwehr zu einer beispiellosen Militarisierung der Adria geführt. Durch entsprechende Abkommen mit Ägypten, Libyen, Tunesien und Marokko hat sich der Handlungsraum der italienischen Marine bis an die Grenze der libyschen und tunesischen Gewässer vergrößert.

Seither kann die Marine, nach Rückfrage bei der Zentraldirektion für Einwanderung und Grenzen, die Umkehr von Migrantenschiffen oft schon an der Grenze zwischen nordafrikanischen und internationalen Gewässern erzwingen.

Das hat zur Folge, dass viele Flüchtlinge in immer kleineren Schiffen die Überfahrt nach Sizilien wagen, da diese weniger leicht zu entdecken sind. Aber sie sind für eine solche Überfahrt auch kaum geeignet.

Als Abfahrtsort geben Migranten meist Libyen an, weil sie wissen, dass aufgrund von Rücknahmeabkommen Länder wie Albanien, Tunesien oder Marokko seit geraumer Zeit bereit sind, auch Migranten aus Drittstaaten wieder aufzunehmen. Die Anreize für solche Rücknahmeabkommen und für die Kooperation mit Nicht-EU-Staaten in der Flüchtlingsabwehr sind dabei vielfältig: Schuldennachlässe oder die Erhöhung regulärer Einwanderungsquoten werden von der italienischen Regierung ausgelobt.

In Lagern wie dem auf Lampedusa warten die Flüchtlinge dann auf ihre Abschiebung. Seit der Eröffnung des Lagers im Jahr 1998 berichten Migranten und Flüchtlingshilfsorganisationen, welchen in Ausnahmefällen das Besuchsrecht gewährt wurde, immer wieder von Überbelegung, unhaltbaren hygienischen Zuständen und der Vorenthaltung grundlegender Rechte wie z.B. ausreichende medizinische und psychosoziale Versorgung , die Bereitstellung von unabhängigen Dolmetschern oder Rechtsbeistand im Asylverfahren, wie sie selbst in einer Direktive des Innenministeriums aufgelistet sind.

Durch Bürgerkrieg, Flucht, Verlust von Angehörigen sind die Flüchtlinge bereits vielfach traumatisiert. Die repressive Struktur des Lagers und die weitgehende Entrechtung der Migranten führt oftmals zu einer erneuten Traumatisierung der Gefangenen. Suizidversuche sind oft die Folge, regelmäßige Hungerstreiks bleiben angesichts der Isolierung der Gefangenen die letzte Möglichkeit des Protestes.

Zweifel an der Legitimation des Zentrums haben die Vertreter der christlichen Organisation »Misericordia«, die für es verantwortlich sind, nicht. Sie rechtfertigen die staatlich finanzierte Zusammenarbeit mit dem Lager mit einem humanitären Auftrag.

»So wie es in jeder Stadt ein Gefängnis, eine Präfektur oder eine Polizeistation gibt, werden sich die Menschen an die Idee gewöhnen müssen, dass es auch ein Aufenthaltszentrum geben wird«, sagt Anna Maria D’Ascenzo, Verantwortliche des Innenministeriums für Fragen der Immigration.

Nach einer Anordnung des Ministerrates ist nun der flächendeckende Bau neuer »Identifikationszentren« in ganz Sizilien zu erwarten. In Lagern wie dem von Lampedusa verbringen viele Migranten Wochen, bevor sie auf die als Auffang- wie auch Abschiebelager funktionierenden CPT, »Zentren des zeitweiligen Aufenthalts«, in Süditalien verteilt werden (Jungle World, 39/03).

In dieser Zeit sind sie einem Klima der Einschüchterung ausgesetzt. So werden Asylsuchende mit Mitarbeitern der Konsulate ihrer Herkunftsländer konfrontiert. Beweismittel, die das Anrecht auf Asyl bezeugen könnten, wie die Parteibücher der Oppositionspartei eines Landes, werden einbehalten. »Gefährliche politische Betätigung«, wie etwa die Teilnahme an einer Demonstration für die Rechte von Migranten, kann zu einer Sonderbehandlung durch die Polizei und zur konsekutiven Ablehnung des Asylgesuches führen. Zudem werden Asylgesuche nach dem neuen italienischen Asylgesetz zunehmend im Schnellverfahren durch dezentrale Prüfungskommissionen entschieden. Bei Ablehnung droht die Abschiebung mit polizeilicher Begleitung bis zur Grenze. Der größte Teil der abgelehnten Migranten findet sich letztendlich auf der Straße wieder und wird aufgefordert, innerhalb von fünf Tagen das Land zu verlassen. So stoßen sie im besten Fall zum Heer der migrantischen Arbeitskräfte oder suchen sich einen Weg in ein anderes Land der EU.

Bei diesem staatlich tolerierten Umgang mit illegalisierten Migranten stehen wirtschaftliche Kriterien im Vordergrund. Schließlich bedeutet die prekäre Beschäftigung illegalisierter Arbeitnehmer Druck auf den Arbeitsmarkt und begünstigt den Abbau der Rechte von Arbeitnehmern.

Umberto Bossi, der mit Vizepremier Gianfranco Fini das neue italienische Asylgesetz entworfen hat, bezeichnete jüngst Güterimport und Immigration als zwei Seiten der gleichen Medaille; für beide »Güter« bräuchte es Einfuhrquoten. Bossi zeigt, dass er den aktuellen Stand der Diskussion des europäischen Migrationsregimes begriffen hat.