Widerstand in jedem Land

Der Reader »Radikal global« versammelt schlaue Ansätze der aktuellen Globalisierungskritik. von wolf-dieter vogel

Wer versucht, eine Linie zu finden, verzweifelt. Das ist immer so, wenn es um die so genannte globalisierungskritische Bewegung geht, das war so auf dem Weltsozialforum (WSF) im brasilianischen Porto Alegre, in den Debatten um die Mobilisierung gegen die Welthandelskonferenz (WTO) im mexikanischen Cancún – und ist auch bei dem Versuch der Bundeskoordination Internationalismus (Buko), »Bausteine für eine internationalistische Linke« zu liefern, nicht anders. Der Kampf gegen die »kapitalistische Globalisierung« ist zum gemeinsamen Dach für jeden Ansatz geworden, sich gegen die herrschenden Verhältnisse zu organisieren. Dass Kapitalismus ohne »Globalisierung« nie denkbar war und der Begriff folglich für analytische Zwecke wenig taugt, nimmt einer richtigen Erkenntnis nichts weg: Jeder Euro, der auf deutschen Sozialämtern gestrichen wird, hat auch mit den kriegerischen Avancen europäischer Außenpolitiker zu tun, und die Forderungen bolivianischer Kokabauern gehen an US-Wirtschaftsexperten nicht spurlos vorbei.

Also beschäftigen sich die 30 Autoren und Autorinnen in dem von der Buko herausgegebenen Buch »radikal global« mit allem, was in verschiedenen linken Szenerien in Deutschland in den letzten Jahren eine Rolle gespielt hat: mit Toni Negris und Michael Hardts »Empire«, mit dem Kampf der Zapatisten im südmexikanischen Chiapas, mit der antirassistischen Kampagne »Kein Mensch ist illegal«, mit der Rolle von Nichtregierungsorganisationen (NGO) in den Krisengebieten der Welt, mit Geschlechterverhältnissen und Krieg, mit Antiamerikanismus und »linkem Bellizismus« und natürlich mit dem Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern.

So vielfältig wie die Themen sind auch die theoretischen Bezugspunkte, von denen aus die Autoren und Autorinnen schreiben. Ein feministisches Plädoyer für die »De- statt Rekonstruktion« von Identitäten steht einem Beitrag gegenüber, der im »Bezug auf die Dekonstruktion« eine Entradikalisierung und Verharmlosung der Frauenbewegung ausmacht. Und während Katja Diefenbach den Nutzen der »Empire«-Analyse verteidigt, zeigt Antira-Aktivist Martin Rapp Unverständnis darüber, dass die Thesen überhaupt Einzug in die linke Debatte gefunden haben. In der zur Multitude übergehenden antagonistischen Bewegung werde schließlich »Widerstand gegen die Gewaltmaschine obsolet«.

Eine wilde Mischung also. Das wiederum entspricht ganz dem Geschmack von Uli Brandt. Regelmäßig beschwört der Buko- und Attac-Mitarbeiter, was seiner Meinung nach die Stärke der globalisierungskritischen Bewegung ausmacht: die Vielfalt. Gemeinsam mit den Buko-Aktiven Markus Wissen und Friederike Habermann beschäftigt er sich mit dem »Gebrauchswert radikaler Kritik«, einer Kritik, »die sich im spannungsreichen Verhältnis zwischen Theorie und Praxis sowie zwischen unterschiedlichen emanzipatorischen Praxen beständig weiterentwickelt«. In den globalen sozialen Bewegungen gebe es, so schreiben die drei, »eine Vielzahl von Strategien und Handlungen, die sich allesamt notwendigerweise in Widersprüche und Dilemmata verheddern. Letztere können nicht aufgelöst werden, vielmehr geht es darum, bewusst und produktiv mit ihnen umzugehen.«

Das klingt gut, hält aber in der Realität keiner Prüfung stand. Einflussreiche NGO und regierungsnahe Organisationen wissen das WSF von Porto Alegre auf der realpolitischen Bühne in ihrem Interesse zu nutzen, ohne Rücksicht auf die beteiligten radikalen Bewegungen der Landbesetzer oder Indígenas zu nehmen. Auch bei der Mobilisierung gegen die WTO-Konferenz in Cancún setzten starke Organisationen ihre Interessen autoritär durch, und der Versuch, mit Widersprüchen »bewusst und produktiv« umzugehen, hat nicht nur in Deutschland noch immer treffsicher in der nächsten Spaltung geendet.

Zweifellos zählt die Buko, vor gut 25 Jahren unter dem Namen »Bundeskongress entwicklungspolitischer Gruppen« gegründet, zu den schlauesten deutschen Vereinigungen, die sich linker internationalistischer Politik verpflichtet haben. Und so war sie fähig, in den neunziger Jahren umzudenken und nicht an den traditionellen Schemata der Trikont-Solidaritätsbewegungen festzuhalten. »Bisherige, allzu schlichte Feind- und Weltbilder landeten auf dem Misthaufen: die Aufteilung der Welt in ›gut‹ und ›böse‹, die kritiklose Solidarität mit nationalen Befreiungskämpfen, der weit verbreitete Antizionismus. Begriffe wurden geprüft, verworfen oder geschärft«, resümiert Michael Hahn diese Entwicklung.

Folgerichtig reflektiert »radikal global« eine Debatte, die sich von den kruden Peinlichkeiten des bipolaren antiimperialistischen Weltbildes vergangener Zeiten verabschiedet hat. Man lehnt eine Kritik an US-imperialistischer Politik ab, die Sachlichkeit durch antiamerikanische, nationalistische Ressentiments ersetzt. Zwar dienen die »Antideutschen« gleich mehreren Autoren und Autorinnen als Anlass für aufgeregte kleine Tiraden, doch real wurden einige Positionen aufgegriffen, die einst von diesem Teil der Linken erst thematisiert wurden. Das hindert Josef Hierlmeier nicht daran, aufgeregt über »linke Bellizisten«, sprich »antideutsche Zivilisationsbringer« zu schimpfen, die angeblich »seit Jahr und Tag glauben«, eine »andere Welt herbeibomben zu können«. Dem tatsächlichen Problem, dass zahlreiche irakische Oppositionsgruppen und nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung einer US-Invasion viel affirmativer gegenüberstanden als die Internationale der Friedensfreunde, stellt sich der Buko-Aktivist nicht.

Doch Hierlmeier bleibt eher die Ausnahme. Die beiden Artikel, die sich beispielsweise mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt beschäftigen, sind sehr viel ausgefeilter. Sowohl Jörg Späters »Kein Frieden um Israel« als auch Hanno Loewys »Solidarität: Mit wem? – Rückkehr: Wohin« sind von einer Haltung geprägt, die sich in eindeutige Distanz zum palästinensischen Widerstand stellt, aber auch nicht versucht, das Vorgehen der israelischen Regierung zur ultima ratio zu verklären.

Doch mit solcher Ausgewogenheit, die im Israeli nicht nur den Täter und im Palästinenser nicht nur das Opfer sieht, dürften die deutschen Internationalisten innerhalb der weltweiten Bewegung so gut wie alleine dastehen. Dass jeder Linke »selbstverständlich das Existenzrecht Israels und sein Recht auf Selbstverteidigung anzuerkennen« habe, wie Hierlmeier lapidar anmerkt, mag diesseits der deutschen Grenze zumindest in ernst zu nehmenden Kreisen der Linken »selbstverständlich« sein. Schon in der italienischen oder spanischen Bewegung, spätestens aber in der lateinamerikanischen gilt jede Solidarität dem »kämpfenden palästinensischen Volk«. Allemal zeigt man Verständnis für Selbstmordattentäter, die sich in Tel Aviv oder Bagdad in die Luft sprengen. Dass, wie Theo Bruns erwähnt, die »Anfal-Operation« gegen irakische Kurden von 1988 nach vorliegenden Schätzungen weit mehr »Verschwundene« produziert hat als alle südamerikanischen Militärdiktaturen zusammen, wird im gemeinsamen Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegen den US-Imperialismus hingenommen. In einem Film, der während der Aktivitäten gegen den WTO-Gipfel auf dem Marktplatz von Cancún gezeigt wurde, bekam eine Szene besonderen Applaus: der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001. Auf Widerspruch wartete man vergeblich.

Radikal global? Wer auf eine »weltumspannende Bewegung« baut, »die in wechselseitigem Austausch an einer gemeinsamen Debatte um alternative Gesellschaftsentwürfe und Formen der Emanzipation arbeitet«, muss sich auch damit konfrontieren, dass das antiimperialistische Selbstverständnis der Bündnispartner in aller Welt Prämissen setzt, die mit in einer deutschen Diskussion erworbenen Selbstverständlichkeiten nicht zu vereinbaren sind. Hier gibt es ein Defizit, das in dem Buko-Buch nicht einmal erwähnt wird. In der internationalen globalisierungskritischen Bewegung eine Debatte über die Gefahren des antiimperialistischen Weltbildes in Gang zu setzen, dürfte nicht zu den leichtesten Übungen gehören. Will der Buko aber nicht hinter seinen Erkenntnisstand zurückfallen und dennoch »global radikal« agieren, führt daran kein Weg vorbei.

Buko (Hg.): Radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke. Assoziation A, Berlin 2003, 271 S., 16 Euro