Mummelgreis gesucht

Wer wird Bundespräsident? von regina stötzel und stefan wirner

Ein Star wird geboren, ein deutscher Superstar. Und zwar im Mai. Das Casting hat begonnen.

Alle Parteien tun so, als hätten sie bei der Wahl des Bundespräsidenten ein Wörtchen mitzureden, faktisch sind es aber nur die mit der Mehrheit in der Bundesversammlung. Gerne schlagen Politiker ihre unmittelbaren Konkurrenten im Kampf um wichtigere Ämter als Kandidaten vor, um sie aus dem Weg zu räumen, zumindest aus dem eigenen. Kommt einer tatsächlich in die engere Wahl, so darf er keinesfalls sagen, dass er total scharf ist auf das Amt, sonst hat er gleich verloren.

Der neue Bundespräsident muss das besitzen, was man gemeinhin eine »weiße Weste« nennt. Er sollte möglichst alt sein und auch so aussehen, damit man ihm die nötige Weisheit und Reife für das Amt auch zutraut. Vorzugsweise sollte der Kandidat einer deutschen Minderheit angehören, also eine Frau oder aus dem Osten sein, gern auch behindert. So jemand kann sogar die Stimmen der Gegenpartei gewinnen, solange es sich nicht um Wolfgang Schäuble handelt. Ausländer zu sein, geht aber nun mal gar nicht, und Homosexuelle sind nicht so gern gesehen. Schließlich muss sich eine Gattin künftig als First Lady der Republik einem guten Zwecke widmen.

Der Bundespräsident ist jemand, der, falls irgendwo auf der Welt ein Krieg ausbricht, sagt: »Niemand von uns hier in Deutschland hat diesen Krieg gewollt. Aber es liegt jetzt in unser aller gemeinsamen Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass dem deutschen Volk kein Schaden aus diesem Krieg erwächst.« Bombardiert Deutschland mit, so weist er darauf hin, dass man die Menschenrechte verteidigen müsse, und drückt seine Hoffnung aus, der Krieg könne auf diplomatischem Weg beendet werden. Wenn etwas anderes sehr Schlimmes passiert, muss er zum Ort der Katastrophe reisen und »im Namen unseres Volkes« sagen: »Wir müssen jetzt alle zusammenstehen. Ganz Deutschland ist getroffen. Deshalb ist jetzt die Anstrengung der ganzen Nation verlangt.«

Deutschland müsse mehr für die Familien tun, davon zeigt sich der Präsident allenthalben und zu jeder Zeit überzeugt. Jeglichen Sozialabbau begleitet er mit dem Hinweis, dass er sozial ausgewogen stattzufinden habe. Die Politiker ermahnt er, sich nicht in die Tarifverhandlungen einzumischen, von den Tarifparteien fordert er Zurückhaltung. Und die Unternehmer könnten doch wirklich auch den einen oder anderen Lehrling einstellen.

Er muss ganz furchtbar tolerant sein. Denn er ist Präsident aller Deutschen, egal welches Parteibuch sie haben. Und irgendwie ist er ja auch Präsident derer, die zwar selbst nie Bundespräsident werden dürfen, die man aber auch nicht loswerden kann. Also toleriert er auch Menschen anderer Nationalitäten und Religionen. Aber er verlangt von ihnen Anpassungsfähigkeit und Lust auf die neue Heimat. Vor allem Deutsch müssen sie lernen, damit wir uns richtig verstehen! Von den Neonazis in diesem Land wünscht er sich, dass sie die Ausländer nicht anzünden, wenn sie es dennoch tun, bestellt er eine Lichterkette.

Und wenn er alles genauso gemacht hat, wie man es von ihm erwartet, und überdies zur rechten Zeit betont, dass die Hauptstadt schließlich die Hauptstadt sei, wird er am Ende seiner Amtszeit gefragt, ob er nicht Ehrenbürger Berlins werden will. Dann gilt es für ihn ein weiteres Mal, demütig »ja« zu hauchen, anstatt zu verraten, wie scharf er darauf ist.