Saure Milch

Bilanzfälschungen bei Parmalat von martin schwarz

Von »Corporate America« hatte man ja nichts anderes erwartet. Als im Juni 2002 das Telekom-Unternehmen World Com einging, nachdem man herausgefunden hatte, dass die bilanzierten Gewinne um elf Milliarden US-Dollar aufgeblasen waren, zeigte man in Europa etwas spöttisch auf die amerikanischen Manager, die sich da heiße Ohren und ein paar Strafverfahren eingebrockt hatten. In Europa, so analysierten damals die Gurus der Wirtschaftsmagazine, könne eine solche Bilanzfälschung wohl nicht so lange unbemerkt bleiben.

Falsch analysiert. Nun steht der italienische Milch- und Joghurtkonzern Parmalat im Zentrum eines Skandals, der in seinen Dimensionen die Aufsehen erregenden US-Pleiten der letzten Jahre noch übertrifft: 13 Milliarden Euro oder 0,8 Prozent des italienischen Bruttoinlandsproduktes fehlen in den Kassen des Konzerns. Dabei verblüfft besonders, mit welchen primitiven Mitteln die Manager in den Bilanzen vorgegaukelt hatten, dass das Imperium von Calisto Tanzi mindestens ebenso gesund sei wie die frische Milch von Parmalat. Die Bescheinigung über ein Guthaben der Parmalat-Finanztochter Bonlat auf den Cayman-Inseln, einem Steuerparadies, wurde mithilfe eines Computers und eines handelsüblichen Scanners gefälscht. Keine komplizierte Transaktion also, um mal eben Liquidität nachzuweisen, wo leider keine ist.

Mit genauso simplen Methoden versuchten in den letzten Tagen vor dem Zusammenbruch des Konzerns die Manager rund um Tanzi, ihr Versagen vor der Justiz zu verstecken. Ein Mitarbeiter soll verräterische Dateien auf seinem PC nicht einfach gelöscht, sondern seinen Computer mit einem Hammer zertrümmert haben. Ähnliches kann sich der mittlerweile verhaftete Finanzchef von Parmalat, Fausto Tonna, übrigens auch mit Journalisten vorstellen. Ihnen wünschte er nach seinen Verhören durch die Staatsanwaltschaft von Parma einen »langsamen und schmerzhaften Tod«.

Dieser Wunsch wird aller Voraussicht nach nicht in Erfüllung gehen, doch die Lieferanten des italienischen Mammutkonzerns könnte das Schicksal des langsamen und schmerzhaften Todes sehr wohl ereilen. So steht der französische Milchhersteller GLP, der Parmalat zu seinen größten Kunden zählte, nun knapp vor dem Bankrott. Auch die Banken werden wohl ihre Kredite nur noch zu einem Bruchteil zurückbekommen, dafür aber möglicherweise öfter Besuch von den Behörden erhalten. So ermittelt die Staatsanwaltschaft von Parma gegen vier italienische Banken, die amerikanischen Kreditinstitute Bank of America und Citigroup sowie die Deutsche Bank.

Wirklich skandalös ist aber offensichtlich das Verhalten der teuren Wirtschaftsprüfer von Parmalat. Grant Thornton und Deloitte Touche Tohmatsu war – zu einem anderen Schluss kann man nicht kommen, ohne den beiden strafbares Verhalten vorzuwerfen – scheinbar jahrelang nicht aufgefallen, dass das, was in den Bilanzen stand, mit der Realität nur sehr wenig zu tun hatte. Vielleicht war es die Nähe zum Kunden, die dem einen oder anderen Finanzexperten Sehschwäche während der Buchprüfung bescherte. Und weil Parmalat nicht der erste derartige Skandal ist, fragt man sich, ob da der Teufel nicht vielleicht doch im System der privaten Aufsichtsorgane steckt. Vielleicht hätte ansonsten noch verhindert werden können, dass nun die Milch sauer wird.