Viel Nichts um Rauch

Die Kracheranschläge gegen EU-Institutionen werden in Italien und Europa benutzt, um die politische Agenda voranzubringen. von lucien maigret, brüssel

Es bombt sich leicht heutzutage. Der Sprengsatz, der der Assistentin des Europaparlamentariers Hans-Gert Poettering am 5. Januar in der Hand hochgegangen ist, könnte, so wie die Fotos vom Ort des Geschehens aussehen, von der Silvesternacht übrig geblieben sein. Die Frau blieb unverletzt, ebenso wie Kommissionspräsident Romano Prodi, dem zehn Tage vorher schon ebenso ein Ding in der Hand explodiert war.

Bei zwei Europaabgeordneten außer dem Konservativen Poettering gingen weitere als Buchsendung getarnte Paketbomben ein. Die Sendung an den englischen Labour-Mann Gary Titley sorgte für eine Rauchwolke in seinem Büro in Manchester, die an das Brüsseler Büro des spanischen Konservativen José Ignacio Salafranca wurde nach der Explosion bei Poettering vom Sicherheitsdienst aus dem Verkehr gezogen. Außerdem kamen die Päckchen aus Bologna noch bei Jean-Claude Trichet an, dem neuen Chef der europäischen Zentralbank in Frankfurt, sowie bei der EU-Polizeibehörde Europol und der EU-Strafverfolgungsbehörde Eurojust, die beide ihren Sitz in Den Haag haben. Sieben so genannte Bomben, aber keine Toten, keine Verletzten, Sachschaden.

Eine Woche nach den Verpuffungen im Gebäude des Europäischen Parlaments traf sich im Eurojust-Hauptquartier in Den Haag eine EU-Task-Force, die sich unter italienischer Führung nicht weniger vorgenommen hatte, als »im Kampf gegen diese neue terroristische Bedrohung schlagkräftig zu reagieren«. Weil aber auch die versammelten Abgesandten der EU-Polizeispitzen nicht genau wussten, wie sie auf die absurden Anschläge anders reagieren sollten als mit dem, was sie ohnehin schon die ganze Zeit machen, taten sie eben, was sie am besten können. Das Treffen sei, so wurde anschließend mitgeteilt, »eine gute Gelegenheit gewesen, um Informationen zwischen Strafverfolgungsbehörden und Polizeien auszutauschen«. Außerdem habe man noch »Informationen und Beweismaterial ausgetauscht«.

Interessanterweise nahmen an dem Treffen am vergangenen Mittwoch nicht nur Polizeibeamte aus Italien, Belgien, England, den Niederlanden und Deutschland teil, wohin die Päckchen geschickt worden waren. Hinzugezogen hatte man auch Kollegen aus Spanien und Griechenland, die als Spezialisten für die Bekämpfung von Anarchisten gelten.

Denn darauf, dass der Behauptung der Sprengstoffbastler, bei ihnen handle es sich um Anarchisten, unbedingt Glauben zu schenken sei, hatte man sich sofort festgelegt. Schließlich war ja alles authentisch. Die Abkürzung FAI im Bekennerbrief – so kürzt sich auch die Federazione Anarchica Italiana ab, die größte legale anarchistische Vereinigung des Landes –, vor allem jedoch der Absender in Bologna, also in der Stadt, die lange den Beinamen »die Rote« trug, bis vor ein paar Jahren auch hier die Rechte übernahm.

Bologna, wo sich in den siebziger und achtziger Jahren der schwarze Terror gegen Züge, Bahnhöfe und Unbeteiligte richtete. Bologna, wo vor nicht einmal zwei Jahren der Wirtschaftswissenschaftler Marco Biagi ermordet wurde, ein Berater des Arbeitsministers, der am Abbau sozialstaatlicher Errungeschaften mitgewirkt hatte, weswegen die Regierung damals schon das Phantom »neuer Roter Brigaden« an die Wand malte. Gleichzeitig sei der Mord aber auch »ein Kind des Gewerkschaftsprotests« und irgendwie auch eine Folge der Strafverfahren gegen seine Person, ließ Italiens Premier Silvio Berlusconi damals verlauten.

Das Bild von den »neuen Roten Brigaden« war denn doch zu schön, um jetzt schon wieder abgelegt zu werden. Umgehend warnte Berlusconis Innenminister Giuseppe Pisanu letzte Woche vor »möglichen Verbindungen zu den Roten Brigaden«. Den Beleg dafür sieht er darin, dass »die Anarchisten Strategien benutzen, die sowohl koordiniert als auch geplant sind«. Außerdem organisierten sie sich »international über informelle Verbindungen« und würden »zunehmend aufgrund abgesprochener Strategien aktiv, wobei sie Anleitungen benutzen, die nicht zuletzt wegen der Computer weit verbreitet sind«.

Damit war das Phantom an die Wand gemalt, das man brauchte, um den gesamten internationalen Polizeiapparat in Bewegung zu setzen. Europol und Eurojust waren ohnehin schon automatisch beteiligt, weil sie zu den Angriffszielen gehört hatten. Fehlte noch Interpol, die weltweite Polizeibehörde, die umgehend ihr über 181 Mitgliedsstaaten ausgedehntes verschlüsseltes Netzwerk I-24/7 zur Verfügung stellte, damit künftig auch Institutionen wie die EU oder das Rote Kreuz auf schnellstem Wege Informationen über weitere Anschläge austauschen können. So hätte, brüstete sich ein höherer Mitarbeiter von Interpol, der Sicherheitsdienst des EU-Parlaments über das Netz schnellstens Fotos oder Diagramme der Explosivpakete verbreiten können. Was dadurch gewonnen sein könnte, konnte er auch nicht sagen. Nur: »Wir bieten unsere Botendieste an, um diese Institutionen zu schützen.«

Bedroht waren diese Institutionen freilich nie. Europol, Eurojust und die Zentralbank in Frankfurt sind ohnehin so schwer bewacht, dass sie selbst mit einer richtigen Briefbombe wohl kaum zu erledigen wären. Die Abgeordneten des Brüsseler Parlaments, die Bombenpakete erhielten, sind einigermaßen prominent, politisch aber nicht wirklich bedeutungsvoll. Alle drei sind Außenpolitiker, führen also in der EU, wo die Außenpolitik nicht vom Parlament, sondern vom Ministerrat beschlossen wird, eine hauptsächlich mediale Existenz. Poettering ist Fraktionschef der Konservativen, gilt aber selbst Parteifreunden als Schwätzer, für den es schon fast ein Glücksfall ist, dass er sich nun zum Anschlagsopfer stilisieren kann.

Bleibt als einziges relevantes Anschlagsziel Romano Prodi, der voraussichtliche Gegenkandidat Berlusconis bei den Wahlen in zwei Jahren, der vielen Linken als zu bürgerlich und zu sehr den Institutionen verbunden gilt. Vor Prodis Haus war schon am 21. Dezember ein kleiner Sprengsatz explodiert, am 27. Dezember war er der Erste, der eines der Sprengstoffpakete öffnete. Prodi gab sich nach den Anschlägen freilich betont cool und meinte, man dürfe sich jetzt bloß nicht aufregen.

So nutzten allein die internationalisierten Polizeikräfte die Briefbomben, um sich wichtig zu machen und den Ernstfall zu proben. Bestimmt wird man auch ein paar Verdachtsmomente in das Schengener Informationssystem eingetragen haben. Vor allem aber war man damit beschäftigt, aller Welt zu verkünden, hier zeige es sich wieder einmal, wie wichtig es doch sei, die europäischen Überwachungsnetzwerke noch weiter auszubauen, Kontaktstellen, Datenbanken und Sondereinheiten einzurichten. Alles nichts Neues, das steht ohnehin auf dem Programm für die nächsten Jahre. Aber es kann natürlich nicht schaden, wenn das Programm etwas vorangebracht wird.

Mit Blick auf Italien hat Umberto Eco nach dem Mord an dem Ökonomen Biagi darauf hingewiesen, dass dieser in vielerlei Hinsicht dem herkömmlichen Muster von Anschlägen der extremen Linken widerspreche. Dieser Anschlag habe keinen destabilisierenden Charakter, sondern beschleunige im Gegenteil noch Prozesse, die ohnehin schon im Gang seien. So lächerlich die jüngsten Briefbomben sind, es lohnt sich, die Frage »cui bono?« auch hier zu stellen.