Bereichert euch!

Islamistischer Kapitalismus von jörn schulz

»Weder atheistischer Osten noch unterdrückender Westen«, lautet eine seiner ständig wiederholten Parolen, und noch in seinem Testament mahnte Ayatollah Khomeini 1989, er gebe seine Ratschläge »allen muslimischen Nationen ebenso wie den unterdrückten Völkern der Welt, ungeachtet ihrer Nationalität und ihres Glaubens«. Der Führungsanspruch der iranischen Islamisten wurde allerdings weder von den sunnitischen Glaubensbrüdern noch von den »unterdrückten Völkern« anerkannt, und selbst die schiitischen Islamisten im Irak bestehen auf ihrer Unabhängigkeit von Teheran.

Deshalb sind die Mullahs etwas bescheidener geworden. Doch noch immer behaupten sie, einen »dritten Weg« jenseits von Sozialismus und Kapitalismus zu gehen. Und sie erwarten, dass der Rest der Welt ihren Herrschaftsanspruch anerkennt. »Der Dialog, von dem ich spreche, wird zwischen Kulturen und Zivilisationen geführt, zwischen Gelehrten und weisen Männern«, erklärte Irans Präsident Mohammed Khatami am Mittwoch der vergangenen Woche. Und allzu kritisch soll der Meinungsaustausch nicht sein: »Die Voraussetzung für jede Art von Dialog ist gegenseitiger Respekt.« Unter diesem »Respekt« verstehen die iranischen Kleriker die Anerkennung des islamistischen Systems, das sich, da es ja auf einem vorgeblich göttlichen Auftrag beruht, keiner menschlichen Kritik stellen muss.

Im Gegensatz zum »Wettbewerb der Systeme« zwischen realsozialistischen und kapitalistischen Staaten geht es nicht um die Frage, welche politische und wirtschaftliche Ordnung besser ist. Es würde den islamistischen Propagandisten auch schwer fallen, Vorzüge ihres Systems herauszustellen, die Menschen ohne eine besondere Vorliebe für puritanischen Tugendterror überzeugen könnten. Die sozialpopulistische Rhetorik Khomeinis ist längst vergessen, schon Anfang der neunziger Jahre verkündete Jelal al-Din Farsi, einer der wichtigsten Ideologen des Regimes: »Die Parole ›Bereichert euch‹ wird vom Koran nicht verboten.«

Dagegen wird die Parole »Organisiert euch« nicht gerne gehört. Die Gründung von unabhängigen Gewerkschaften wird strikt unterbunden, Streiks sind verboten. Nach Angaben des Abgeordneten Mansur Suleimani wurden in der vergangenen Woche vier Menschen bei einem Polizeieinsatz gegen streikende Arbeiter einer Kupferfabrik im südostiranischen Khatunabad getötet. Der »dritte Weg« der Islamisten ist ein Kapitalismus ohne persönliche Freiheiten und soziale Rechte.

In ihrem Bestreben, einen solchen antiliberalen Kapitalismus salonfähig zu machen, stehen die Mullahs nicht allein. Andere »unabhängige« Entwicklungsmodelle sind weniger extremistisch, sollen aber ebenfalls durch ideologische Mobilmachung die Elendsverwaltung erleichtern und oppositionelle Forderungen als unpatriotisch oder blasphemisch disqualifizieren. Mit Indien, China und Russland hat der Iran nicht unbedeutende Staaten im Kampf für eine »multipolare Welt« auf seiner Seite, in der die kapitalistische Ausbeutung globalisiert ist, die Gewährung selbst elementarster demokratischer und sozialer Rechte aber den nationalen Oligarchien anheim gestellt bleibt.

Ob sich ein antiliberaler Kapitalismus, der immer wieder die durch seine eigene Dynamik hervorgebrachten Bedürfnisse und Forderungen unterdrücken muss, dauerhaft stabilisieren kann, ist noch unklar. Nach dem wind of change, der Demokratisierungswelle der neunziger Jahre, ist nun jedoch ein reaktionärer Gegenwind aufgekommen.