Elf Feinde sollt ihr sein

Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika will sich im April erneut wählen lassen und seine Macht ausbauen. Doch das Establishment wendet sich von ihm ab. von bernhard schmid, paris

Seltsame Allianzen kommen derzeit in der algerischen Politik zustande. Die Opposition, die normalerweise den starken Einfluss der Armee im politischen Geschehen kritisiert, appelliert derzeit an eben diese Armee, sie solle faire Wahlen gewährleisten.

Voraussichtlich Mitte April wird der nächste algerische Präsident gewählt, und der Amtsinhaber, Abdelaziz Bouteflika, bewirbt sich um seine Wiederwahl. Er hat in der Vergangenheit mehrfach seinen Wunsch nach einer Änderung der Verfassung anklingen lassen, die dem Präsidenten eine größere Machtfülle verleihen soll.

Doch Mitte Januar meldete sich die algerische Armee zu Wort. Der Chef des Generalstabs, Mohamed Lamari, übte in Interviews mit der ägyptischen Zeitung Al Ahram und der algerischen Tageszeitung Le Matin kaum verhüllte Kritik am derzeitigen Präsidenten: »Jeder Persönlichkeit, die mit den Vollmachten des Staatspräsidenten ausgestattet ist und die republikanische Ordnung antasten, den politischen Pluralismus in Frage stellen, eine für seine Person maßgeschneiderte Änderung der Verfassung versuchen will, wird die Armee im Weg stehen.« Denn in Teilen der das Land beherrschenden Oligarchie, zu der neben den oberen Rängen der Militärs auch ein Teil der ehemaligen staatssozialistischen Nomenklatura aus der Zeit des Einparteienstaates (1962 bis 1988) sowie eine Bourgeoisie mit mafiosen Zügen gehören, stößt Bouteflika auf Misstrauen.

General Lamari erklärte weiter: »Die Armee hat keinen Kandidaten«, sie akzeptiere jeden aus dem unverfälschten Wählerwillen hervorgehenden Präsidenten. »Wir würden sogar einen Abdallah Djaballah akzeptieren«, fügte er mit Blick auf den Präsidentschaftskandidaten der islamistischen Partei Islah (Reform) hinzu.

Um den Staatschef hingegen schart sich vor allem jener Flügel der Bourgeoisie und der Oberklassen, der aus dem rücksichtslosen Ausverkauf der vormals unter einer staatssozialistischen Entwicklungsdiktatur aufgebauten Nationalökonomie Gewinn bezieht. Dieser Gewinn stammt vor allem aus Lizenzen zum Import westlicher Waren, die in Algerien begehrter sind als die Produkte der Staatsindustrie.

Hingegen setzt eine andere Fraktion innerhalb der oligarchischen Führungsschichten auf ein protektionistisches Programm. Damit sollen etwa die Interessen jener gewahrt werden, die in die heimische Produktion investiert haben. So hat Algerien seit zwei bis drei Jahren ein aus den staatlichen Öleinnahmen finanziertes Bauprogramm aufgelegt, doch für die nationale Baustoffindustrie brachte das Jahr 2003 Verluste; alle Aufträge gingen an Importfirmen. Der algerische Unternehmerverband unterstützt deswegen die Kritik an Bouteflikas rabiatem wirtschaftlichen Öffnungsprogramm ebenso wie der Apparat des staatsnahen Gewerkschaftsverbandes UGTA.

Von diesen Kreisen, ebenso wie von einem Teil der Staatsbürokratie, wird deswegen der aussichtsreichste Gegenkandidat unterstützt: Ali Benflis, der Generalsekretär der früheren Einheitspartei Front de Libération Nationale (FLN, Nationale Befreiungsfront), die seit den Parlamentswahlen vom Mai 2002 wieder die stärkste Partei ist.

Die Konkurrenz zwischen den beiden FLN-Politikern Bouteflika und Benflis, hinter denen zwei unterschiedliche Flügel der Oligarchie stehen, hat die Partei gespalten. In diesem Konflikt geht es nicht um fundamentale Alternativen, wohl aber um unterschiedliche wirtschaftliche Strategien.

Der Bouteflika nahe stehende »Wiederaufbauflügel« des FLN unter Außenminister Abdelaziz Belkhadem hielt am Donnerstag der vergangenen Woche einen eigenen Kongress in Algier ab. Dabei herrschte wegen manipulierter Delegiertenwahlen jedoch ein derartiges Chaos in den eigenen Reihen, dass kein starkes Signal von der Versammlung ausging, die erstmals offiziell zur Wiederwahl Bouteflikas aufrief.

Der größere Teil der Partei hält jedoch zu Ali Benflis. Anfang Januar, nach der Versetzung einiger missliebiger Juristen, untersagten dem Präsidenten willfährige Gerichte seinem Herausforderer Benflis die Benutzung des Parteinamens FLN. Darauf hat sich eine heterogene Front der Unterstützer Benflis’ zusammengefunden, die sich als Opfer der »dikatorischen Ambitionen Bouteflikas« verstehen. Elf Vertreter unterschiedlicher politischer Kräfte schlossen sich zu einer »Front gegen Wahlbetrug« zusammen.

Als gemeinsamer Hauptgegner gilt den »Elf« die Administration von Premierminister Ahmed Ouyahia, die verdächtigt wird, die Wahlen zugunsten Bouteflikas fälschen zu wollen. Um diesen Verdacht zu entkräften, hat Ouyahia die Auflösung der so genannten Sonderbüros bekannt gegeben, in denen die Angehörigen von Armee und Polizei sowie ihre Familien unter Aufsicht von Offizieren, aber außerhalb der Kontrolle von Wahlbeobachtern abstimmten. Dort geht es immerhin um eine Million Stimmen. Als 1999 die Wahlen zunächst in den Sonderbüros anliefen und die Wahlbeobachter dort ausgeschlossen wurden, zogen sich alle Kandidaten mit Ausnahme des späteren Wahlsiegers Bouteflika zurück. Auch die Armee wünscht keine Wiederholung dieses Szenarios, wie General Lamari in seinem Al Ahram-Interview betonte.

Die »Elf« haben zwar den gleichen Gegner, es handelt sich jedoch nicht um ein Bündnis zur Unterstützung Benflis’. Der heterogenen Gruppe gehört der General a.D. Rashid Benyellès an, der als laizistisch orientiert gilt und dem realsozialistischen Flügel des Staatsestablishments nahe steht, aber auch der frühere langjährige FLN-Minister Ahmed Taleb Ibrahimi, der in den siebziger und achtziger Jahren jenen Flügel der Staatspartei vertrat, der den Islamismus als Gegengewicht zum marxistischen Einfluss tatkräftig förderte. 1999 rief die verbotene, radikale Islamistenpartei FIS (Islamische Rettungsfront) zur Wahl Ibrahimis auf. Es gilt als wahrscheinlich, dass er auch in diesem Jahr einer der aussichtsreicheren Kandidaten mit islamistischen Ideen wäre, sollte er zur Präsidentschaftswahl antreten. 1999 meldete er eine eigene Partei an, doch sie wurde von den Behörden nie zugelassen.

Nicht in die »Gruppe der Elf« eingereiht hat sich der zweite profilierte Kandidat des islamistischen Spektrums, der Prediger Abdallah Djaballah von der legalen Bewegung Islah. Ihm werden jedoch kaum Siegeschancen zugetraut, da er sich mit seinem Diskurs über die »notwendige Moralisierung der Gesellschaft« hauptsächlich an die gesellschaftlichen Eliten wendet. Deswegen dürfte er der Armee auch als ungefährlich gelten.

Generalstabschef Lamaris Bemerkung, die »Neutralität der Armee« bedeute nicht ihre »Passivität«, ist vermutlich ein sanfter Hinweis darauf, dass die Armee dem islamistischen Reformeifer Grenzen setzen würde. Den Generälen geht es vor allem um den Erhalt ihrer eigenen Macht. Beobachter gehen mittlerweile davon aus, dass die Armeeführung, sollte sie sich noch mit Bouteflika einigen können, allenfalls dessen Erfolg in einem zweiten Wahlgang anstrebe, auf keinen Fall aber seine triumphale Wiederwahl bereits im ersten Durchgang, da sie befürchtet, dass er sich ihrer Kontrolle sonst noch weiter entzieht.