Esoterik und viel Druck

Florian Gerster musste wegen nicht öffentlich ausgeschriebener Beraterverträge zurücktreten. Die neue Ausrichtung der Bundesagentur für Arbeit steht dagegen nicht in der Kritik. von stefan wirner

Stehen Sie auf neuro-linguistic programming (NLP)? Dann sind Sie bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg genau richtig. Coaching, Profiling und Assessment heißen die neuen Schlüsselwörter der Agentur. Sie hören sich zwar an wie Begriffe aus der New-Age-Psychologie, stehen aber für Trainingsmaßnahmen und Seminare, in die immer mehr Erwerbslose gezwungen werden, angeblich um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Im Zentrum der Bemühungen steht der Erwerbslose. Von ihm wird ein Profil erstellt, er soll in sich gehen, über sich nachdenken, sich verändern, um »fit« zu werden für den Arbeitsmarkt. Das bestätigt die 34jährige Heike S. aus Berlin, die an einer Maßnahme für Akademiker teilnahm. »Du sollst immer den Fehler bei dir selbst suchen«, beschreibt sie das Vorgehen des Seminarleiters, der offenbar eine psychologische Ausbildung hatte.

Zu den Seminaren wird man gedrängt. »Sie müssen nicht«, habe der Anbieter der Maßnahme zu Heike S. gesagt, »aber Ihr Vermittler wird nicht erfreut sein, wenn Sie ablehnen.« Also habe sie eingewilligt, rund die Hälfte der Teilnehmer ihres Kurses sei nicht freiwillig hingegangen. Aus eigenem Wunsch kamen nur die über 50jährigen.

»Dann versuchen sie, einem klarzumachen, dass man in Berlin keinen Job findet und dass man besser in ein anderes Bundesland umziehen soll. Den Akademikern wird eingebleut, dass sie nur noch Stellen ›unter ihrem Niveau‹ erwarten können.« Hinzu kämen Persönlichkeitsprüfungen, die an Tests in Frauenzeitschriften erinnerten. »Halten Sie sich für aufgeschlossen? Kontaktfreudig? Unterhaltsam?« lauteten die Fragen.

Der 37jährige Jochen N. nahm an der Trainingsmaßnahme eines Berliner Fortbildungsinstitutes teil. Der Titel des Kurses lautete: »Mentale Power«. Solche Institute schießen wie Pilze aus dem Boden und arbeiten gut mit der Bundesagentur zusammen. »Ein Sachbearbeiter hat alleine 20 Leute in denselben Kurs geschickt«, erzählt Jochen N. »Niemand war freiwillig hier, keiner hatte Bock.« Aber er war auch erschreckt darüber, wie sehr die Teilnehmer die Ideologie vom Standort verinnerlicht hatten. »Die dachten wirklich: Wenn es Deutschland besser geht, geht es mir besser.« Die Inhalte der »mentalen Power« waren: NLP, Selbstsuggestion, das Lernen des Umgangs mit Zeit und Geld.

Der 35jährige gelernte Bauingenieur Markus M. aus Dresden hingegen fand den Kurs für Bewerbungscoaching, an dem er zwangsweise teilnahm, einfach nur »lächerlich«. Es sei um Selbstfindung und Motivationstraining gegangen, doch die Ratschläge hätten vor »Plattheiten« gestrotzt. »Dann fragen die Seminarleiter: Wo sind Sie? Wo wollen Sie eigentlich hin? Mit dem Quatsch wollen sie einen irritieren und in die Enge treiben.« In einem Einzelgespräch sei er darauf hingewiesen worden: »Sie blicken mir ja nicht in die Augen!« Manchmal sei er sehr direkt, ja hart angegangen worden. Dann wieder bekomme man kleine Streicheleinheiten. Einmal habe der Seminarleiter gemeint: »Glücklicherweise sind Sie ja alle Hochschulabsolventen. In anderen Kursen stinkt es richtig nach Alkohol.«

Über das Problem, dass man sich so sehr verändern kann, wie man will, es aber trotzdem nicht genügend Arbeitsplätze gibt, wird nicht gesprochen. Doch die Sinnlosigkeit des Unterfangens ist auch den Anbietern der Kurse bekannt. Der Seminarleiter in Dresden habe vorsorglich darauf hingewiesen, dass der Kurs seine Wirkung erst später entfalte. »Diejenigen, die freiwillig hier waren, waren enttäuscht. Die haben wirklich gedacht, sie bekämen anschließend einen Job«, erzählt Markus M.

»Ob eine Maßnahme sinnvoll ist oder nicht, darüber entscheidet die Agentur vor Ort«, erklärt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. »Man kann sich trefflich streiten über die Inhalte. Vor allem im Bereich der Akademiker haben wir Probleme. Die suchen gerne die Öffentlichkeit«, räumt er ein. »So hatten wir den Fall eines Mathematikprofessors, der sich öffentlich beschwerte, dass er eine Matheaufgabe lösen musste. Statt dass er sich freute, beweisen zu können, welch ein Ass er in Mathematik ist. Wir wollen doch dem Einzelnen helfen.« Vor allem Langzeitarbeitslosen will die Bundesagentur beibringen, wie man sich im Schweiße seines Angesichts um einen Arbeitsplatz bemüht. Bei offiziell 4 316 500 Arbeitslosen und 257 900 freien Stellen im Dezember vorigen Jahres.

»Seit einem Jahr hat sich der Druck auf die Erwerbslosen verschärft«, sagt Harald Rein vom Runden Tisch der Erwerbslosen. »Für viele Millionen Euro wurden von der Bundesagentur Firmen engagiert, die zum Teil schon an der Hartz-Kommission beteiligt waren und die dann diese Instrumente entwickelten, mit denen wir uns jetzt rumquälen müssen.« Tatsächlich saß der Berater Roland Berger, der von der Bundesagentur für seine Arbeit 9,8 Millionen Euro erhielt, auch in der Rürup-Kommission und war in der Hartz-Kommission vertreten.

»Die Disziplinierungsmaßnahmen wurden verschärft, um Arbeitslose aus der Statistik zu drücken«, sagt Rein. Im Monatsbericht der Bundesagentur für Dezember 2003 liest sich das so: Ausschlaggebend für den »saisonbereinigten« Rückgang der Arbeitslosenzahlen »war die Politik des ›Förderns und Forderns‹, die seit dem Frühjahr intensiviert worden ist.«

In den Genuss dieser Politik kam auch der 44jährige Norbert K. aus Bayern. Er wurde bei einem Vorstellungsgespräch in einem Unternehmen gefragt: »Können Sie sich die Arbeit vorstellen?« Da der Job nicht seiner Ausbildung entsprach, sagt er: »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.« Eine Woche später wurde er auf dem Arbeitsamt zu dem Vorgang befragt und musste eine schriftliche Erklärung abgeben. Anschließend beantragte er seinen Urlaub, der auch genehmigt wurde. Nach zwei Wochen wurde überraschend eine dreimonatgige Sperre gegen ihn verhängt. Mit der Begründung, er habe die Arbeit abgelehnt. »Erst ließen sie mich in den Urlaub fahren, dann schickten sie mir die Sperre hinterher«, sagt Norbert K. »Die ließen mich in die Falle laufen.«

Er nahm sich einen Anwalt, der argumentierte, dass sein Mandat wahrheitsgemäß auf die Fragen geantwortet habe. Schließlich musste Norbert K. nachweisen, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Stelle anzutreten. Dies gelang ihm, und die Sperre wurde aufgehoben. »Aber es zog sich über zwei Monate hin, in denen ich kein Geld hatte. Ich hätte auf das Sozialamt gehen können. Dann aber hätten sie das Geld von meiner Mutter geholt. Und das wollte ich nicht.«

Norbert K. will sich in Zukunft vorsichtiger verhalten. »Die stellen Fangfragen. Du musst zu allem Ja und Amen sagen. Grundsätzlich.« Mit der Agentur verkehrt er nur noch schriftlich, nicht mehr telefonisch, und wenn er zu einem Termin muss, dann geht er nicht mehr alleine hin.

Selbst viele Verfechter der Wachstumsideologie geben längst zu, dass die Arbeitslosenrate nicht sinken wird, auch nicht bei einem stärkeren Wirtschaftswachstum. Der Arbeitsmarktexperte Laurence Johnson von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wies vorige Woche darauf hin, dass trotz des starken Wirtschaftswachstums in den USA dort nach wie vor ein Mangel an Arbeitsplätzen herrsche. Jobless growth heißt das Stichwort: Wachstum bei einem gleichzeitigem Verlust von Arbeitsplätzen.

Also verschönert man einfach die Statistik durch mehr Druck auf die Erwerbslosen und sinnlose Beschäftigungsmaßnahmen. Und diese sind manchmal nicht mehr von Esoterik-Workshops zu unterscheiden. Maria R. aus Berlin erzählt von einem Bewerbungstraining, in dem die Seminarleiterin Tipps gab, wie man »weiße Magie« einsetzen könne, »um einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen«. Wenn es nicht klappt, versuchen wir es mit Voodoo. Hauptsache Beschäftigung.