Schöne Orte

Berlins Innensenator Ehrhardt Körting weist neue Problemkieze aus. Wir nicht. Hier sind fünf urbane Refugien, die den Winter erträglich machen

Himmlische Ruhe

An schönen Orten mangelt es in Berlin nicht: Kneipen, Betten und Parks finden sich überall. Meine schönsten Orte aber sind der Kindergarten der evangelischen Ölberg-Gemeinde im Süden von Kreuzberg 36 und das Finanzamt Neukölln-Nord. Denn sie sind die Stein bzw. Beton gewordenen Ausdrücke von Leben und Tod.

Gäbe es einen Gott, so verbrächte er seine Tage lächelnd zwischen all den spielenden, lärmenden, schmatzenden und glücklichen Kitakindern in der Lausitzer Straße. Vielleicht machte er sich sogar ein bisschen nützlich und hängte drinnen eine Schaukel auf oder draußen ein Vogelhäuschen.

Abends aber führe er mit dem Bus in die Sonnenallee, um Kraft zu sammeln für den nächsten Tag. Zu diesem Zweck suchte er sich das Finanzamtsgebäude aus, weil es nirgendwo in Berlin, vermutlich sogar in der ganzen Welt, ruhiger ist. Vor geraumer Zeit muss dort eine dieser Bomben, die alles Leben vernichten und den Rest intakt lassen, eingeschlagen haben.

Vielleicht aber täusche ich mich und in einem oder mehreren der Zimmer sitzen fleißige, nur eben sehr stille Menschen und arbeiten gerade an irgendwelchen Steuerunterlagen. Womöglich an meinen. Das ändert nichts an der Schönheit dieses Ortes, noch an meiner Neigung zu ihm. Nur möchte ich diesen Text lieber unter einem Pseudonym schreiben. Man weiß ja nie, wozu Menschen fähig sind, die nicht geliebt werden wollen.

marek szepan

Wo es nach Kamel riecht

Ein Kamel, oder besser gesagt, ein Trampeltier an einem öden Wintertag zu betrachten, entspannt, inspiriert und wärmt das Herz. An diesem Ort gibt es gleich drei davon. In den stoischen Gesichtern mit den leicht spöttischen Zügen um die Mäuler sieht man keine Spur der kalten Jahreszeit. Ob die Pelze dichter sind als im Sommer, vermag der Laie nicht zu beurteilen. Immer knabbern die enorm großen Tiere gelassen an irgendetwas herum, sie bewegen sich wie in Zeitlupe, trotten hin und her, schubbern ihre schmalen Hinterteile an Zäunen, die die Bäumchen dahinter schützen sollen. Man fragt sich, wie das so läuft in der Dreierkombination, kann sich aber nicht vorstellen, dass eines von ihnen je den Huf gegen ein anderes erheben könnte.

Der Ort, wo man die wundervollen Tiere beiläufig oder ausgiebig, in jedem Falle aber wohlfeil betrachten kann, befindet sich zwischen dem Hardenbergplatz und dem Tiergarten, zwischen Bahngleisen und dem Zoo-Gelände, zwischen Hektik und Beschaulichkeit, zwischen McDonald’s und dem Schleusenkrug. Dort kann man einen langen Spaziergang starten oder schnell in der U-Bahn verschwinden. Es ist ein für sich genommen unscheinbarer Weg für Fußgänger und Radfahrerinnen. Aber es riecht dezent und angenehm nach Kamel.

regina stötzel

Geht doch rüber!

Jeder Mensch sollte einmal am Tag oder in der Nacht zur Warschauer Brücke gehen. Um diesen Ort richtig auf sich wirken zu lassen, gilt es, eines zu beachten: nie nach Osten schauen. Auch wenn ein Sonnenaufgang die dort lauernde Tristesse zu verschönen versucht. Auf keinen Fall umdrehen. Den Blick immer nach Westen richten. Nur so entfalten sich Schönheit und Reiz. Das Besondere liegt in der Verknüpfung von moderner Stadtästhetik und Bahnromantik. Der altertümliche Ostbahnhof mit seinen Rundbögen, die unzähligen Gleise, die S-Bahnen, die Fern- und Regionalzüge lassen jedes Herz höher schlagen, sofern es nicht den Automobilen gehört.

Die Hochhäuser kommen am besten nach Sonnenuntergang zur Geltung, wenn in diversen Wohnungen elektrisches Licht brennt. Tagsüber kann man zu dem Schluss kommen, schönere Exemplare gesehen zu haben. Aber immerhin, es sind Hochhäuser. Da darf man in Berlin nicht wählerisch sein. Und dann ist da natürlich der alles überragende Funkturm am Alex. Über dessen faszinierende Wirkung muss man keine Worte mehr verlieren.

Manche Menschen mögen das unter dieser Brücke fehlende Wasser beklagen. Denen ist nur eines zu raten: Geht doch rüber! Zur Oberbaumbrücke.

uta zimmermann

Moon over Berlin

Wenn ich ein Außerirdischer wäre und Berlin besuchen wollte, würde ich auf der Wiese hinter dem Planetarium in Prenzlauer Berg landen. Denn das Planetarium ist eines der schönsten Gebäude, das die DDR in diesem Stadtteil hervorgebracht hat. Nicht nur, dass man sich darin äußerst trashige Sternenshows ansehen kann, nein, im Sommer sitzt es sich auch gut unter den Bäumen hinter der silbernen Kuppel, und wenn nicht gerade die Dumpfbacken mit ihren Kampfhunden auftauchen, ist die Atmosphäre ziemlich entspannt. Kinder jauchzen, Liebespaare knutschen, man setzt die Sonnenbrille auf, nimmt ein Buch zur Hand und hat zeitfrei. Im Winter kann man immerhin mit den Kindern auf dem kleinen Hügel Schlitten fahren.

Der schönste Brauch aber, den man je nach dem Stand der Sterne das ganze Jahr über pflegen kann, ist dieser: Wann immer ein kosmisches Spektakel angekündigt ist, sei es eine Mondfinsternis oder eine Annäherung des Mars an Mutter Erde, ziehen die Hobbyastronomen hinter dem Planetarium auf, installieren ihre Geräte und gestatten dem Laien per Teleskop einen Einblick in die Schönheit des Universums. Man bekommt die Krater auf unserem Trabanten, die Monde des Jupiters oder die Ringe des Saturn gezeigt und erlebt die wahre Harmonie des Seins. Wenn es so bleibt, dann sehen wir uns am 4. Mai, um 20.48 Uhr, bei der nächsten totalen Mondfinsternis.

paul urban

Trost bei allen Übeln

Zugegeben. Tot zu sein ist ein ganz und gar unaufregender Zustand, in dem nach aller Erfahrung nicht mehr allzu viel mit einem los ist. Es gibt allerdings auch nichts Entspannenderes als den Tod. » Der Tod bedeutet Ruhe von Arbeit und Elend.« (Cicero) Ist man tot, hat man den nicht zu unterschätzenden Vorteil, sich über bestimmte Dinge nicht mehr den Kopf zerbrechen zu müssen, und das ein oder andere Problem erledigt sich wie von selbst.

Solange man selbst jedoch noch nicht gestorben ist und zum Sterben keine rechte Lust hat, tröstet einen zumindest der Gedanke an den Tod, der einem ins Bewusstsein ruft, dass irgendwann einmal auch für einen selbst die Zeit kommt, in der endgültig Ruhe einkehrt.

Leidet man unter Depressionen, nervöser Unruhe und einer nicht abzuschaltenden Gehirntätigkeit, ist ein geruhsamer Spaziergang über den Schöneberger St. Matthäus-Kirchhof dem Suizid stets vorzuziehen. Die Gebrüder Grimm und Graf Stauffenberg sind hier begraben. Der Friedhof ist eine von einer Mauer umgebene und mit allerlei Kroppzeug und kahlen Bäumen bepflanzte Oase der Stille, in der man in dieser Jahreszeit auch von störendem Vogelgezwitscher gänzlich verschont bleibt.

Streunt man selbstvergessen zwischen den teils uralten Gräbern hin und her, ergreift das Gefühl einer milden Tristesse und gelassenen Traurigkeit von einem Besitz. Bisweilen lässt man sich auf einer der herumstehenden Holzbänke nieder, betrachtet trübselig den grauen, bewölkten Himmel, beobachtet das gemächlich an einem vorbeischleichende und lebensmüd dreinschauende Großmütterchen und schlägt das mitgebrachte Schopenhauer-Brevier auf: »Über die Übel des Lebens tröstet man sich mit dem Tode, und über den Tod mit den Übeln des Lebens.« Zum Trost sollte man hinterher also eine Berliner Eckkneipe aufsuchen.

thomas blum