Speedlernen

Neues Berliner Schulgesetz

Nicht für die Schule lernen wir, hieß es einst, sondern für das Leben. Der Spruch stand in die Torbögen der Schulen gemeißelt. Manchmal wurde ein Bogen stehen gelassen, als man in den siebziger Jahren die wilhelminischen Schulkasernen durch Gebäude im Stil Modernes Deutschland ersetzte. Meist zerschredderte man sie aber mit, denn die neue Parole war »Kultur für alle«. Und Kultur ist, wie Gerhard Schröder weiß, ein Ort, wo die Leute »gerne hingehen«.

Ich bin immer gern in die Schule gegangen. Dort war es besser als zu Hause. Also sprach ich mich – als Sechstklässler! – in der Klassensprecherversammlung für die Beibehaltung der bayerischen Samstagsschule aus. Ich wollte nämlich unter der Woche früher zum Fußball, und ein Familienwochenende im Monat war genug. Die Kollegstüfler gingen natürlich freitags aus und wollten samstags ausschlafen. Ich blieb standhaft auf verlorenem Posten. Die Samstagsschule verschwand, es muss um 1980 gewesen sein. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich richtig oder falsch gehandelt hatte, welcher Wert mehr galt, die eigene Überzeugung oder die Solidarität? Was waren überhaupt meine Werte?

Im neuen Berliner Schulgesetz lese ich: »Der Unterricht findet in der Regel an fünf Tagen in der Woche statt. Die Schulkonferenz kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder und im Einvernehmen mit der zuständigen Schulbehörde beschließen, den Unterricht ganz oder teilweise an sechs Tagen in der Woche einzuführen.«

Ja warum denn nicht? Warum nicht Abitur nach zwölf Jahren? Und in die Schule mit fünfeinhalb? Haben nicht alle großen Schriftsteller von Thomas Mann bis Jörg Fauser das deutsche Gymnasium abgrundtief gehasst? Früher rein, früher raus – für unsere zukünftigen Genies doch eine prima Sache. Was aber hat das mit Kultur, gar mit Bildung für alle zu tun? Mit roten Werten? Hätte ich jemals SPD oder PDS gewählt, würde ich mir jetzt wohl solche Fragen stellen.

So aber überlasse ich die Bewertung der Zukunft, also meinem Sohn. Er ist drei Jahre alt und in der Kita. Morgen ist Wochenende und die Kita zu. Wenn er erst in die Schule geht, bin ich ihn auch samstags los. Ist das gut oder schlecht? Was wäre das Beste für meinen Sohn? Solche altmodischen Fragen sollte ich mir wohl stellen. Wo aber Politik sich nur an den Bestellzetteln der Wirtschaft orientiert und das als Tatkraft und Reform verkauft, ist über kurz oder lang alles eins: die Werte, die Schule, das Lernen, das Leben.

ambros waibel