Zivil beim Feind

Ehemalige italienische Soldaten, die für das nationalsozialistische Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten, klagen in Berlin auf Entschädigung. von lars reissmann

Die Erfolgsaussichten der Klage sind nicht sonderlich gut. Denn wenn es um nationalsozialistische Verbrechen geht, »wird in Deutschland immer noch von Unrecht, nicht von Gesetzwidrigkeiten gesprochen«, konstatierte der Rechtanwalt Joachim Lau.

Vor dem Berliner Verwaltungsgericht wird am 19. Februar erstmals über eine Klage von italienischen Zwangsarbeitern verhandelt, die als Soldaten ab Herbst 1943 nach Deutschland deportiert wurden. Die Stiftung zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeit verweigert grundsätzlich die Zahlungen an so genannte italienische Militärinternierte.

Am 8. September 1943 verkündete die italienische Regierung unter General Badolgio den Waffenstillstand mit den Alliierten. Die deutschen Truppen hatten sich auf das Unternehmen »Achse« vorbereitet. Weite Teile Italiens wurden besetzt, die faschistische Republik von Salo wurde ausgerufen. Eine deutsche Sondereinheit befreite Benito Mussolini und setzte ihn als »Marionetten-Duce« ein.

Die italienischen Soldaten sollten gefangen genommen und nach Deutschland zur Zwangsarbeit deportiert werden. Bei Widerstand gegen die Verhaftung sollten alle beteiligten italienischen Offiziere erschossen werden. Auf der griechischen Insel Kephallonia wurden im September 1943 über 5 000 italienische Soldaten Opfer einer Mordaktion.

Alsbald wurden die Deportierten zu italienischen Militärinternierten erklärt. Ihr Status als Kriegsgefangene war nach der Genfer Konvention von 1929 nicht nur formal, sondern auch faktisch aufgehoben. Für sie gab es keine Betreuung durch das internationale Rote Kreuz, Verpflegung und Unterbringung waren erbärmlich.

Die einfachen italienischen Soldaten wurden sofort zur Zwangsarbeit vor allem in der deutschen Rüstungsindustrie herangezogen. Aber auch die Offiziere mussten ab Sommer 1944 Zwangsarbeit leisten, nachdem in einer Übereinkunft zwischen Hitler und Mussolini alle ehemaligen italienischen Soldaten in einen zivilen Status überführt worden waren. Als ehemalige »Waffenbrüder« wurden sie zudem als »Verräter« stigmatisiert und waren besonders schweren Drangsalierungen und Hass ausgesetzt.

Von den über 600 000 verschleppten italienischen Soldaten starben 50 000 in Folge KZ-ähnlicher Haft- und Arbeitsbedingungen in Nazi-Deutschland. Mitte 1944 litten, sogar nach Aussage der deutschen Führung, mindestens 30 Prozent von ihnen an Tuberkulose. Der Kontakt mit Munitionsstoffen führte zu tödlichen Vergiftungen. Etwa ein Drittel der Männer starb noch in den ersten Jahren nach dem Krieg.

Von den im Jahr 1999 vielleicht noch 120 000 Überlebenden stellten etwa 100 000 über die International Organisation of Migration (IOM) »einen Antrag auf Leistungen nach dem Stiftungsgesetz«. Dort blieben die Anträge aber erst einmal liegen. In den Leitlinien zum Stiftungsgesetz heißt es, »soweit die (…) Kriterien der Deportation und des Einsatzes zur Zwangsarbeit unter Haftbedingungen erfüllt sind, haben auch Kriegsgefangene, die zwangsweise in den Zivilstatus überführt worden sind, einen Anspruch«, auch wenn laut Gesetz »Kriegsgefangenschaft keine Leistungsberechtigung begründet«.

Doch da die finanzielle Ausstattung der Stiftung unzureichend ist, wollte die Bundesregierung hier offenbar nur zu gern eine halbe Milliarde Euro sparen und nicht zahlen. So beauftragte man zum Sommer 2001 den Völkerrechtler Christian Tomuschat, ein Gutachten zu erstellen. Darin heißt es, die Italiener seien zwar formal nicht als Kriegsgefangene behandelt worden, müssten aber heute als solche angesehen und deshalb nicht entschädigt werden.

Die perfide Argumentation stellt den Sachverhalt auf den Kopf. Sie zeugt von fehlendem Unrechtsbewusstsein und juristischer Schreibtischtäterschaft, obwohl man offiziell so gerne von »moralischer Verantwortung« spricht. »Der politische Wille, über die vereinbarten zehn Milliarden Mark hinaus keine Entschädigung zahlen zu wollen, soll mit scheinjuristischen Hilfsargumenten kaschiert werden«, kritisierte der Historiker Ulrich Herbert im Herbst 2001.

Ab November 2002 wurden zunächst 45 000 Ablehnungsbescheide verschickt, zehntausende folgten. Daraufhin reichten bis heute rund 4 200 ehemalige italienische Zwangsarbeiter Klagen gegen die Bundesrepublik und die Stiftung vor dem Berliner Verwaltungsgericht ein.

Der Anwalt der italienischen Kläger, Joachim Lau, hatte in der Sache bereits im Sommer 2001 Verfassungsbeschwerde gegen das Stiftungsgesetz eingelegt, über die bis heute nicht einmal der Vorprüfungsausschuss entschieden hat, wie übrigens auch im Fall des SS-Massakers im griechischen Distomo. Der Florentiner Rechtsanwalt vermutet, dass der Fall wohl erst auf unterster gerichtlicher Ebene vorgekocht werden soll.

Auch die sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen weit über die Hälfte die vernichtenden Haftbedingungen nicht überlebten, werden trotz geleisteter Zwangsarbeit von Zahlungen aus dem Fonds ausgeschlossen. Im Juni 2003 sprach das Berliner Oberverwaltungsgericht zwei ehemaligen Rotarmisten aus Armenien eine Entschädigung aus dem Fonds ab. Dabei erwähnte es noch nicht einmal, dass die beiden Zwangsarbeit leisten mussten. Stattdessen war verquast von »Respekt vor ihrem Schicksal« die Rede.

Von einer rechtlichen Verpflichtung gegenüber den NS-ZwangsarbeiterInnen spricht man in Deutschland nicht gern, wohl aber von der Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft. Dabei kann am Rechtsanspruch der NS-Opfer auf Entschädigung, unabhängig von der Existenz der Stiftung, gar kein Zweifel bestehen. Bei der Entschädigung nach dem Stiftungsgesetz handelt es sich nach Laus Auffassung im Prinzip zivilrechtlich um einen Verzichtsvertrag, da die NS-ZwangsarbeiterInnen auf weitere Leistungen verzichten, sobald sie danach bezahlt werden. Der Vertrag wurde sogar international ausgeschrieben.

Obwohl sich die meisten Militärinternierten unter schweren Bedingungen einer Kollaboration mit den Nazis und den Faschisten verweigerten, haben sie in den Augen vieler Italiener für den Feind gearbeitet. Bis heute haben sie keine Unterstützung aus dem Römischen Parlament, geschweige denn von der Regierung bekommen. Der Berliner Prozess ist für die italienischen Zwangsarbeiter vermutlich die letzte Chance, für das in Deutschland an ihnen verübte Verbrechen eine Anerkennung und eine bescheidene Entschädigung zu erhalten. Denn »jeden Tag sterben einige meiner Mandanten«, stellt Joachim Lau bitter fest.

Eine Solidaritätskundgebung für die Kläger findet am 19. Februar um 9 Uhr vor dem Verwaltungsgericht in der Kirchstraße 7 statt.