Emergency Boom

Den neun Krankenhäusern der Vivantes GmbH droht die Pleite. Ob Insolvenz oder nicht: Die Angestellten müssen mit finanziellen Einbußen rechnen. von lorenz matzat

Da ist alles so schön, da braucht man gar kein Valium mehr«, lautet das Urteil eines ehemaligen Beschäftigten der Berliner Krankenhausgesellschaft Vivantes. Allerdings meint er nicht die Arbeitsbedingungen, sondern deren Schilderung in der firmeneigenen Zeitung Viva. Man könnte meinen, die größte GmbH Deutschlands im Gesundheitsbereich sei ein einziges Erfolgskonzept.

Dabei hat das Konzept geradewegs in die Pleite geführt. Bis Ende Februar will der Berliner Senat einen Sanierungsplan von der Geschäftsführung der GmbH haben. Sie beendete das Jahr 2003 mit fast 30 Millionen Euro Schulden, mehr als doppelt so viel wie erwartet. Nun steht das Unternehmen mit seinen neun Krankenhäusern kurz vor der Insolvenz. Da es zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört, musste die Landesregierung eine Bürgschaft für weitere 13 Millionen Euro gewähren. Nur so ist Vivantes bis Mai zahlungsfähig.

»Alles Weitere«, heißt es aus dem Hause der Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), »wird von einem trag- und zukunftsfähigen Sanierungskonzept abhängen und davon, wie es der Geschäftsführung gelingt, die Beschäftigten auf den Sanierungsweg mitzunehmen und sie für Veränderungen zu motivieren.« Der Geschäftsführer der GmbH, Wolfgang Schneider, wird als SPD-Mitglied wenige Probleme haben, den Vorschlägen seines Parteigenossen, des Finanzsenators Thilo Sarrazin, zu folgen. Die Veränderung, die die Mitarbeiter motivieren soll, heißt Lohnverzicht. Kein Urlaubs- und kein Weihnachtsgeld mehr, dann könnten allein 34 Millionen Euro in diesem Jahr eingespart werden. Darüber hinaus sollen weitere 1 000 Stellen abgebaut werden, davon mindestens 150 Ärztestellen. Das passt zu den Vorstellungen der rot-roten Regierung, wie sie der miserablen Haushaltslage Herr werden will: Kürzungen, Streichungen und Verkauf von allem, was kurzfristig Geld bringt.

Der Fall Vivantes ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Versuche, die Schuldenbilanz aufzupolieren, danebengehen können. Mit der Umwandlung von ehemaligen städtischen Kliniken in neun Stadtbezirken in eine GmbH war das Land Berlin im Jahr 2001 auf einen Schlag 190 Millionen Euro Schulden los, inklusive fünf Millionen Euro Schuldendienst jährlich. Die GmbH sollte sich durch den Verkauf von nicht benötigten Grundstücken selbst sanieren und wurde nicht entschuldet. Die fallenden Grundstückspreise in Berlin ließen die Rechnung aber nicht aufgehen.

Die Angestellten machten die Pseudo-Privatisierung damals zähneknirschend mit. Ihre Vertreter handelten einen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis zum Jahr 2006 und die Beibehaltung der Tarife der öffentlichen Dienste aus. »Sozialverträglich« wurden seitdem 3 000 Ganz- und Halbtagsstellen abgebaut. Trotzdem machen die Personalkosten für immer noch 14 000 Stellen 565 Millionen Euro aus. Das sind zwei Drittel der Gesamtkosten des Unternehmens. Die Mehrheit des Gesamtbetriebsrats von Vivantes hat kürzlich beschlossen, die zuständige Gewerkschaft Verdi mit den Verhandlungen über einen Notlagentarifvertrag mit Vertretern des Kommunalen Arbeitgeberverbandes zu beauftragen.

Diese Entscheidung war umstritten und führte zum Rücktritt des Betriebsratsvorsitzenden Wolfgang Gernhardt. Er ist der Geschäftsführung als notorischer Kritiker der Zustände in den Krankenhäusern bekannt. Mehrmals wurde er wegen Rufschädigung und Verleumdung angezeigt, allerdings vergeblich. Seiner Meinung nach haben die Beschäftigten mit dem Stellenabbau genug erduldet, und ein Ausstieg aus dem Tarifvertrag ist nicht hinnehmbar. Die Hauptursache der Pleite sieht er darin, dass die Privatisierung der Kliniken nicht mit einer Entschuldung einherging.

Mit seiner Haltung stieß er Ende Januar auf einer Betriebsversammlung vor über 5 000 Kollegen auf große Sympathie. Doch die Protest- und Widerstandsbereitschaft ist gering. Denn die Angestellten von Vivantes sehen sich vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt. Weigern sie sich, Kürzungen ihrer Bezüge hinzunehmen, droht die Insolvenz.

Die Insolvenz finden vor allem die Oppositionsparteien CDU, FDP und Grüne attraktiv, aber auch einzelne Regierungsmitglieder sollen darüber laut nachgedacht haben. Zwar würde die Stadt in diesem Falle als alleiniger Anteilseigner auf den Schulden von mittlerweile 230 Millionen Euro sitzen bleiben. Aber langfristig gesehen, müsste man für keine neuen Schulden aufkommen. Und ein Insolvenzerfahren würde das Unternehmen attraktiver für private Käufer machen, weil so nach drei Monaten die Verträge aller Angestellten gekündigt werden könnten. Dann wäre der Weg frei für neue Verträge zu weit schlechteren Bedingungen. Große private Krankenhauskonzerne wie Helios oder Rhön haben schon ihr Interesse am Kauf aller oder einzelner Kliniken signalisiert. Die Alternative, die Vivantes-Kliniken wieder in städtische Betriebe umzuwandeln, scheint ausgeschlossen.

Bundesweit werden immer mehr kommunale Krankenhäuser privatisiert. Als Begründung muss die angebliche Kostenexplosion im Gesundheitswesen herhalten, von der die öffentlichen Kassen entlastet werden sollten. Tatsächlich sind die Ausgaben seit 1975 kaum gestiegen, nur nehmen die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kontinuierlich ab; die steigende Arbeitslosigkeit reduziert die Zahl der Beitragszahler. Dazu kommt, dass die Abrechnung von Leistungen mit den Krankenkassen derzeit auf Fallpauschalen umgestellt wird, auf so genannte Diagnostis Related Groups (DRG). Das Prinzip beruht auf der Akkordarbeit: möglichst viele Patienten in kurzer Zeit behandeln. Diese Art Wettbewerb wird für viele kleine Kliniken das Aus bedeuten. 15 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland werden in den nächsten Jahren schließen, prognostiziert die Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft.

In Berlin sind von über 110 Krankenhäusern vor zehn Jahren noch 70 übrig geblieben. Die neun Häuser der Vivantes GmbH stehen mit über 5 000 Betten und rund 180 000 behandelten Patienten jährlich für ein Drittel der stationären Gesundheitsversorgung. Die Situation in den Häusern ist geprägt von Personalmangel und der Mühe, mangels Material die medizinische Grundversorgung aufrechtzuerhalten. »Es ist kein schlechter Witz, dass ein völlig immobiler Patient seinen Stuhlgang im Bett auf dem Gang verrichten muss oder die sterbende Patientin kurzerhand ins Spritzenzimmer verfrachtet wird, weil ihr Zimmer für einen neuen Patienten benötigt wird«, heißt es im Bericht eines Angestellten im Internet.

Die Beschäftigten von Vivantes rechnen nun aus, wie viel Geld ihnen nach den Kürzungen der Bezüge, die mit oder ohne Insolvenz anstehen, noch bleibt. Sie haben Angst vor der Zukunft und befürchten, die eigene Entlassung zu beschleunigen, wenn sie Widerstand leisten. Trotzdem fangen einige Beschäftigte an, sich mit anderen Gruppen, die am Protest gegen die Kürzungen im sozialen Bereich beteiligt sind, zu organisieren. Das Motto lautet: unabhängig, nicht parteipolitisch und außergewerkschaftlich. Bei solch einem Treffen im Stadtteilladen Lunte in Neukölln bekräftigte eine Angestellte von Vivantes: »Ich bin nicht der Mensch, der sich nicht wehrt.«