Ende der Fahnenstange!

Das Zeigen der Israelfahne dient immer mehr der Identitätsbildung deutscher Splittergruppen. von jörg kronauer

Eins steht fest: Es geht ums Ganze. »Jeden Gedanken an Emanzipation«, da ist sich die Kölner Georg-Weerth-Gesellschaft sicher, wolle »aus der Welt schaffen«, wer nicht gemeinsam mit »antideutschen« Flaggenfans demonstrieren möge. »Auf jede Demonstration die blau-weiße Fahne mitzubringen«, das gilt offenbar als Voraussetzung, um der Barbarei Einhalt zu gebieten. Fahne oder nicht Fahne - keine Frage, sondern ein Bekenntnis.

Nichts Neues also in der deutschen Linken. Glaubensgrundsätze waren den revolutionären Dichtern und Denkern schon immer wichtig, Mao-Bibeln, Hauptwidersprüche und vermeintlich emanzipatorische Identitäten gehören seit Jahrzehnten zur Grundausstattung jedes radikalen Teutonen, der etwas auf sich hält. »Mit allen Mitteln die blau-weiße Fahne verteidigen«, lautet der jüngste Schlachtruf, über den sich eine Szenefraktion definiert; er provoziert inzwischen notwendige Kritik.

Rein antinationale Kritik an der Israelfahne greift dabei zu kurz. So notwendig der Kampf gegen den deutschen Nationalismus ist - solange die Welt sich nicht grundlegend ändert, sind manche Staaten ein Gewinn. Für Israel ergibt sich das schon aus der deutschen Geschichte, für andere Staaten aus der aktuellen Politik des deutschen Imperialismus. Etwa den polnischen oder den tschechischen Staat abzuschaffen, das käme dem Berliner Revanchismus gerade Recht; ihm gegenüber müssen die bestehenden Nationalstaaten verteidigt werden. Welch verheerende Folgen die Zerschlagung eines Staates durch imperialistische Gegner hat, das hat sich in den letzten Jahren in Jugoslawien gezeigt.

Durch fahnenschwenkende deutsche Linke wird sich die Berliner Regierung freilich kaum von ihren außenpolitischen Avancen abhalten lassen. Hilfreicher wären reale Bündnisse mit Organisationen aus Staaten, die von der deutschen Hegemonialpolitik bedroht sind. Ausländischen Organisationen das Tragen nationaler Symbole verbieten zu wollen, wäre allerdings absurd: Wer wollte schon einer israelischen Bürgerin die Israelfahne entreißen, während im Umfeld des Auswärtigen Amts ein Einsatz der Bundeswehr in ihrem Staat diskutiert wird. Im Gegenteil: Gemeinsames Vorgehen gegen die jüngste Nah- und Mittelostinitiative des deutschen Außenministers, die auch Israel betrifft, wäre wünschenswert.

Nur: Solche Bündnisse gibt es kaum. Die mangelhafte antihegemoniale Zusammenarbeit der deutschen Linken aber durch ein buntes Fahnenmeer ausgleichen zu wollen, ist lächerlich. In Deutschland, dessen zahlreiche »Nahostinitiativen« seit dem Projekt der Bagdad-Bahn von Kaiser Wilhelm II. zu so vielen Verheerungen geführt haben, hat die Opposition es noch nie geschafft, den Expansionsdrang ihrer Regierung zu stoppen. Antihegemonialpolitik als Fahne und Vorstellung - die Ersatzfixierung auf nationale Symbole möglicher Opferstaaten überdeckt das eklatante Fehlen wirklicher politischer Ansatzpunkte und ruft im Ausland eher Befremden hervor.

Dass deutsche Linke sich dabei ausgerechnet der israelischen Fahne bemächtigen, hat einen besonders faden Beigeschmack. Mag eine dem Anlass entsprechende Solidaritätsbekundung mit der Flagge diskutabel sein - die dauerhafte Okkupation der blau-weißen Fahne durch Deutsche für ihren politischen Alltagsgebrauch zerrt das Symbol des Staates Israel in eine Szeneschlammschlacht, die mit den Bürgerinnen und Bürgern Israels nichts mehr zu tun hat. Auch den notwendigen Kampf gegen Antisemitismus bringt die Instrumentalisierung der Fahne nicht voran. Zum Symbol bestimmter Szenepositionen missbraucht, dient sie inzwischen hauptsächlich der Identitätsbildung deutscher Splittergruppen.

Dabei ist der Gebrauch der Fahne sowieso häufig nur Pose, ergänzt lautstarkes Wortgetöse über die Solidarität mit Israel um eine symbolische Komponente. Im Land der NS-Täter wäre eine konkrete Analyse der deutschen Nahostpolitik hilfreicher als symbolische Radikalität. Wenig erfährt jedoch, wer bei der Flaggenfraktion nach Informationen über die Berliner Einflussarbeit in Israel sucht, nach Erkenntnissen über die Tätigkeit der parteinahen Stiftungen etwa oder der Sozialdemokratie.

Großer Gestus, kaum Konkretes: Die tönende Identifikation mit Israel ist mehr verlogener Habitus als reale Politik. Wirkliche Solidaritätsarbeit müsste anderes tun als Fahnen zu schwenken und blindlings eine rechte Regierung zu preisen. Auch dann gäbe es sicherlich noch genug Stoff für innerlinke Auseinandersetzungen über Israel. Sie bekämen allerdings politischen Charakter und verlören ihren Bekenntnisstatus.