Große Kunst, vorbildlicher Charakter

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In Düsseldorf hat man ein Herz für schräge Vögel. Jedenfalls wenn sie an der Kunstakademie lehren. So wie seinerzeit Joseph Beuys, über den man in der Landeshauptstadt nichts Schlechtes sagen darf. Schließlich firmiert dort jeder als »Beuys-Schüler«, der einmal eine seiner Vorlesungen besucht hat.

Ein ähnliches Heiligtum ist der Maler Jörg Immendorff, selbstverständlich auch ein Beuys-Schüler. Über ihn hält man in Düsseldorf die schützende Hand. Zum Beispiel der Rektor der Kunstakademie, Markus Lüpertz. Und zum Beispiel die christlich-konservative Rheinische Post.

Dass man Immendorff neulich mit neun Prostituierten und ein paar Häufchen Koks in einem Hotel erwischte, ist kein Grund für das rheinische Establishment, mit ihm zu brechen. Die Rheinische Post veröffentlichte jetzt im vollen Wortlaut eine Rede von Lüpertz, in der aus dem an einer unheilbaren Muskelkrankheit leidenden Immendorff ein wahrer Märtyrer wird.

Immendorff sei in eine hinterhältige »Falle« gelockt worden. »Die Großartigkeit, mit der er dieses Schicksal meistert, bestärkt mich nicht nur in meiner Liebe zu ihm, sondern nährt auch meine Gewissheit, wie große Kunst einen vorbildlichen Charakter festigt«, schwärmt der Rektor über seinen Kumpel. Immendorff sei ein »Kämpfer, der sich das Recht auf eine Auszeit nimmt, um in einem größeren Kampf, dem Kampf um sein Leben, sich zu stärken – und einmal zu vergessen.« Absolut vorbildlich sei, wie er »nicht in Jammern und Selbstaufgabe versinkt«, sondern – nein, nicht schnupft – sondern: »kämpft und beweist, dass eine Krankheit, und sei sie noch so schlimm, die Kunst nicht tötet, nicht töten kann.«

»Schülerinnen und Schüler eines solchen Mannes sind nur zu beglückwünschen, diese unverbrüchliche Treue der Kunst gegenüber so hautnah und authentisch zu erleben.« Authentisch kranke Junkies auf der Düsseldorfer Königsallee werden hingegen regelmäßig von Sicherheitsdiensten weggeprügelt. Denn sie lehren ja nicht an der Kunstakademie.

ivo bozic