»Total korrupt, det Schwein«

»McKinsey kommt«. Rolf Hochhuth und das Missverständnis vom »politischen« Theater. von andreas fanizadeh

»Immer mehr Menschen werden immer weniger gebraucht. Lohnlos in sinnentleerten Existenzen abgetaucht, verlieren sie ihre Identität;mit dem Markt- auch den Eigenwert: Leichter austauschbar als jedes Gerät– wie Kippen weggekehrt.«

Die Stadt Brandenburg ist sicher ein guter Hintergrund für ein Theaterstück über grassierende Arbeitslosigkeit und explodierende Managergehälter. In der ostdeutschen Provinzstadt mit ihren 75 000 EinwohnerInnen sind zwanzig Prozent der Erwerbsfähigen arbeitslos. Und vom Gehalt eines Josef Ackermann – über sechs Millionen Euro jährlich – können auch nach Tarif bezahlte Beschäftigte überall nur träumen.

Ackermann, Chef der Deutschen Bank, ist Lieblingsfeind in Rolf Hochhuths neuem Drama »McKinsey kommt«. Den Prolog am Premierenabend in Brandenburg bestreitet ein populär plaudernder Schauspieler, Ackermann parodierend, die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt. Der Manager startete kürzlich mit dieser aufreizenden Geste in seinen Düsseldorfer Prozess, was ihm weithin übel genommen wurde. In Düsseldorf geht es um die Prüfung der Millionen schweren Abfindungen, die bei der Übernahme von Vodafone an Mannesmann-Manager geflossen sind und deren Höhe außerhalb des Klubs der Betuchten niemand für selbstverständlich hält.

In diesen Zusammenhang hinein deponiert Hochhuth eine anklagende »Warnung« an Ackermann: »Für Josef Ackermann jährlich Euro 6,95 Millionen. Beirrt ihn, dass er 14,31 Prozent Deutsche Banker entlässt? Die Kosten dem Staat aufhalst, den die Wirtschaft erpresst? Burkhardt nennt Mord ›Hilfsmittel, da man Richter wird. Bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel‹ (…) ›Tritt‹ A. nur ›zurück‹ wie Gessler durch – Tell? Schleyer, Ponto, Herrhausen warnen.«

Die deutschen Spitzenmanager Hanns-Martin Schleyer, Jürgen Ponto und Alfred Herrhausen wurden allesamt durch Attentate der Roten Armee Fraktion (Raf) getötet. »Bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel«, soll dies nach Hochhuth nun bedeuten: bei Rationalisierung künftig Mord? Kein Wunder also, dass die vom dtv-Verlag vor Weihnachten ausgelieferte Buchfassung von »McKinsey kommt« eine hitzige Debatte nach sich zog. Der bedrängte Hochhuth berief sich in seinen Überlegungen zum Tyrannenmord auf die Freiheit der Kunst. Unbeirrbar legte er in Fernsehinterviews nach. Und die Deutsche Bank sah angeblich nur von einer Anzeige ab, da sie wegen des Düsseldorfer Prozesses keine weitere lästigen Diskussionen brauchen kann.

Wodka oder Kalaschnikow

Die Premiere auf der kleinen Brandenburger Provinzbühne mit nur sechs festen Ensemblemitgliedern stand am 13. Februar jedenfalls unter überregionaler Beobachtung. So einen Rummel hat das in Abwicklung begriffene Theater schon lange nicht mehr erlebt. Sämtliche Aufführungen sind bis Anfang April ausgebucht. Der Intendant, laut eigenen Angaben »ein alter Fahrensmann«, bedankte sich auf der Premierenfeier bei der Brandenburger Politik, die ihm half, »mutig zu bleiben«, um das Ganze »durchzustehen«.

Aber was galt es hier »durchzustehen«, ist Hochhuths jüngstes Werk die ganze Aufregung überhaupt wert? Wer sich für die künstlerische Seite des Theaterstücks interessiert, kann nur den Kopf schütteln. Der 73jährige Dramatiker reiht ohne erkennbare literarische Finesse Zeitungsschnipsel aneinander. Sprache und Charaktere sind eindimensional, ebenso der politische Gehalt: Die Gedanken in »McKinsey kommt« stammen aus der widerspruchsfreien Zone. Schwarz/Weiß. Oben, da sind bei Hochhuth die Bösen: zynische Täter, Manager, von Raffgier getrieben. Und unten, da sind die Guten: betrogene Opfer, ArbeiterInnen, die ohne Arbeit nichts sind, die im Angesicht von Frührente oder Umschulung statt zur Kalaschnikow zum Wodka greifen.

Bei der Brandenburger Uraufführung hat Hochhuth offensichtlich darüber gewacht, dass der Regisseur Oliver Munk nicht allzu sehr von der Vorlage abwich. Damit war die einzige Chance vertan, aus »McKinsey kommt« etwas zu machen. Wer diesen Hochhuth nicht gegen Hochhuth spielt, landet bei rechtem Antikapitalismus, großväterlichen Stammtischtiraden und ungewollt komischen Szenen. In holprig emphatischen Dialogen schwadroniert das Personal über Kapitalflucht und Steuertricks in Deutschland oder der Schweiz. Der Text ist für die sich noch ganz achtbar aus der Affäre ziehenden SchauspielerInnen eine Zumutung. Und die schöne Revolte findet bei Hochhuth am Ende im Gerichtssaal statt: Herausragende (klein)bürgerliche Individuen versuchen, das Recht auf Arbeit verfassungsmäßig durchzusetzen. Recht auf Arbeit? Oder sollte es da nicht vielmehr heißen, Zwang und Pflicht?

Die Sozialdemokratie in Deutschland krepiert gerade daran, dass sie Arbeit verspricht, wo es sie in der alten Form nicht mehr für alle gibt. Hochhuth scheint davon nichts mitzubekommen. Genauso wenig nimmt er zur Kenntnis, dass viele nach Möglichkeit nicht mehr in die Fabriken einfahren wollen, für deren Erhalt Hochhuth wacker kämpft. Arbeit! Arbeit!! Arbeit!!! Warum sind all die Ostdeutschen der strebsamen DDR davongelaufen? Und warum diskutieren heute autonome Jobber- und Arbeitsloseninitiativen über das »Recht auf Faulheit« oder nennen sich »Die glücklichen Arbeitslosen«? Wer möchte denn einfach die klassische Form der »Lohnarbeit« gutheißen und verteidigen, wo es um neue Formen von Arbeit und ein radikal neues System von Verteilung und Teilhabe ginge?

Widerstand mit Stauffenberg und Mollis

Das sind Fragen, mit denen sich auch die UnternehmensberaterInnen von McKinsey herumschlagen müssen, sonst werden sie abgehängt und nicht mehr gebucht. Nicht jedoch ein moralisierender Betroffenheitsdramatiker wie Hochhuth. Bei ihm verschwinden gesellschaftliche Veränderungen hinter reaktionärem Geschwätz. So ziehen zwei vor der Entlassung stehende Arbeiterinnen auf der Bühne in Brandenburg eine alberne Spindnummer ab. Sie wirken als die bloßen Objekte eines manisch autoritären Autors und geben Agitationsdeutsch von sich: »Betriebsrat (…) Total korrupt, det Schwein. Dem jeht einer ab, wenn er mit den Bossen bei Betriebsversammlungen in der ersten Reihe sitzen darf. Jenosse der Bosse, wie sein Kanzler!« Das zielt offensichtlich auf den Schulterschluss mit einem Publikum, das zumindest bei der Premiere nicht in der Mehrheit war. Der Applaus war verhalten. Glaubt da ein Elitist tatsächlich, sich so billig Volkes Zustimmung zu erkaufen?

Nebenbei streut Hochhuth mit »McKinsey kommt« kleine Huldigungen ans nationalkonservativ-aristokratische Milieu des Dritten Reichs über die Brandenburger Bühne. Da ist sie wieder, die alte Verehrung für den Generalfeldmarschall Erwin Rommel und den Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Er versteigt sich zu der abenteuerlichen Behauptung, die Entlassenen von heute und die Wehrmachtssoldaten von Rommels Afrikakorps gehörten zu ein und derselben Opferbewegung: »Ja, Diktator – wo ist der Unterschied, ob dich einer uniformiert in die Wüste schickt wie der Hitler sein Afrikakorps – oder in Zivil in die Wüste schickt wie unser Boss uns … hast doch neulich auch den Stauffenberg-Film gesehen!« Nicht nur der Vergleich von Arbeitslosen mit den Überfallkommandos der Nazis erstaunt. Hochhuth bietet die Edelnazis Rommel und Stauffenberg im weiteren auch als positive Identifkationsfiguren in punkto Tyrannen- bzw. Managermord.

Der nationalkonservative Herr Hochhuth lässt seine »Rausgeworfenen« vor dem aktuellen Hintergrund in Deutschland noch andere albtraumhafte Sätze sprechen: »Und ABM – das kann auch schiefgehen: Man müsste mal wieder ‘nen paar Molli schmeissen.« »Mollis«, Molotowcocktails, fliegen derzeit in Brandenburg schon nicht zu knapp. Zuletzt zum Beispiel am 28. Januar in den Döner-Imbiss von Mehmet Alatas in Hörlitz bei Senftenberg. Hochhuth zeigt sich von solch nationalen Besonderheiten unbekümmert. Sie existieren in seinem Stück nicht. Und auf die Frage, was eine »feindliche Übernahme« sei, lässt er eine zur widerständigen Schweizerin Verklärte in Brandenburg antworten: »Wenn Ausländer einheimische Arbeitsplätze killen, um Landsleute nicht zu liquidieren bei Fusionen. Der Staat darf’s der Wirtschaft nicht allein überlassen, ob sie rentable Betriebe Ausländern verhökert.«

Der »nationalrevolutionäre Widerstand« hätte seine Freude, so er ins Theater fände. Das muss auch der Regisseur befürchtet haben und steuert mit einem Abspann mit ikonografischen Bildern der internationalistischen Bewegung gegen. An die rückwärtige Wand werden die Bilder vom Tod des Demonstranten Carlo Giuliani während der Proteste gegen den G 8-Gipfel in Genua projeziert. Doch zuvor hat Hochhuth die SchauspielerInnen bereits so ausführlich über SS-Manager und Anglizismen in der deutschen Sprache wettern lassen, dass dies auch nicht mehr hilft.

Eine Europaflagge brennt im Schlussakt auf der Bühne, und ein Darsteller spricht dazu: »Wir Europäer haben aus Phantasielosigkeit und Unterwürfigkeit gegenüber unseren Herren: den USA – ihr Sternenbanner kopiert. Weil wir jetzt in Europa ebenso den Profit zu unserem einzigen Gott machen.« Der europäische Kulturkonservatismus hat in seiner Kapitalismuskritik noch kaum einen emanzipatorischen Gedanken hervorgebracht, Antiamerikanismus und die Mär vom raffenden Kapital sind hingegen zwei seiner Konstanten.

Brecht und Hochhuth liegen in etwa so weit auseinander wie Madonna und Heino. Das alles werden auch die UnternehmensberaterInnen von McKinsey feststellen. Die Firma soll sich im großen Stil in eine der Vorführungen in Brandenburg eingekauft haben. »Aktien steigen, wenn Arbeitnehmer fallen!« Viel Vergnügen. Dann doch noch lieber Schlingensiefs deutscher Irrationalismus in »Attabambi Pornoland« oder Falk Richters Juso-Radikalität »Sieben Sekunden/Für eine bessere Welt«.