Bleierne Rache

Cesare Battisti war ein »Staatsfeind«. Nach dreißig Jahren verlangt der italienische Staat seine Auslieferung. Seine Zukunft liegt jetzt in den Händen der französischen Justiz. von bernhard schmid, paris

Im Laufe dieser Woche werden in Frankreich mindestens zwei Entscheidungen fallen, die als wichtige Weichenstellungen für die Zukunft der bürgerlichen Freiheitsrechte gelten können.

Am heutigen Mittwoch wird die erste untersuchungsrichterliche Kammer des Pariser Gerichtshofs darüber befinden, ob der italienische Exilant Cesare Battisti über die Alpen ausgeliefert werden kann. Und am folgenden Donnerstag soll das Verfassungsgericht seine Entscheidung darüber bekannt geben, ob das unter dem Namen »Perben zwei« bekannte Gesetz zur Reform des Strafprozessrechts mit der französischen Verfassung vereinbar ist. Viele Juristen und linke oder liberale Kritiker verstehen das Perben-Gesetz als »Vorlage für einen autoritären Staat«.

Als Meilenstein auf dem Weg zu einer autoritär verfassten politischen Ordnung wird auch eine Entscheidung zugunsten der Auslieferung des seit 1990 in Frankreich lebenden früheren Linksradikalen Cesare Battisti betrachtet. Am 10. Februar wurde der Krimiautor in Paris verhaftet, gegen ihn richtet sich ein Auslieferungsgesuch der italienischen Regierung, das sich auf eine Verurteilung vor über zwanzig Jahren bezieht.

Die Entscheidung über seine Auslieferung droht zum Präzedenzfall für die über hundert ehemaligen Militanten der italienischen radikalen Linken zu werden, die seit zwanzig Jahren in Frankreich leben. Mit der Auslieferung von Cesare Battisti würde einer Sieger- und Rachejustiz, von der die regierende italienische Rechte träumt, Nahrung gegeben. Dabei würde ebenso deutlich gemacht werden, dass politische Versprechungen, ja ein französisches Präsidentenwort mühelos beiseite geräumt werden können, sobald das politische Kräfteverhältnis es erlaubt.

Am Ende der so genannten »bleiernen Jahre«, der von heftigen innenpolitischen Konfrontationen geprägten siebziger Jahre in Italien, flüchteten rund 300 Protagonisten der damaligen militanten Linken in das französische Nachbarland. 1981 wurde dort der Sozialist François Mitterrand zum Staatspräsidenten gewählt und die etablierten Linksparteien – Sozialisten und Parteikommunisten – errangen die Parlamentsmehrheit.

Zu den Antrittsversprechen der neuen Koalition gehörte die Nichtauslieferung politischer Flüchtlinge. Das betraf zunächst vor allem Staatsangehörige der Türkei, die nach dem Militärputsch vom September 1980 nach Frankreich geflohen waren, sowie baskische Aktivisten aus Spanien. In beiden Staaten war damals die Folter verbreitet.

Im Gegensatz zu ihnen, die aus Nicht-Mitgliedsländern der damaligen Europäischen Gemeinschaft stammten, konnten Italiener in Frankreich kein politisches Asyl beantragen. Dennoch wurde auch auf sie der Grundsatz des Auslieferungsschutzes für politische Aktivisten zunächst angewandt. Damit wollte der französische Staat ihnen einen Ausweg aus der Illegalität ermöglichen. Entscheidend für diese staatsrechtliche Haltung war es aber auch, dass diese Menschen in Italien aufgrund von Prozessen verurteilt wurden, die auf Notstandsgesetzen basierten und nach dem französichen Recht als rechtswidrig galten.

1985 trat François Mitterrand auf einem Kongress der Liga für Menschenrechte (LDH) auf, einer traditionsreichen Vereinigung für Bürgerrechte, die 1898 im Kampf gegen das antisemitisch motivierte Dreyfus-Urteil gegründet worden war. Dort erklärte Mitterand nunmehr explizit, es werde grundsätzlich keine Auslieferung von ehemaligen Militanten an Italien geben, solange die Betreffenden mit ihrer Vergangenheit gebrochen hätten. Seitdem spricht man von der »Mitterrand-Doktrin«.

Die Rechtslage änderte sich jedoch 1997: Im Oktober jenes Jahres trat Italien dem »Europäischen Informationssystem« auf Grundlage des Schengener Abkommens bei. Damit wurde im Prinzip jeder Haftbefehl, der in einem Schengen-Mitgliedsstaat ausgesprochen wurde, in Italien vollstreckbar – und umgekehrt. Tatsächlich klickten in den ersten Wochen des Jahres 1998 die Handschellen an den Unterarmen von sechs italienischen Exilanten. Doch damals regierten in Frankreich die sozialdemokratischen Erben Mitterrands, die an die Vorgaben ihres früheren Präsidenten erinnert werden konnten. Im März 1998 erklärte Premierminister Lionel Jospin, es werde auch künftig keine Auslieferungen an Italien geben.

Das war zwar eine politische Leitlinie, aber keine Rechtsgarantie. Die neokonservative Regierung fühlt sich daran jedoch nicht gebunden. Ende August 2002 fand die erste Auslieferung statt, die Paolo Persichetti betraf (Jungle World, 37/02). Er wurde damals mit der Ermordung des Regierungsberaters Marco Biagi im März 2002 in Bologna durch die »Neuen Roten Brigaden« in Verbindung gebracht.

Am 10. Februar wurde die französische Antiterrorpolizei nun bei Cesare Battisti vorstellig. Dabei müsste gerade Battisti juristisch besonders geschützt sein: Nachdem er im November 1990 bereits einmal in Auslieferungshaft genommen worden war, hatte ihn ein Pariser Gericht im Mai 1991 auf freien Fuß gesetzt, mit der Begründung, seine Verurteilung in Italien sei unter Bedingungen erfolgt, die einer Demokratie nicht würdig seien. Battisti war 1985 von einem italienischen Gericht in Abwesenheit wegen zweier Morde verurteilt worden, die am gleichen Tag innerhalb einer knappen halben Stunde in Mailand und Mestre bei Venedig verübt wurden. Aufgrund des damaligen Urteils müsste seine Auslieferung eigentlich illegalen Charakter haben. Allerdings wählten die italienischen Behörden eine Finte: Sie behaupten, es lägen neue Erkenntnisse über Battisti vor. In Wirklichkeit beschränken diese sich freilich darauf, dass eine Kopie des alten Urteils erstellt wurde, auf der nun lediglich nicht mehr »Gerichtsbeschluss« steht, sondern »Strafvollstreckungsanordnung«.

In Wirklichkeit ist der Fall Battisti auf politischer Ebene ausgehandelt worden. Sein Name befindet sich auf der Liste von 14 besonders »gewünschten« Personen, die der italienische Justizminister Roberto Castelli von der rechtsextremen Lega Nord am 11. September 2002 seinem französischen Amtskollegen Dominique Perben präsentierte.

Die drohende Überstellung des in Frankreich als Autor von Kriminalromanen bekannt gewordenen Battisti hat eine Mobilisierung unter Schriftstellerkollegen, aber auch auf der politischen Linken ausgelöst. Bis Freitag letzter Woche waren 14 000 Unterschriften aus Frankreich, rund 2 000 aus Italien für seine Freilassung zusammengekommen.

Am vorletzten Montag machten drei grüne Abgeordneten des französischen Parlaments sowie der kommunistische Ex-Minister Jack Ralite von ihrem Besuchsrecht bei dem Gefangenen Gebrauch.

Anfang voriger Woche begab sich dann sogar der Parteichef der französischen Sozialdemokraten, François Hollande, zu Battisti in die Zelle. Das ließ die konservative Tageszeitung Le Figaro schäumen, die seit Tagen aktiv für die Auslieferung Battistis trommelt. Unter der Überschrift »Der neue Freund von François Hollande« höhnte die Zeitung, weil der PS-Chef die Zugehörigkeit des italienischen Justizministers zur extremen Rechten erwähnt hatte: »Für François Hollande ist Battisti also ein Freiheitskämpfer, der an die Schergen einer Diktatur ausgeliefert werden soll.« Welch unerhörte Vorstellung!