Das Lied vom Markt

Die ökonomische Liberalisierung in Nigeria sorgt dafür, dass die private Kontrolle über das Staatsvermögen wächst. Die soziale Verelendung nimmt auch zu. von ruben eberlein

Deeeeregulation is the answer!« trällern gut gelaunte Männer und Frauen zur besten Sendezeit. Nicht nur in Nigerias staatlichem Fernsehsender stehen Privatisierung und wirtschaftliche Liberalisierung derzeit ganz oben auf dem Programm. Mit der Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala hat sich Präsident Olusegun Obasanjo nach den Wahlen im vergangenen Jahr eine ehemalige Vizedirektorin der Weltbank ins Kabinett geholt. Preis- und Währungsstabilität, ein ausgeglichenes Budget, Subventionsabbau und die Privatisierung von Staatsbetrieben gelten offiziell als Schlüssel zum Wohlstand für alle. Die Kreditgeber applaudieren, doch die Mehrzahl der Nigerianer mag in den Song nicht so recht einstimmen.

Der Kommerzialisierung des Petroleumsektors, in dem die staatliche Nigerian National Petroleum Company (NNPC) ein Monopol innehat, wird besondere Bedeutung zugemessen. Die Preise für Benzin und Kerosin sind stark subventioniert. Bereits im Juni 2003 erhöhte die Regierung die Preise um 50 Prozent. Nach einem zehntägigen Generalstreik (Jungle World, 29/03) musste die Steigerung zum Teil zurückgenommen werden. Im Oktober hob dann die Regulierungsbehörde für Petroleumprodukte sämtliche Preiskontrollen auf, musste jedoch nach einer Streikdrohung des Gewerkschaftsverbandes Nigeria Labour Congress (NLC) einen Rückzieher machen. Auch die Einführung einer Kraftstoffsteuer scheiterte im Januar 2004 vorerst am Widerstand des NLC.

Nigerias staatlicher Kraftstoffsektor arbeitet ineffizient und bietet einer kleinen Elite zahlreiche Möglichkeiten für illegale, aber sehr gewinnbringende Unternehmungen. Jährlich muss der sechstgrößte Erdölproduzent der Welt große Mengen raffinierten Öls aus Europa und dem Nahen Osten einführen, da ein erheblicher Teil der in den vier maroden Raffinerien des Landes hergestellten Mengen in die Nachbarländer geschmuggelt und dort profitabel verkauft wird.

Trotz dieser Umstände findet über die Subvention von Kraftstoff und Kerosin wenigstens ein kleiner Teil der Einkommen aus dem Ölgeschäft seinen Weg zu den 90 Prozent der Bevölkerung, die mit zwei US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Eine Abschaffung der Subventionen würde die Transportpreise und die Lebenshaltungskosten insgesamt in ungeahnte Höhen treiben.

350 Milliarden US-Dollar nahm der Zentralstaat zwischen 1965 und 2000 mit Erdöl ein. Der Mehrzahl der Nigerianer geht es heute trotzdem schlechter. Den reichsten zwei Prozent der Bevölkerung steht dasselbe Einkommen zur Verfügung wie den ärmsten 55 Prozent. Zu Beginn des Ölbooms waren es noch 17 Prozent.

An der sozialen Verelendung hat auch die seit fünf Jahren amtierende Zivilregierung nichts verändert.

Wie sie ihre Prioritäten setzt, bewies die Regierung der Peoples Democratic Party (PDP) unter anderem mit dem Bau eines neuen Stadions für die All Africa Games 2003. Die Arena in der Hauptstadt Abuja kostete nach vorsichtigen Schätzungen 42 Milliarden Naira (316 Millionen US-Dollar). Das ist mehr, als für die infrastrukturelle Entwicklung des gesamten Nigerdeltas in den vergangenen drei Jahren aus dem Staatsbudget zur Verfügung gestellt wurde. Auch heute erfreuen sich an den Ölrenten also vor allem eine kleine Staatsklasse und Baukonzerne wie Julius Berger Nigeria PLC, eine Tochter der deutschen Bilfinger-Berger AG, die neben dem Stadion in Abuja seit Jahrzehnten zahlreiche andere Großprojekte in Nigeria realisiert.

»Wir wissen, dass unter dieser spezifisch nigerianischen Art der Deregulierung die Regierung der einzige Monopolist bleibt«, sagte Adams Oshiomhole, der Präsident des NLC, kürzlich der Tageszeitung Vanguard. Das ist nicht nur für den Ölsektor eine einigermaßen sichere Wette. Während einer ersten Liberalisierungswelle nach 1985 unter den Militärherrschern Ibrahim Babangida und Sani Abacha sicherten sich vor allem die staatlichen Eliten privatisierte Betriebe zu Schleuderpreisen, einen Platz in deren Aufsichtsräten oder kauften Anteile an Banken und versorgten sich und ihre Geschäftspartner mit Krediten, die nie zurückgezahlt wurden. Die Kommerzialisierung der NNPC bedeutet im Wesentlichen eine Anerkennung der de facto schon herrschenden personalen Kontrolle über große Teile der Staatsvermögen und läuft nicht auf die Schaffung einer Klasse vom Staat unabhängiger Unternehmer hinaus.

Durch Investitionen aus dem Ausland will sich Obasanjo wie seine Amtsvorgänger darüber hinaus größere Autonomie gegenüber jenen fraktionierten nigerianischen Machtblöcken verschaffen, die weniger als ein Jahr nach den letzten Wahlen bereits für den nächsten Machtkampf in Stellung gehen. Anfang Februar beispielsweise wurde der Vorsitzende der PDP für die South-South-Zone auf dem Weg zu einem Parteitreffen von bislang Unbekannten erschossen, die einem Bericht des Vanguard zufolge Polizeiuniformen trugen. Die Gewalt im Nigerdelta ist zum Teil den Bemühungen von politischen Unternehmern geschuldet, Geschäfte mit gestohlenem Rohöl zu monopolisieren und so ihre Chancen in den Wahlen 2006 zu verbessern.

Diese Vorgänge sind auch den internationalen Finanzinstitutionen bekannt. Beim IWF, der mit der Weltbank quasi ein Vetorecht über die Reduzierung der von verschiedenen Militärdiktaturen angehäuften Schulden innehat, werden deshalb weitaus radikalere Varianten der Strukturanpassung diskutiert. Nicht mehr an den Zentralstaat, sondern direkt an jeden erwachsenen Nigerianer oder wahlweise nur an Frauen sollten nach Auffassung zweier Ökonomen von Welbank und IWF die Einkünfte aus dem Ölgeschäft des Landes gehen. Die damit notwendig werdende Besteuerung der Bürger würde »die richtigen Anreize zur Regierungsführung« setzen und die Möglichkeiten der Staatsklasse zur Rentenaneignung reduzieren, heißt es in einem Diskussionspapier vom Juli 2003.

Das hört sich gut an. Doch wahrscheinlicher als die anvisierte Schaffung verantwortlich handelnder Staatsinstitutionen ist, dass der nigerianische Nationalstaat an der Frage zerbricht, wer Nigerianer ist und somit ein Anrecht auf die Ausschüttungen hat. Ein Blick nach Cote d’Ivoire, wo die Kopplung von Landbesitz und Staatszugehörigkeit eine entscheidende Ursache für den Krieg und die Spaltung des Landes ist (Jungle World, 8/04), gibt einen Vorgeschmack auf das, was kommen mag, wenn diese Überlegungen Realität werden.