Nahrung für Bomben

Wenn Nordkorea die dringend benötigte Wirtschaftshilfe erhält, soll das Atomwaffenprogramm gestoppt werden. Doch die Verhandlungen mit den USA sind erneut gescheitert. von christian karl, seoul

Für einen Diplomaten gibt es keine gescheiterten Verhandlungen, sondern höchstens unvorhergesehene Hindernisse und Verzögerungen. »Wenn es kein Dokument gibt, sollten wir nicht sagen, dass die Gespräche ein Fehlschlag waren«, kommentierte Liu Jianchao, Sprecher der chinesischen Außenministeriums, am Freitag die zähen Verhandlungen über eine Abschlusserklärung des Gipfeltreffens in Peking.

Vertreter Nord- und Südkoreas, der USA, Russlands, Japans und Chinas hatten seit Mittwoch der vergangenen Woche über die Beendigung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms gesprochen. Am zweiten Verhandlungstag hatte Nordkorea angeboten, als Gegenleistung für »korrespondierende Maßnahmen« – Wirtschaftshilfe und Energielieferungen – seine nuklearen Aktivitäten zu stoppen. Solchen »korrespondierenden Maßnahmen« will Washington erst zustimmen, wenn Nordkorea sein Atomprogramm vollständig und unwiderruflich aufgegeben hat. Die Gegensätze erwiesen sich als unüberbrückbar. Eine gemeinsame Erklärung kam nicht zustande, die Verhandlungen sollen jedoch fortgesetzt werden. »Der Frühling ist eine Zeit der Verheißung«, kommentierte der dennoch optimistische chinesische Außenminister, Li Zhaoxing.

Die ostasiatischen Teilnehmer hatten versucht, zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Insbesondere Südkorea, das bei einer militärischen Eskalation das Ziel von Attacken aus dem Norden wäre, bemühte sich auch jenseits des Sechsergipfels um eine Annäherung.

Manche Südkoreaner denken allerdings über andere Methoden des Umgangs mit dem Nachbarstaat nach. Selbstmordanschläge auf nordkoreanische Botschaften und Diplomaten, die Entführung nordkoreanischer Flugzeuge und Funktionäre sowie Brandanschläge auf nordkoreanische Handels- und Industrievertretungen im Ausland gehören zu den Aktionsvorschlägen, die am 16. Februar anlässlich des Geburtstags Kim Jong-Ils von rechten Gruppen per E-Mail massenhaft verbreitet wurden.

Eine neue Front des Terrorismus dürfte kaum entstehen, schon weil nordkoreanische Reisende ebenso rar sind wie nordkoreanische Einrichtungen im Ausland. Die wüsten Drohungen zeigen jedoch, dass bei manchen Südkoreanern die Nerven blank liegen. Und nicht nur rechte Nationalisten sorgen sich um das isolierte Reich des Staatschefs und »geliebten Führers« Kim Jong-Il, das sich selbst als Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) bezeichnet. Kaum etwas ist über die inneren Verhältnisse bekannt, und die wenigen Informationen, die nach außen dringen, belegen eine kaum vorstellbare Brutalität gegenüber der Bevölkerung.

Anfang Februar dokumentierte die britische BBC die Aussagen des Überläufers Kwon Hyok, der nach eigenen Angaben bis 1993 Sicherheitschef im berüchtigten Straflager Nr. 22 bei Haengjong im äußersten Nordosten des Landes war. Dort seien an politischen Gefangenen chemische Experimente mit tödlichem Ausgang in speziell für diesen Zweck konstruierten Gaskammern vorgenommen worden. Da in Nordkorea das Prinzip der Kollektivhaftung angewendet werde, seien unter ihnen Familienangehörige von Oppositionellen, auch Kinder und Jugendliche, gewesen. »Ich hatte keinerlei Sympathie für sie. Denn mir war beigebracht worden, dass es sich um Volksfeinde handele und dass sie an allen Problemen unseres Landes schuld seien«, bekannte sich Kwon zu seinem damaligen Fanatismus.

Kwons Angaben seien vom südkoreanischen Menschenrechtsaktivisten Kim Sang-hun bestätigt worden, berichtete die BBC weiter. Er sei im Besitz von geheimen »Überführungsschreiben« mit den Namen männlicher Opfer, die ein aus dem Straflager Nr. 22 entflohener Häftling habe mitgehen lassen und deren Authentizität ein koreanischer Experte in London bestätigt habe.

Das Lager Nr. 22 gilt als eine der größten Haftanstalten für politische Gefangene in der DVRK und soll 50 000 Insassen haben. Ende 2002 hat die in Hongkong erscheinende Far Eastern Economic Review erstmals Satellitenfotos der geheimnisumwitterten Anlage veröffentlicht.

Die hohe Zahl politischer Gefangener in einem Land, in dem lückenlose Kontrolle jeden Ansatz zur Opposition unmöglich macht, erklärte Kwon mit dem dort praktizierten Blockwart-System. Je fünf Familien überwachten sich gegenseitig. Lasse sich eines ihrer Mitglieder etwas zuschulden kommen, würden alle Personen in ihrer Umgebung dafür haftbar gemacht. Im Falle eines Fluchtversuchs ins benachbarte Südkorea drohe den fünf Familien die Höchststrafe, erläuterte der Überläufer: Alle ihre Angehörigen würden erschossen.

Gründe für eine Flucht gibt es mehr als genug, denn das Land hat auch mit einer katastrophalen wirtschaftlichen Dauerkrise zu kämpfen. Schon lange vor dem Zusammenbruch der ehemaligen »sozialistischen Staatengemeinschaft« war die Ökonomie der DRVK von Stagnation gekennzeichnet, und nur die »brüderliche« Hilfe vor allem von der Sowjetunion konnte den Zusammenbruch verhindern. Mit dem Ende der Sowjetunion kam auch das Ende Nordkoreas als Industrienation. Heute sind allein in Pjöngjang zwei Drittel aller Betriebe geschlossen. Der Mangel an Energie und Ersatzteilen sowie der Verfall der Infrastruktur machen eine auch nur halbwegs planvolle Produktion, aber auch die Grundversorgung der Bevölkerung unmöglich.

Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, wie die Menschen den harten Winter bei Temperaturen bis minus 30 Grad überleben können – ohne Heizung, Strom und ausreichend warme Kleidung. Außerhalb Pjöngjangs sterben in jedem Winter Tausende auf den langen Fußmärschen durch das Land, wenn sie versuchen, irgendwo Kleidung, Heizmaterial und Nahrungsmittel zu beschaffen.

Das Hauptproblem für die DVRK ist die permanente Nahrungsmittelknappheit. Seit über zehn Jahren ist das Land nicht in der Lage, seine Bevölkerung ausreichend zu versorgen. Heute gelten über 40 Prozent der Kinder als chronisch unterernährt. So ist die DVRK schon seit einem Jahrzehnt von ausländischen Hilfslieferungen abhängig.

Doch die nordkoreanischen Behörden behindern die flächendeckende Verteilung der Hilfsgüter und versorgen die über eine Million Soldaten zählende Armee zuerst. Mehrere humanitäre Hilfsorganisationen haben deshalb ihre Tätigkeit in der DVRK eingestellt. Spenden und staatliche Hilfen für Nordkorea sind nicht leicht zu bekommen, dem World Food Program (WFP) macht die chronische Finanzknappheit zu schaffen. Im vergangenen Jahr konnten deshalb nur 62 Prozent der geplanten Nahrungsmittelhilfe geliefert werden, in diesem Frühjahr wird eine neue Hungersnot befürchtet.

Seit das Regime Ende 2002 martwirtschaftliche Reformen einleitete und die Preiskontrollen lockerte, ist die Zahl der Hungernden noch gestiegen. »Die Kaufkraft vieler Haushalte, die ohnehin nicht ausreichte, um Nahrung in ausreichender Menge und Vielfalt zu kaufen, ist weiter gesunken«, erklärte Rick Corsino, der WFP-Direktor in Nordkorea.

Dass die in ideologischer Hinsicht weiterhin ultrastalinistische Staatsführung ökonomische Reformen einleitete, spricht jedoch auch für ihre Bereitschaft, einen realpolitischen Ausweg aus der Krise zu suchen. Nur Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe kann den Weg zum Kapitalismus ebnen, und außer dem Atomprogramm hat Nordkorea kaum etwas zu verkaufen. Kim Jong-Il wird es sich teuer bezahlen lassen.