Absturz von des Tigers Rücken

Aristide in Bangui von hans-ulrich dillmann

Zum Schluss gerierte er sich als Opfer. Er sei entführt worden, berichtete Jean-Bertrand Aristide Pressevertretern telefonisch aus der Zentralafrikanischen Republik. »Ich wurde gezwungen zu gehen«, sagte der 50 Jahre alte exilierte Präsident Haitis. »Weiße Amerikaner, weißes Militär« hätten ihn unter Gewaltandrohung aus seiner Residenz herausgeholt, in ein Flugzeug gesetzt und nach Bangui verfrachtet. Da sitzt »Titid«, der kleine Aristide, jetzt in einem Gästehaus der Regierung und will wieder zurück in »seine« Karibikrepublik. Die Grundlage für einen Mythos und möglicherweise auch für eine kleine Lebenslüge ist geschaffen.

Denn bei allen Nachfragen der spanischsprachigen Ausgabe von CNN, wie er denn konkret aus seinem Wohnsitz weggeschafft worden sei, blieb Aristide seltsam undeutlich. Und auf die Frage, ob er zur Unterschrift auf dem Rücktrittsschreiben mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden sei, antwortete er nur indirekt. Er habe ein Blutbad verhindern wollen. Ist der alte Taktiker aus dem »Land der Berge« eventuell selbst ausgetrickst worden? Hat Aristide zum Schluss Angst vor der eigenen Courage bekommen? Hat er möglicherweise den Mund zu voll genommen, als er ankündigte, er wolle lieber sterben als vorzeitig sein Amt zu verlassen?

Es spricht vieles dafür, dass der »große Bruder« aus dem nördlichen Amerika wieder einmal in seinem Sinne ordnend in die inneren Angelegenheiten eines Landes in seinem Hinterhof eingegriffen hat. Er kennt sich seit einer militärischen Stippvisite im Jahr 1914 und der Besatzung von 1915 bis 1934 auf Haiti gut aus. Dass der US-amerikanische Botschafter James Foley sowohl bei der angeblichen Unterzeichnung der Rücktrittserklärung als auch bei der überhasteten Amtsübernahme von Boniface Alexandre anwesend war, zeigt nur, wie offen und international akzeptiert der US-Weltpolizist agieren kann, diesmal assistiert von Frankreich. Möglicherweise hat sich Aristide vom Delegierten der US-Botschaft bluffen lassen, der »bewaffnete Pöbel« stehe schon vor seinem Privathaus in Taberre. Aber auch das zeigt nur, wie wenig Aristide noch von der Realität in seinem Land mitbekommen hat.

In Wirklichkeit hat Aristide das Spiel selbst verloren. Seine Regierungspolitik war nur noch kurzatmiges Krisenmanagement, das der gesellschaftlichen Dynamik hinterherlief. Sein Plan, sich nach dem Aufstand des Rebellenkonglomerats aus ehemaligen Gefolgsleuten, Mitgliedern von Todesschwadronen, Putschisten und Banditen mit ausländischer Hilfe weiter an der Macht zu halten, ist nicht aufgegangen. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und die Ex-Besatzermacht aus den USA werden jetzt versuchen, das Chaos regierbar zu machen.

Trotzdem: Aristide hatte niemals eine wirkliche Chance, eine soziale Politik zu betreiben. Gegen die Reichen in Haiti nicht, die noch nicht einmal die Brosamen verteilt wissen wollten. Und auch nicht gegen die »internationale Gemeinschaft«, die ihre eigene Vorstellung von Ordnung für die Menschen im Armenhaus hatte. Und seine Unberechenbarkeit und Wechselhaftigkeit haben ihn zu einem Außenseiter gemacht. Ihm fehlten solide Verbündete, die er mit Argentinien, Brasilien, Venezuela und Kuba in Lateinamerika hätte haben können.

Aristide wollte den Tiger reiten und das Imperium für seine Zwecke instrumentalisieren. Er hätte seinen Machiavelli besser lesen oder in den Büchern der neueren Geschichtsschreibung blättern sollen. Aber sicherlich hatte er keine Kenntnis von dem aus Asien stammenden Sprichwort: »Der Tiger ändert seine Streifen nicht.«