»Der Sicherheitszaun kann Leben retten«

Mosi Raz

Mosi Raz war Generalsekretär der größten israelischen Friedensorganisation, Shalom Achshaw (Peace Now), und von 1999 bis 2003 Knessetabgeordneter der linkszionistischen Partei Meretz. Seit der Niederlage von Meretz bei den letzten Wahlen ist Raz wieder vor allem für Shalom Achshaw in der israelischen Friedensbewegung aktiv. Mit ihm sprach Thomas Schmidinger.

Wegen der so genannnten Al-Aqsa-Intifada glauben viele Israelis nicht mehr, dass ein Ausgleich mit den Palästinensern möglich ist. Für welche politischen Ziele demonstriert Shalom Achshaw in der gegenwärtigen Situation?

Wir treten immer noch für einen Rückzug aus den besetzten Gebieten ein. Allerdings werden Selbstmordattentate palästinensischer Terrororganisationen damit nicht sofort aufhören. Wir glauben aber, dass Israel sich von einer international anerkannten Grenze aus besser verteidigen kann und sich langfristig nur so eine politische Lösung ergeben kann. Wir können den Israelis aber mit einem Rückzug hinter die Grenzen von 1967 leider nicht versprechen, dass damit der Terror gleich zu Ende ist.

Deshalb sind wir auch nicht gegen den Bau des Sicherheitszaunes an sich, denn die Erfahrungen mit dem Zaun am Gaza-Streifen zeigen, dass ein solcher Zaun tatsächlich gegen die Selbstmordanschläge, die ja vor allem die Zivilbevölkerung treffen, helfen kann. Während der ersten Intifada kam der Großteil der Gewalt aus dem Gazastreifen. Nun, seit es um Gaza einen Sicherheitszaun gibt, kommen alle Selbstmordattentäter aus der Westbank. Auch an der libanesischen und der jordanischen Grenze hat der Sicherheitszaun etwas gebracht. Wir demonstrieren hier allerdings gegen den Verlauf des Zauns. Wir wollen, dass er der Grünen Linie, also der Waffenstillstandslinie von 1967, folgt.

Die israelische Friedensbewegung sieht also in der gegenwärtigen Situation keine Alternative zum Zaun?

Ein solcher Sicherheitszaun ist sicher nicht das, was wir ursprünglich wollten, aber es gibt sehr viele Israelis, die immer gegen so einen Zaun waren, die aber einfach nicht mehr wissen, wie wir sonst kurzfristig den Terror stoppen können. Wenn ein solcher Zaun, so problematisch er auch sein mag, Menschenleben retten kann, können wir ihn nicht aus grundsätzlichen Überlegungen ablehnen und eine Fortsetzung der Anschläge auf Autobusse, Lokale oder an öffentlichen Plätzen in Kauf nehmen. Der Zaun kann einen effektiven Schutz für die Israelis bilden. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass er der Grünen Linie folgt und dass er nicht zur Annexion von palästinensischem Territorium führt.

Sogar der palästinensische Premierminister Ahmed Qurei erklärte, dass er den Sicherheitszaun unterstützen würde, wenn er der Grünen Linie folgen würde. Es gibt immer wieder Leute, die meinen, dass man an Grenzen zu Staaten, mit denen es einen Friedensvertrag gibt, keine Grenzbefestigungen braucht. Manchmal ist das so, oft aber auch nicht. Solche Sicherheitszäune gibt es auch anderswo auf der Welt, und wenn wir den Zaun einmal nicht mehr brauchen, können wir ihn jederzeit wieder abbrechen.

Welche konkreten Aktivitäten entfaltet Shalom Achshaw gegen den Verlauf des Zauns?

Wir werden diese Woche für Mitglieder der Knesset eine Tour zum Sicherheitszaun organisieren. Daneben organisieren wir immer wieder Demonstrationen gegen den Verlauf des Zauns. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist aber auch der Kampf gegen die Siedlungspolitik. Wir unterhalten nun seit zehn Jahren eine Gruppe, die die Siedlungen genau beobachtet, und ich denke, dass wir genauestens über die Aktivitäten der Siedler informiert sind. Ziel ist es dabei, die Siedlungsaktivitäten zu blockieren.

Manche der grenznahen Siedlungen unterscheiden sich auch in der Zusammensetzung der Siedler und in ihrer politischen Bedeutung deutlich von anderen. Während in grenznahen Siedlungen oft Familien leben, die einfach nur billigeren Wohnraum benötigen und damit keine politischen Aktivitäten verbinden, haben andere eine klare politische Funktion. Tritt Shalom Achshaw für den Abbau aller Siedlungen in der Westbank ein, oder sollten größere Siedlungsblöcke in der Nähe der Grünen Linie auch integriert werden?

An sich sind wir dafür, alle Siedlungen abzubauen. Aber selbstverständlich gibt es dabei Prioritäten. Kleine und illegale Siedlungen, die weit entfernt von der Grünen Linie errichtet wurden, sind für uns wichtiger als große Siedlungen in Grenznähe.

In letzter Zeit waren von linken Israelis immer wieder Klagen zu hören, dass es auf der palästinensischen Seite kaum noch GesprächspartnerInnen für die israelische Friedensbewegung gibt. Gibt es für Shalom Achshaw noch palästinensische Gruppen, die als DialogpartnerInnen in Frage kommen? Gibt es so etwas wie eine palästinensische Friedensbewegung, die in einer so zugespitzten Lage auch Kritik an der Politik der palästinensischen Autonomiebehörde üben kann?

Eine palästinensische Friedensbewegung gibt es nicht, aber es gibt schon Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten können. Sie dürfen nicht vergessen, dass es große Unterschiede zwischen der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft gibt. Zuerst einmal steht die palästinensische Gesellschaft unter Besatzung. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Gesicht sehen, dass die palästinensische Gesellschaft im Gegensatz zur israelischen keine demokratische ist. In einer undemokratischen Gesellschaft finden sich selbstverständlich auch keine Gruppen wie die unsere, die ständig gegen die eigene Regierung demonstrieren. Außerdem haben die Palästinenser bis jetzt auch keinen eigenen Staat, und wenn man keinen eigenen Staat hat, wird der Kampf zuerst für einen eigenen Staat und nicht gegen die eigene Regierung geführt. Aus diesen Gründen erwarten wir auf der palästinensischen Seite keine Dialogpartner. Es könnte selbstverständlich viel besser sein, aber ich erwarte das nicht.

Es gibt auch PalästinenserInnen, etwa Schwule, die wegen der Lage in den Gebieten nach Israel geflüchtet sind und hier um Asyl nachgesucht haben.

Ja, aber nicht sehr viele.

Haben Sie Kontakt zu solchen Flüchtlingen, und unterstützt die Friedensbewegung sie in irgendeiner Weise?

Als ich Abgeordneter der Knesset war, habe ich einige von ihnen unterstützt. Da gab es Flüchtlinge, denen die Abschiebung drohte. Ihnen habe ich dann als Parlamentarier geholfen. Aus meiner Sicht ist das aber nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist die Gesamtsituation des Konfliktes. Selbstverständlich können wir jedoch mit der Menschenrechtssituation in den Gebieten, die von der palästinensischen Autonomiebehörde regiert werden, nicht zufrieden sein. Die Bevölkerung dort leidet sowohl unter der israelischen Besatzung als auch unter der palästinensischen Autonomiebehörde.

In den besetzten Gebieten, aber auch in Israel, sind die wirtschaftlichen und sozialen Probleme größer geworden.

Ja, und ich denke, dass diese Probleme in einem direkten Zusammenhang mit der politischen Situation und der Gewalt stehen. Das israelische Bruttosozialprodukt ist in den letzten drei Jahren um 6,5 Prozent gesunken und liegt jetzt bei der Höhe von 1996. Darunter leidet die gesamte Bevölkerung, und ich denke, dass in Zukunft immer mehr Menschen in Israel begreifen werden, dass das ein sehr hoher Preis für die Besatzung ist und wir uns auch deshalb aus der Westbank und Gaza zurückziehen sollten.