Größenwahn in Beton

Die Tempodrom-Affäre zeigt, dass der alte Berliner Filz lebt. von richard rabensaat

Die Akteure sind neu, aber das Muster ist vertraut. Wieder sind etliche Millionen geflossen, wieder will niemand das kommende Desaster vorausgesehen haben, und wieder waschen alle ihre Hände in Unschuld. Nur die Staatsanwaltschaft schenkt den treuherzigen Unschuldsmienen von Peter Strieder, dem Landesvorsitzenden der SPD, und seiner Bauclique keinen rechten Glauben und durchsucht mit einer 49 Mann starken Truppe die Büros des Tempodrom. Berlin hat schon wieder eine Korruptionsaffäre.

Die Geschichte begann in der Nachwendezeit. Damals, als das Kanzleramt noch gar nicht gebaut war, regierte Helmut Kohl das wiedervereinigte Deutschland. Die Nähe zum Volk war dem großen, behäbigen Mann nie ganz geheuer. Nachdem er jahrelang im geruhsamen Bonn regiert hatte, erschreckte ihn das quirlige, unberechenbare Berlin. Also wünschte er sich einen Bau, der seinen körperlichen Dimensionen angemessen war und den Kontakt zum Volk auf das unvermeidliche Minimum reduzierte. So entstand das Kanzleramt.

Bei der Besichtigung der Baustelle muss Kohl dann aufgefallen sein, dass der Neubau zwar im ruhigen Tiergarten lag, gleich daneben jedoch ein Zelt stand: das alte Tempodrom. Dort trafen sich bunt gekleidete Menschen mit Rastalocken, die der Kanzler der Deutschen nun gar nicht mochte und die ihn sowieso nie wählten. Also sann er darüber nach, wie die unliebsamen Mitmenschen zu vertreiben seien.

Da traf es sich gut, dass seine persönlichen Animositäten mit der immer lauter werdenden Kritik an den Lärmemissionen des Tempodroms harmonierten. Das Tempodrom »in Sichtweite des Kanzleramtes« musste verschwinden. Das Zelt einfach dicht machen wollte der Senat aber auch nicht. Denn schon seit mehr als einem Jahrzehnt veranstaltete die ehemalige Krankenschwester Irene Moessinger dort erfolgreich ein Programm, das vom Kabarett bis zum multikulturellen Wüstenpop reichte. Mit dem Geld einer Erbschaft hatte sie das Zelt 1980 gekauft. Selbst der Dalai Lama schaute als Gast vorbei. Also musste ein neuer Standort her. So entstand die Betonburg am Anhalter Bahnhof.

»Es ist ein fantastischer Bau, auf den später alle in der Stadt stolz sein werden«, meint Irene Moessinger heute noch. Der spitz in die Höhe ragende Stahlbetonklotz imitiert zwar die gefaltete Form des Zeltes, aber die Leichtigkeit ging verloren. Das gilt dummerweise nicht nur für den Baukörper, sondern auch für die Bespielung des Tempodroms. Die kalkulierten Besucherzahlen werden nicht erreicht, die Betriebe im steinernen Tempodrom erwirtschaften nicht den erwarteten Gewinn, und ärgerlicherweise sind die Verträge mit den Pächtern auch noch so formuliert, dass nur eine geringe Grundpauschale und ein Teil des hypothetischen, nicht erwirtschafteten Gewinns als Pacht gezahlt werden soll. Nun soll der Bau verkauft werden. Der Preis allerdings wird lediglich einen Bruchteil der Baukosten betragen.

Denn die Baukosten sind seit dem Beginn der Planung völlig aus dem Ruder gelaufen. Rechnete der Betreiber, die »Stiftung neues Tempodrom«, im November 1995 noch mit 15 Millionen Mark, so waren es bei Baubeginn im Mai 2000 schon 22,7 Millionen. Im Oktober 2001 legte der Senat dann noch einmal 6,9 Millionen Euro drauf, im Herbst 2002, nach der Eröffnung, folgten weitere 1,74 Millionen Euro. Als dann im Jahr 2003 die Handwerker immer noch auf ihr Geld warteten, verweigerte das Abgeordnetenhaus einen weiteren Zuschuss in Höhe von 900 000 Euro. Nun soll das Tempodrom für rund 2,5 Millionen Euro verkauft werden. Insgesamt kostete es 33 Millionen.

Die Baukosten finanzierte die Stiftung vor allem durch Kredite. Im Jahr 2000 steuerte die Investitionsbank Berlin einen Kredit in Höhe von 12,8 Millionen Euro bei, für den das Land Berlin mit 80 Prozent bürgt. Wegen der Fehlkalkulation des Betontempels ist die Bürgschaft nun wohl futsch. Weil das Geld aber immer noch nicht reichte, folgten dann die zwei Zahlungen in Höhe von 6,9 und 1,74 Millionen Euro. Warum und in welcher Form diese Beträge geflossen sind, ist nicht so recht klar. Die Staatsanwälte bemängeln unter anderem, dass die Kredite von der Summe abgezogen werden sollen, die eigentlich von der Bank noch als Schadensersatz für den Bankenskandal an das Land zu zahlen ist.

Nun schwitzen die Staatsanwaltschaft und die Mitglieder eines Untersuchungsausschusses über den Akten. Immerhin elf Politiker verschiedener Parteien sollen Rede und Antwort stehen. Gegen Bausenator Peter Strieder (SPD), Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch (SPD) wird ermittelt.

Untreue soll der Bausenator begangen haben, als er die 8,64 Millionen Euro locker machte. Denn das Geld wurde als Sponsoring deklariert. Aber der Senat hätte nur ein privates Bauvorhaben sponsern dürfen, nicht ein öffentliches, denn hier gilt öffentliches Baurecht. An dem Bauträger, der »Stiftung neues Tempodrom«, waren private Investoren allerdings lediglich mit 700 000 Euro beteiligt. Galt die private Rechtsform nur zum Schein?

»Es ist doch klar, dass ich als Stadtentwicklungssenator kein Interesse daran haben kann, dass ein Bauwerk mitten in der Stadt als Ruine verfällt«, beteuert Strieder heute. Dass er aber auch rührig im Freundeskreises der Stiftung des Tempodroms engagiert war, verstärkt die Zweifel. In dem Freundeskreis betätigte sich auch der frühere Bauunternehmer Roland Specker. Dieser sponserte im Oktober 2001 mit immerhin rund 5 000 Euro eine Wahlparty der SPD. Ob ihm daraus direkte Vorteile erwuchsen, soll der Untersuchungsausschuss klären. Sicher allerdings ist schon jetzt, dass Specker die private Zuwendung falsch bilanzierte, nämlich als Repräsentationsaufwendungen für eine mögliche Olympiabewerbung Berlins.

Der ehemalige Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) hält die Geschichte des Tempodroms für den »Einzug ins Café Größenwahn«. Damit hat er vermutlich recht, denn das Bauvorhaben fügt sich ein in eine Reihe anderer gescheiterter Großprojekte. Die »Topografie des Terrors« liegt nun bereits seit April 2000 wegen eines Baustopps brach, weil selbst die auf 39 Millionen Euro ausgedehnte Kalkulation für den Bau von Peter Zumthor nicht mehr reichte. Die im Großkonzern Vivantes vereinigten neun Krankenhäuser haben zwar ordentlich Personal gefeuert und Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen, dennoch sicherte erst eine Landesbürgschaft in Höhe von 230 Millionen Euro wenigstens die Weiterarbeit bis März 2004. Und für die Bankenkrise zahlt Berlin jedes Jahr 300 Millionen Euro, insgesamt werden wegen einer Garantie des Parlaments möglicherweise 21,6 Milliarden Euro fällig.

Angesichts dieser Summen verwundert es nicht, dass Berliner Politiker steigende Fahrpreise der öffentlichen Verkehrsmittel, verrottende Schulen und Bäderpreise, die allenfalls römischen Thermen anstünden, nicht als Problem wahrnehmen. Das sind wohl Peanuts, wie man seinerzeit schon in der Privatwirtschaft erkannte. Am alten Standort des Tempodrom aber steht nun wieder ein Zelt: das Tipi.